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Die zweite Einkommensverteilung

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Das Rad der Geschichte kann freilich auch hier nicht mehr zurückge- dreht-iyerdcn: Der bäuerlichen Familie WÜL ine. größere RiskengemeioSchaft übergeordnet - werden. Die Gesundheit ist ein zu wertvolles Gut, als daß man mit ihr weiterhin hasardieren könnte. Wo die kleinere Gemeinschaft zu schwach ist, um sich selbst zu helfen, dort kann das Subsidiaritätsprinzip nicht angewendet werden. „Der Grundsatz der Subsidiarität setzt die Prinzipien der Solidarität und des Gemeinwohls voraus” (Prof. Höffner, Christliche Gesellschaftslehre, Seite 48). Wenden wir diese Ordnungsfaktoren auf die soziale Situation eines Großteils unserer bäuerlichen Bevölkerung an, dann erscheint es uns als selbstverständlich, daß der Staat für die Gesundheit des Bauerntums mitverantwortlich ist.

Aus dieser Verantwortung können auch finanzielle Pflichten erwachsen. Die Sozialversicherungsexperten sind sich klar darüber, daß eine allgemeine Krankenversicherung der Bauern ohne Zuschuß aus öffentlichen Mitteln nicht denkbar wäre. Die Vertreter der Landwirtschaft begründen ihren Anspruch auf finanzielle Leistungen der öffentlichen Hand mit dem Hinweis auf das relativ niedrige Pro-Kopf-Einkommen der bäuerlichen Bevölkerung. Die zunehmende „zweite Einkommensverteilung” ist zwar in einer Marktwirtschaft nicht ideal, aber im Falle der Landwirtschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt gerechtfertigt. Hier nimmt auch die Sozialenzyklika „Mater et Magistrą” eine ganz klare Stellung ein: „Die Maßnahmen der sozialen Sicherheit und der Sozialversicherung können viel dazu beitragen, daß sich das Volkseinkommen nach Recht und Billligkeit unter alle verteilt; es ist daher angezeigt, sich dieser Maßnahmen zu bedienen, um übergroße Unterschiede der Lebenslagen, die zwischen den verschiedenen Gruppen eines Volkes bestehen, zu beseitigen.”

Ohne Zweifel wird hier um der sozialen Sicherheit willen ein gewisses Maß an Nivellierung und Abhängigkeit auf sich genommen.

Der Staat als „Melkkuh”?

An Vater Staat, dessen Sorgenkind die Landwirtschaft schon lange ist, werden also neue finanzielle Forderungen gestellt. Nicht genug, daß sie mit Subventionen und Förderungsmitteln aufgepäppelt wird? Nun die Einordnung der Landwirtschaft in die Marktwirtschaft macht bekanntlich nicht nur Österreich Schwierigkeiten Selbst io den großräumigen Agrargebieten der USA, wo die Grenzen der Technisierung der Landwirtschaft nicht so spürbar sind als bei uns, konnte man auf marktordnende Eingriffe, auf Subventionen der Agrarprodukte bis heute nicht verzichten. Das soll nicht heißen, daß man an ein allmähliches Abbauen der Subventionen, die ja den kleinen Bauern nicht in dem Außmaße zugute kommen können wie den großen, denken muß. Wenn auch die Erstellung eines langfristigen Konzepts recht schwer ist, weil wir ja noch nicht wissen, wie das Arrangement mit der EWG im Hinblick auf die Landwirtschaft aussehen wird.

Die Beiträge des Staates für die bäuerliche Krankenversicherung würden nicht nur vor allem den sozial Schwachen zugute kommen — die Großgrundbesitzer werden vermutlich nicht in die Pflichtversicherung einbezogen —, sie würden sich auch auf die Volksgesundheit positiv auswirken. Falls Vater Staat als zweiter Partner ausfallen würde, müßte man den Bauern erlauben, einen Teil ihrer Versicherungskosten auf die Preise aufzuschlagen, wie dies ja auch die Unternehmer als zweite Partner der Arbeiter und Angestellten tun müssen.

Selbstverantwortung und Mißbrauch

Wir erinnern uns noch recht gut: Wien war die gesündeste Stadt, als die Ärzte streikten. In der Tat ist die Gefahr des Mißbrauchs bei der Krankenversicherung enorm groß. Das ASVG ist ein vorbildliches Sozialwerk, aber es geht offenbar von der Annahme aus, daß Versicherte und Ärzte von Natur aus Heilige sind. Der Unfug, der manchmal mit den Krankenscheinen getrieben wird — man denke an die mit Medikamenten gefüllten Nachtkästchen —, ruft nach einer bestimmten Sicherungsklausel.

Bei der Bauernkrankenkasse soll durch die vorgesehene zwanzigprozentige Selbstbeteiligung an allen Kosten jeder Mißbrauch praktisch ausgeschaltet werden. Um soziale Härten zu vermeiden, dürfte es freilich zweckmäßig sein, einen Fonds einzurichten, aus dem in einzelnen Fällen Zuschüsse gewährt werden können. Es leuchtet ein, daß für einen finanziell schwachen Kleinbauern bereits eine zwanzigprozentige Kostenhetejljguqg bei einem längeren Krankenhausaufenthalt kaum erschwinglich sein känn.Das Leistungssystem der Bauernkasse soll weitgehend dem der ASVG-Kassen angepaßt werden. Selbstverständlich werden auch die Angehörigen des Wirtschaftsbesitzers mitversichert werden. -Die monatlichen Beiträge erfahren eine gewisse Staffelung, wobei der Einheitswert zur Grundlage genommen wird.

(Auch bei den Arbeitnehmern müssen die finanziell Stärkeren zum sozialen Ausgleich beitragen.) Möglicherweise werden die Großgrundbesitzer von der bäuerlichen Pflichtversicherung ausgenommen werden. Nicht, daß sie nicht wollten, sondern weil ein Bundeszuschuß für eine sozial gut fundierte Bevölkerungsgruppe schwer verständlich wäre. Außerdem fordern angeblich die Ärzte, daß Bauern mit einem sehr hohen Einheitswert — man hat sich hier noch nicht festgelegt — nicht in die Pflichtversicherung einbezogen werden dürfen.

Warum nicht freiwillig?

Einer der Einwände gegen die Pflichtversicherung war lange Zeit der, daß die Bauern ja die Möglichkeit hätten, sich privat versichern zu lassen. Dazu erklären die bäuerlichen Sozialexperten: Meist wird eine private Versicherung erst dann abgeschlossen, wenn eine schwere Erkrankung eingetreten ist oder wenn schon ein altes Leiden besteht. In diesen Fällen kann die Vertragsversicherung nicht zufriedenstellen, da die Satzungen dieser Anstalten keine Leistungen für alte Leiden und Erkrankungen, die vor der ersten Prämienzahlung eingetreten sind, vorsehen. Sie enthalten vielmehr für viele Leistungen eine Wartezeit. Die Privatversicherung kann also nur dann ausreichenden Versicherungsschutz bieten, wenn der Vertrag „rechtzeitig” abgeschlossen wird.

Und das bedeutendste Argument: Für viele Bauern, nämlich die wirtschaftlich schwächsten, stellt die Vertragsversicherung deshalb keine befriedigende Lösung dar, weil deren nach rein versicherungsmathematischen Grundsätzen und kaufmännischen Prinzipien kalkulierten Beiträge zu hoch sind. (So Dr. Schuberth in Wirtschaftspolitische Blätter, Oktober 1962.) Das ist verständlich, wenn man bedenkt, daß es für Privatversicherungen keinen Bundeszuschuß gibt.

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