7124443-1996_50_07.jpg
Digital In Arbeit

Diese Technik bringt genetischen Kahlschlug

19451960198020002020

Um ethische fragen, nicht um technische gehe es beim Einsatz neuer Technik, stellt einer der Initiatoren des 1997 stattfindenden Gentechnik-Volksbegehrens fest.

19451960198020002020

Um ethische fragen, nicht um technische gehe es beim Einsatz neuer Technik, stellt einer der Initiatoren des 1997 stattfindenden Gentechnik-Volksbegehrens fest.

Werbung
Werbung
Werbung

DLEPTLRCHE: Sie sind Mitinitiator eines „Gentechnik-Volksbegehrens”: Ist es überhaupt sinnvoll? Ist es nicht viel zu spät, die Gentechnik zu stoppen? PETER WEISH Die Problematik bei allen Umweltaktivitäten ist die: Solange die Dinge nicht dringend sind, nimmt man sie nicht wahr, findet man keine Resonanz in der Öffentlichkeit.

DIEFURCHE: Aber es gibt doch ein Gentechnik-Gesetz Reicht es nicht? WEISH: Nein. Seine Diskussion im parlamentarischen Ausschuß ist sehr positiv gelaufen. In seiner endgültigen Form aber hat das Gesetz ungeheuer viele Abstriche und Vewässerungen erfahren. Jetzt ist es sehr zahm ...

DIEFURCHE: Kann ein einzelnes Land in einer globalisierten Welt überhaupt einen Sonderweg gehen? WEISH: Bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Diese Frage stellt sich ja generell. Wo liegt denn der tiefe Konflikt, wenn es um Kraftwerke, jb. Atomenergie, Gentechnik geht? Er verläuft zwischen Personen, die sagen: Der Gang der Dinge laßt sich nicht aufhalten, * \ wir brauchen Wirtschafts * | Wachstum und jenen,die r lange schon sehen, daß die Entwicklung der technisch zivilisatorischen Welt eine katastrophale Zukunft ansteuert. Daher sei es sinnlos, um des Lebensstandards willen einen Wettlauf in die Katastrophe mitzumachen.

DIKFllRCHK: Viele halten solche Kritik schlicht für schwarzen Pessimismus ...

WEISH: Wer das behauptet, sieht die Wirklichkeit einfach nicht. Wer sich in der Welt umschaut, erkennt: Es gibt heute schon ökologische Kriege, die Wasserreserven schwinden, die Wüsten breiten sich aus ... Wir entwickeln Techniken, die weitreichende Zerstörung bewirken. Man bedenke allein an den Materialdurchsatz der Wirtschaft in den reichen Ländern. Mit ein bißchen Zukunftsperspektive erkennt man: Das kann so nicht weitergehen. Unser Lebensstil ließe sich nicht auf den Globus ausweiten.

DIkFurchk: Nun sehen aber viele in der Gentechnik geradefür solche Probleme einen Ausweg.

WEISH: Hier setzt unsere Kritik an: Die Wissenschaft war dort erfolgreich, wo sie sich auf immer kleinere Teilbereiche konzentriert, die gesamte Wirklichkeit ausgeblendet und reproduzierbare Ursache-Wirkung-Beziehungen festgestellt hat. Solches Detailwissen wurde technisch erfolgreich verwertet. Aus der Summe dieser Erfolge resultiert ein lineares Denken.

DIKFL'RCIIE: Von welchen Techniken sprechen Sie da?

WEISH: Nehmen wir die Landwirtschaft: Mit dem Ziel, den Hunger in der Welt zu besiegen, wurde nach dem Weltkrieg die Modernisierung der Landwirtschaft unter dem Titel „Grüne Revolution” in die Welt getragen. Alles wurde mobilisiert, um den Ertrag zu maximieren: Leistungssorten in großen Monokulturen, Bewässerung, Düngung, massiver Einsatz von Chemikalien, um die Insektenwelt zu bekämpfen. Man verstand nicht, was damals schon Ökologen sagten: Man kann den chemischen Krieg gegen die Insekten nie gewinnen. Sie passen sich an veränderte Bedingungen gut an. Die grüne Revolution ist gescheitert, weil sie die Böden ruiniert, das Land übernutzt hat, mit den Schädlingen nicht fertiggeworden ist. Vor allem aber hat sie soziale Schäden verursacht. Die Sub-sistenzbauern, die früher ihr Auslangen gefunden hatten, wurden von der industrialisierten Landwirtschaft verdrängt. Heute stellt man fest: Der technokratische Ansatz, das Hungerproblem weltweit zu lösen ist auf allen Linien gescheitert. Das lineare Denken wird der vernetzten Wirklichkeit nicht gerecht.

DIEFURCHE: Bringt da die Gentechnik keine Hilfe?

WEISH: Bevor ich darauf antworte, noch ein Gedanke: Auch in der Medizin hat man enorme Fortschritte: Man kann die tollsten Operationen, Tests und Analysen durchführen. Dennoch wird immer offenkundiger: Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Laborbefunde. Es entwickelt sich so etwas wie eine Ganzheitsmedizin. Man entdeckt, daß der Mensch eine Seele, ein Gemüt hat. Wer sich über die Bewahrung der Vielfalt des Lebens Gedanken macht, entdeckt, daß man dieses Ziel nicht mit reiner Nützlichkeit erreicht. Ohne Ehrfurcht vor dem Leben, ist die Bewahrung des Lebens nicht möglich. Man beginnt, ganzheitlich zu denken, entdeckt, daß die Ernährung nicht primär ein technisches, sondern auch ein soziales, ein ökologisches Problem ist. Und die vielen sanften, ökologischen Formen des Wirtschaftens zeigen, daß sie überlebensfähig sind. Die ökologische Landwirtschaft ist der Ansatz, die Besonderheit der Ökosysteme für sich zu nutzen, sie zu fördern, damit sie für die Zukunft tragfähig sind. Und in dieser Situation, wo eine gangbare Alternative zur technokratischen Lösung erscheint, taucht die Gentechnik mit der falschen Verheißung auf, das Problem Hunger vom Molekül her in den Griff zu bekommen.

DlEPtlRCHE: Sic sehen darin ein erkennbar veralteten Ansatz' WEISH: Ähnliches gilt in der Medizin: Weil der Mensch mehr als seine Organe und Gewebe ist, kann der Ansatz der Gentechnik, die Gesundheit vom Molekül her in den Griff zu bekommen, nur falsch sein. Mit einer Ethik der Ehrfurcht vor dem lieben, läßt sich die Gentechnik nicht in Einklang bringen. Wer in der Bibel liest, daß „Gott sah, daß es sehr gut war”, was er geschaffen hatte, der*muß sich fragen, ob die Schöpfung auch für die Gentechniker gut genug war. Sie meinen, man könne das alles verbessern.

DIEFURCHE: Wir stehen also vor einer fundamentalen Frage ... WEISH: Ja. Die Biologen versuchen heute zu verstehen, wie die komplexe Vielfalt rund um uns entstehen kann. Da zeigt sich, daß die wichtigste Bedingung eine gewisse Gemächlichkeit ist. Man braucht Zeit, um eine Veränderung, die zuerst im kleinen gesetzt wird, auszutesten. Bewährt sie sich da nicht, kann sie ohne Schaden für das Ganze wieder eliminiert werden. Die Hauptgefahr unseres heutigen Systems aber ist die rasante Globalisierung. Veränderungen, die sich im Gesamtzusammenhang noch nicht bewährt haben, werden globalisiert. Dann wird vieles erdrückt, was eigentlich lebensfähiger ist. So entsteht ein genetischer Kahlschlag. In den Händen einer Wirtschaft, die nur an kurzfristigen Profit denkt, erzeugt die Gentechnik einen ungeheuren Verlust in der Ökosphäre. In den Händen vorsichtiger Forscher könnte sie hingegen durchaus Fortschritte bringen.

DIEFllRCHE: Welche Cliance hat nun ein kleines Land wie Österreich gegen den Strom zu schwimmen? WEISH: Vor 20 Jahren wurden die Biobauern verlacht. Heute ist dieser Spott verstummt. Viele Menschen begreifen den Wert dieser Wirtschaftsweise.

DIEFURCHE: Aber die Agrarpolitik fördert die Großstrukturen .,. WEISH: Es gibt bei all diesen Fragen große Schritte in die falsche und kleine in die richtige Bichtung. Die Frage: Ist der Zug nicht schon in die falsche Richtung abgefahren?, ist berechtigt. Meine Antwort: Er ist abgefahren. Aber auch abgefahrene Züge kann man anhalten. Wir versuchen mit den Gentechnik-Volksbegehren eine Notbremsung dieses Zuges: Verbot von gentechnisch veränderten Lebensmitteln, der Freisetzung und der Patentierung gentechnisch veränderter Lebewesen in Österreich. Es ist auch ein Dienst an der Demokratie. Die Gentechnik ist bei uns in der Nahrung nicht willkommen. Daher können die vielen, die nicht Versuchskaninchen beim Großversuch Gentechnik in der Nahrung sein wollen, den Politikern einen Auftrag geben, in diesem Sinne aktiv zu werden.

DIEFURCHE: Also in die EU zu wirket WEISH: Klar. Vor der EU-Abstimmung wurde argumentiert, Österreich werde seine höheren Standards nach Europa exportieren. Politik ist schließlich die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft nach Wertvorstellungen. Also haben die Menschen das Recht, ihre Wertvorstellungen den Politikern als Arbeitsauftrag zu vermitteln. Und der Arbeitsauftrag heißt: Stellt in der EU sicher, daß wir von all dem verschont bleiben. Schließlich gibt es in der EU ja Verbündete in dieser Frage.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung