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Doch kein Wahnsinn?

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„Defizite mit acht oder neun Milliarden sind doch ein Wahnsinn“, erklärte der jetzige Bundeskanzler Dr. Kreisky noch vor Jahresfrist Jetzt scheint Dr. Kreisky seine Meinung geändert zu haben: Mitte September verabschiedete der Ministerrat den Budgetentwurf 1971, bei dem das Defizit zwischen 9,5 und 10 Milliarden Schilling liegt.

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„Defizite mit acht oder neun Milliarden sind doch ein Wahnsinn“, erklärte der jetzige Bundeskanzler Dr. Kreisky noch vor Jahresfrist Jetzt scheint Dr. Kreisky seine Meinung geändert zu haben: Mitte September verabschiedete der Ministerrat den Budgetentwurf 1971, bei dem das Defizit zwischen 9,5 und 10 Milliarden Schilling liegt.

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Eine Prognose von Finanzexperten rechnet 1974 bereits mit einem Defizit von 20,3 Milliarden Schilling, für 1972 sind in dieser Vorschau Abgänge in der Höhe von nur 14,4 Milliarden prophezeit.

In diesem Budget bewegt sich der Ausgabenrahmen insgesamt bei 110 Milliarden Schilling; er kann jedoch nur dann eingehalten werden, wenn die Sondersteuern weiterlaufen.

Die Sondersteuern stehen auch im Mittelpunkt aller Budgetdiskussionen, sie bringen dem Staatshaushalt jährlich rund 2,8 Milliarden Schilling. Während die sozialistischen Parlamentarier diese zusätzlichen Steuerbelastungen bei ihrer Einführung als „unsozial“ abgelehnt haben, steht die sozialistische Regierung heute vor dem Entschluß, die Sondersteuern weiterlaufen zu lassen, da sie „notwendig sind“. Die VoÜkspartei und an der Spitze der neue Klubobmann Koren hingegen sind der Ansicht, daß die Sondersteuern termingemäß auszulaufen hätten. Das Zünglein an der Waage ist in diesem Fall wieder die FPÖ, die jedoch die Karten nicht auf den Tisch gelegt hat.

Es besteht deshalb durchaus die Möglichkeit, daß der Entwurf des Budgets 1971 einige Überraschungen mitbringt, mit denen die Öffentlichkeit keinesfalls rechnet: Experten sind der Meinung, daß die sozialistische Monocolore nämlich für den Fall des Falles vorgesorgt haben und einen Budgetentwurf ohne Sondersteuern vorlegen könnte. Und das aus zwei Gründen: Die regierende Minderheitspartei würde eine mögliche Ablehnung der Sondersteuern durch die Opposition umgehen und einen publizistisch überaus wertvollen Erfolg buchen können, etwa nach dem Motto: „Die Opposition wirft uns Dinge vor, die rein erfunden sind. Wir sind nicht einmal dazu gekommen, unsere Vorschläge auf den Tisch zu legen, hat man uns schon in Mißkredit gebracht.“ Das Auslaufen der Sondersteuern hätte zur Folge, daß die Ermessenskredite und Subventionen der einzelnen Ressorts um runde 30 Prozent gekürzt werden müssen. Beim Weiterlaufen der Sondersteuern sieht der Androsch-Entwurf trotzdem eine Kürzung der Gesamtsumme von Ermessenskrediten und Subventionen in der Höhe von 11 Prozent vor. Am schwersten wird durch diesen

Schritt die Entwicklungshilfe betroffen, die bisher mit 50 Millionen Schilling bereits eher spärlich bedacht war, und nun auf die Hälfte herabgesetzt werden soll.

Auf dem Agrarsektor scheinen die Sozialisten — vielleicht auch durch die letzten Aktionen der Bauernvertreter beeindruckt — ihre rigorose Streichungsabsicht eingedämmt zu haben, denn der „Grüne Plan“ wird ähnlich hoch dotiert sein, wie im Vorjahr. 1970 waren dafür 780 Millionen Schilling präliminiert. Auch auf dem Schulsektor ergeben sich keine wesentlichen Änderungen, die ein Propaganda-Tam-Tam rechtfertigen würden: Aus der Hochschulmilliarde der ÖVP-Regierung des Vorjahres ist eine Mittelschulmilliarde der SPÖ-Regterung geworden. Wo liegen im Budget — dem ersten einer sozialistischen Regierung — also die echten Sensationen, die die einen erhofft, die anderen vielleicht befürchtet haben? Nun, sehr gut abschneiden werden die Bundesbahnen, denn sie erhalten nach dem Bundesbahngesetz 1,7 Milliarden für die Ablösung von Pensionslasten und 370 Millionen für die Abgeltung von Sozialtarifen. Bei einer weiterhin so günstigen Betriebsentwicklung wie in der letzten Zeit dürfte das Bun-desbahndeftzit dann unter einer Milliarde liegen. Hingegen werden die Post- und Tetegraphenverwaltung erheblich weniger als bisher am Budgetkuchen mitnaschen dürfen und ein höheres Defizit aufweisen, höher wahrscheinlich als die Bundesbahnen.

Die Erhöhung des Dieselölpreises und damit die Erhöhung der Mineralölsteuer ist bereits im Budget-voranschlag enthalten und wird mehr als eine halbe Million Schilling einbringen, die jedoch für den Straßenbau zweckgebunden ist. Zu guter Letzt ist noch das Wehrbudget ein wunder Punk im Bun-desflnanzgesetz 1971: Trotz der Gewißheit des Bundeskanzlers, daß die Wehrdienstzeit nach dem 1. Jänner

1971 nur mehr sechs Monate betragen soll, wird im Budget noch mit einer neunmonatigen Dienstzeit gerechnet.

Der junge Finanzminister bezeichnet seinen Budgetvorschlag als konjunkturgerecht. Im ordentlichen Ausgabenrahmen sind ein bis zwei Milliarden Schilling als „Spielraum“ enthalten, die bei einer Konjunktur-überhitzung preisdämpfend wirken können.

Von der .großen Reform der Ausgabenstruktur“, wie sie Dr. Kreisky angekündigt hat, wird allerdings wenig zu merken sein. Bis zum 16. Oktober wird der Budgetentwurf im Parlament eingebracht werden und am selben Tag will Dr. Androsch seine Budgetrede halten. Die beiden großen Parteien dürften es dann bei der Argumentation eher schwer haben: Die SPÖ hat keine neuen Schwerpunkte gesetzt und die ÖVP lehnt, wenn sie gegen das Budget auftritt, ihre eigene Budgetstruktur der letzten Jahre ab. Man kann gespannt sein, welchen Kampfruf sich die innenpolitischen Giganten zulegen

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