6650922-1958_52_27.jpg
Digital In Arbeit

Die Zeit mahnt!

Werbung
Werbung
Werbung

Jeder markante Zeitpunkt im Ablauf eines Jahres ist ein unverkennbares Mahnzeichen an die österreichische Wirtschaft und damit auch an die Agrarproduzenten, mit allen verfügbaren Mitteln ihre Produktionsbedingungen auf gesamteuropäisches Niveau zu bringen und die Leistungskraft der Betriebe ohne Unterlaß zu steigern. Die Bauernschaft hat dabei auch in diesem Jahr versucht, ihr Bestes zu leisten und die erzielten Erfolge rechtfertigen vor allem die aufgewandten Mittel vollauf. Die Ernte 195 8 hat wohl nicht auf allen Gebieten den Erwartungen entsprochen, sie ist aber bei Obst und Wein z. B. weit über dem Durchschnitt der letzten Jahre gelegen. Das Jahr 1958 hat uns aber auch bei vielen wichtigen Vorhaben ein beträchtliches Stück vorwärts gebracht. So haben 3100 ha zur Grundaufstockung ihre Besitzer gewechselt, mehrere 100 km Forstauf-schließungswege wurden trassiert und die Mechanisierung und Technisierung weitergeführt, so daß am Beginn des kommenden Jahres der 100.000. Traktor in Betrieb genommen werden wird. Auch auf sozialpolitischem Gebiet ist das Jahr 1958 reich an Bedeutung, denn mit der Einführung der Zuschußrentenversicherung wurde das soziale Gefälle zwischen der Bauernschaft und den übrigen Berufsständen weitaus ausgeglichen. Bis zum Jahresende sind mehr als 36.000 Renten zuerkannt worden und zusammen mit der Haushaltsbesteuerung haben die Wünsche der Bauernschaft wohl Beachtung gefunden. Die marktwirtschaftlichen Maßnahmen, wie die Handhabung der Preisbänder, der Zolltarif und eine elastische Ex- und Importpolitik sind voll zur Geltung gekommen und Preiseinbrüche konnten verhindert werden.

Dem Erfolg auf wirtschaftlichem Gebiet steht die Tatsache gegenüber, daß das Landwirt-schafNgesetz nicht verwirklicht und die Interesse“ -'er P~'“-Schaft in eröb'sher We'e verletzt wurden. Wenngleich das neue Markt-

Ordnungsgesetz eine Zusammenfassung der drei Wirtschaftsgesetze unter Hinzufügung einiger Verbesserungen darstellt, sind wesentliche Forderungen der Agrarwirtschaft unberücksichtigt geblieben. Das kommende Jahr wird als Wahljahr der Bauernschaft Gelegenheit bieten, dieses

Verhalten und diese Behandlungsweise ihrer Existenzfragen entsprechend zu quittieren.

Nicht allein aber aus diesem Grund ist das Jahr 1959 von weittragender Bedeutung, sondern mit seinem Beginn treten auch die Vereinbarungen über die europäische Wirtschaftsgemeinschaft in Kraft. Die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossenen sechs Staaten, wozu auch die Deutsche Bundesrepublik und Italien gehören, sind bedeutende Handelspartner für österreichische Agrarprodukte. Wenngleich also das Projekt der Freihandelszone noch nicht verwirklicht werden wird, kann es keinen Zweifel darüber geben, daß die Bestimmungen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auch Rückwirkungen auf Oesterreich zeitigen werden, obwohl unser Land der Gemeinschaft noch nicht angehört. Es wird daher auch im kommenden Jahr zu den maßgeblichen Aufgaben der österreichischen Landwirtschaft und ihrer Einrichtungen gehören, die Auswirkungen dieses Wirtschaftsvertrages zu neutralisieren und durch entsprechende Maßnahmen unsere Produktionsbedingungen denen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft annähernd anzugleichen. Dabei können wir mit Stolz jetzt schon auf jene Leistungen verweisen, mit denen wir international absolut konkurrenzfähig sind. Unsere Mast- und Zuchtrinder, Milch- und Molkereiprodukte, das Holz, Saatgut und Wein weisen Qualitäten auf, die in vielen Fällen sogar weit über dem europäischen Niveau liegen. Diese Erzeugnisse sind der beste Beweis dafür, daß die österreichischen Bauern unter entsprechenden Voraussetzungen absolut in der Lage sind, auch die verwöhntesten Ansprüche zu befriedigen. Aufgabe der Gesamtheit ist es daher, mitzuhelfen, diese Voraussetzungen zu schaffen, weil die Kaufkraft der Landwirtschaft wesentlich über die Sicherung der Währung und die Stabilität der Wirtschaft mitentscheidet.

Es ist daher ein zeitgemäßer Wunsch, daß die österreichische Bauernschaft mit Gottes Hilfe auch im kommenden Jahr wieder imstande ist, ihre wirtschaftliche Kraft und ihr ganzes Kcmnen voll zu entfalten.

Mießlich erreicht worden, die bisherigen Wirtschaftsgesetze in verbesserter Form als Marktordnungsgesetze dem Parlament zur Beschlußfassung vorzulegen und auf diese Weise wenigstens die bisherige Ordnung in den drei wichtigen Sparten der Landwirtschaft aufrechtzuerhalten. Durch das Landwirtschaftsgesetz sollte es aber auch ermöglicht werden, für die übrigen Zweige, insbesondere auch für die Zweige des kleinen Mannes, das sind Wein-, Obst- und Gartenbau, Marktregulative zu schaffen, die es gestatten sollten, im Falle von Preis- und Absatzkrisen helfend einzugreifen. Ebenso konnte die Zustimmung für jenen Teil, der unter dem Namen „Grüner Bericht“ vom Deutschen Landwirtschaftsgesetz übernommen und bekannt geworden ist, vom Koalitionspartner nicht erreicht werden. Dies ist um so bedauerlicher, weil mit dem „Grünen Bericht“ nur eine Prüfung der Ertrags- und Einkommensverhältnisse der Landwirtschaft nach objektiven Grundsätzen verlangt und das moralische Recht beansprucht wurde, im Falle einer festgestellten Disparität des landwirtschaftlichen Einkommens in einzelnen Zweigen, entsprechende Maßnahmen zur Behebung dieser Disparität durchzuführen. Der „Grüne Bericht“ sollte vor allem den Weg für die konstruktiven Maßnahmen zur Verbesserung der Voraussetzungen für die Landwirtschaft frei machen bzw. erleichtern. Insbesondere sollten die Restelektrifizierung, die Schutz- und Regulierungsbauten gegen Lawinen und Wasserschäden, die Verbesserung der Ungunst der VerkehrsveThältniss durch Erschließung der Dörfer durch Güterwege und Seilbahnen, die Beseitigung der Grundstückzersplitterung durch Forcierung der Kommassierungs-tätigkeit, die Aufstockung zu kleiner landwirtschaftlicher Betriebe bis zur Größe lebensfähiger Familienbetriebe und schließlich die Steigerung der Leistungen und der Produktivität gefördert werden. Andere Länder haben sich durch das Landwirtschaftsgesetz eine Ordnung auf dem Absatz- und Preissektor und für die konstruktive Ausgestaltung und Förderung der Landwirtschaft längst gesichert. Nur der österreichischen Landwirtschaft wird trotz ihrer besonders ungünstigen Lage als Gebirgsland zugemutet, den Eintritt in den europäischen Markt ohne entsprechende Ausrüstung und Vorbereitung, also zu wesentlich ungünstigeren Startbedingungen, zu vollziehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung