Eigen ist das Kapital

Werbung
Werbung
Werbung

Die neuen Kreditrichtlinen namens "Basel II" treffen vor allem kleine und mittlere Unternehmen.

Österreichs Wirtschaft boomt ungebrochen. 3,4 Prozent, höher als im Vorjahr sei die diesjährige Wirtschaftsleistung, vermeldeten die Wirtschaftsforscher kürzlich. Und rosig wie schon lange nicht sind auch die Aussichten für den unternehmerischen Mittelstand. Die Wirtschaftsauskunftei "Creditreform" befragte im Herbst 1800 heimische mittelständische Unternehmer. Zwei Drittel schätzen ihre wirtschaftliche Lage als sehr gut bzw. gut ein. Die Hälfte der klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) konnte sich im vergangenen Jahr über deutliche Umsatzzuwächse freuen und möchte den Personalstand vergrößern. Und auch für die Zukunft sind die KMU-Chefs optimistisch: Die Hälfte von ihnen rechnet mit steigenden Umsätzen in den nächsten sechs Monaten und nur ein Zehntel befürchtet einen Umsatzrückgang.

Österreichs Wirtschaft ist von Kleinbetrieben geprägt. 98 Prozent haben weniger als 50 Beschäftigte. Die KMU sind der "Motor unserer Wirtschaft", wird immer wieder anerkennend gesagt. Dieser Motor läuft derzeit offenbar hervorragend. Wären da nicht die seltsamen Nebengeräusche, die das satte Brummen begleiten. Da ist einmal die Zahl der Insolvenzen. Auch hier scheint auf den ersten Blick alles bestens. "Die Unternehmensinsolvenzen sind heuer um vier Prozent zurückgegangen", verkündete Creditreform-Geschäftsführer Rainer Kubicki vor kurzem zufrieden. Zugleich gab er ein massives Ansteigen (15 Prozent) der Privatkonkurse bekannt. In die Pleite rutschen aber nicht nur Menschen, die ihre offenen Handyrechnungen nicht mehr bezahlen können oder sich mit Versandhausbestellungen übernommen haben. "In dieser Statistik landen nicht wenige, deren Insolvenz auf gescheiterte Selbständigkeit zurückzuführen ist", sagt Regine Haberfellner, Gründerin der Plattform "Unternehmer in Not". 30 Prozent der "Privaten", die von Schuldnerberatungen betreut werden, geben vormalige Selbstständigkeit als Verschuldungsgrund an. "Da ist die Dunkelziffer derjenigen, die im Stillen ihre Schulden abtragen, noch gar nicht eingerechnet", so Haberfellner. Zu sehen sei nur die Spitze des Eisberges. "Viele Unternehmen sterben leise."

Finanzierung durch Kredite

Das Scheitern hat viele Gründe. Zwei Ursachen sind vorrangig: Managementfehler und Kapitalmangel. Österreichs Klein- und Mittelbetriebe waren immer schlecht mit Eigenkapital ausgestattet. Die durchschnittliche Eigenkapitalquote der Klein- und Mittelbetriebe liegt bei 21 Prozent, ergab eine Studie der KMU Forschung Austria. Das ist sehr wenig. 103.000 Betriebe verfügen über gar kein Eigenkapital. KMU finanzieren ihre Investitionen daher vor allem über Kredite.

In den vergangenen Jahren ist es für sie aber immer schwerer geworden, ein Darlehen zu erhalten. Mitverantwortlich dafür sind neue Richtlinien für die Kreditvergabe, die so genannten "Basel II"- Bestimmungen. Der entscheidende Punkt betrifft die Verpflichtung der Banken, vergebene Kredite durch hinterlegtes Eigenkapital "abzusichern". Bisher mussten sie jeden Kredit generell mit acht Prozent Eigenkapital unterlegen. Nun müssen sie für risikoreichere Kreditgeschäfte mehr Eigenkapital zurücklegen. Um herauszufinden, welche Kredite riskanter sind, werden die Kunden einem "Rating" (Beurteilung) unterzogen. Dabei wird die Bonität des Kunden ermittelt und die Ausfallswahrscheinlichkeit errechnet. Am Ende erhalten die Kunden wie in der Schule eine Note. Wer schlechter benotet wird, zahlt höhere Zinsen für den Kredit. "Das ist gerecht", sagen die Befürworter von Basel II. "Das größere Verlustrisiko der Bank muss sich in den Kosten niederschlagen." Offiziell trat Basel II mit 1. Jänner 2007 in Kraft. Tatsächlich wenden die Banken die Bestimmungen von Basel II aber schon viel länger an. "Ratings gibt es seit fünf Jahren", sagt der Wirtschaftsberater Johannes Fischler. Er arbeitete früher als Kreditkundenberater bei Tiroler Banken und hat die Finanzierungsprobleme von Unternehmern hautnah miterlebt: "Für den Unternehmer als klassischen Kreditnehmer wird es immer schwerer, Geld zu erhalten." Wenn das Röntgenbild des Ratings nicht "stimmt", wenn nicht genug Sicherheiten vorhanden sind, oder das Konto zu oft überzogen wurde, dann wird es eng. Dann gibt es saftige Risikoaufschläge, sodass man bei Kreditzinsen von über zehn Prozent landet. "Da die Banken befürchten, mit derart hohen Zinssätzen ins Gerede zu kommen, lehnen sie einen Kreditantrag einfach ab", so Fischler. Jungunternehmer sind da praktisch chancenlos. Mit dem Lesen und Prüfen von Businessplänen halte man sich daher in den Banken nicht mehr auf. "Die interne Standardrechtfertigung lautete immer: Der bürokratische Aufwand rechnet sich nicht", erzählt Fischler.

Unter die Räder von Basel II kommen aber nicht nur die Neuen und die Jungen. Wenn sich die Noten verschlechtern, trifft es auch die Stammkundschaft. Denn "schlechte" Kunden wollen die Banken nicht mehr haben. "Vor allem die großen Aktienbanken haben begonnen, Kreditkunden mit schlechter Bonität abzubauen", sagt ein Bank-Insider. Ein beliebtes Mittel, um Kunden zu vertreiben ist das Fälligstellen eines laufenden Kredites. "Kunden, die von ihrer Hausbank weggeschickt wurden, bekommen aber anderswo kaum mehr Kredit."

"Gute" Kunden im Vorteil

Es gibt aber auch Kunden mit sehr guter Bonität. Diese "Einserkunden" würden die Banken am liebsten mit Krediten vollpumpen. Müssen sie für sie doch nur einen Bruchteil des Eigenkapitals hinterlegen, das sie für einen Kunden mit schlechter Bonität benötigen. In manchen Geldhäusern gibt es dazu eine "Faustregel": "Ein schwacher Kunde erfordert so viel Eigenkapital wie drei gute Neukunden." Und weil die Wunschkunden sehr genau wissen, wie begehrt sie sind, kommen die Banken nur mit Kampfpreisen zum Zug. Die Gewinner von Basel II sind Kreditnehmer mit gutem Betriebsergebnis, hoher Eigenkapitalquote und exzellenten Sicherheiten. Das bringen meist nur Großunternehmen zustande.

Weil ihnen das Kreditgeschäft mit den Kleinen zu aufwändig und die Darlehensvergabe an die Großen nicht lukrativ genug war, begannen die Banken, auf andere Geschäftsfelder auszuweichen. "Sie haben das Eigengeschäft entdeckt", weiß Johannes Fischler. Statt die Einlagen als Kredite an Unternehmer zu vergeben, steckten sie das Geld in Wertpapiere und derivative Produkte. "Diese scheinbar risikolosen Geschäfte erbrachten in der Vergangenheit stabile Renditen. Also hatten die Banken immer weniger Interesse, sich mit dem von bürokratischen Auflagen bestimmten Kreditgeschäft herumzuplagen."

Wenn aber alle Banken dasselbe machen, dann wird das Finanzsystem instabiler, sagen Experten. Das zeige sich an der gegenwärtigen Kreditkrise. Das im Überfluss vorhandene Geld, der Wunsch nach höheren Erträgen und die Überzeugung, dass es nur noch besser werden kann, brachten die Banken dazu, "immer komplexere Derivate zu erwerben, die von Financial Engineers entwickelt wurden", analysiert RZB-Vorstand Patrick Butler. Damit stieg zwar das Risiko, aber die Banken vertrauten den guten Beurteilungen der Ratingagenturen. Wie die laufenden "Wertberichtigungen" und Kreditausfallsmeldungen der großen Banken inzwischen zeigen, waren die Risikomodelle der Ratingagenturen untauglich und ihre Gütesiegel nicht viel wert. "Dieses theoretische Modell hat den Realitäts-Stress-Test nicht bestanden", lautet das vernichtende Urteil von Patrick Butler.

Selektiv investieren

"Die mittelständischen Unternehmen müssen auf jeden Fall für Basel II zahlen. Solche Unternehmen haben meist wenig Eigenkapital und können kaum Sicherheiten bieten", erläutert Leo Chini, Ökonom am Institut für BWL der Klein- und Mittelbetriebe an der Wirtschaftsuniversität Wien. Das bedeute ein schlechteres Rating und Kreditzinsen von sieben oder acht Prozent. "Bei solchen Zinssätzen kann man nur mehr selektiv investieren. Außerdem benötigen die Unternehmen jetzt viel häufiger die Hilfe des Steuerberaters, um Bilanzen und Zahlenmaterial für die Banken aufzubereiten. Das kostet auch einiges." Zwei Konsequenzen sind für Chini offensichtlich: "Das Einkommen von Kleinunternehmern wird sinken. Und ihre Investitionen werden zurückgehen."

Letzteres ist für Peter Strizik das wirklich Verhängnisvolle an Basel II. Der Vizerektor der Donauuniversität Krems war lange Jahre als Sanierer maroder Unternehmen tätig. "Unternehmen brauchen Kapital, um sich zu erneuern." Bloße Produkterneuerung reiche nicht aus. "Unternehmen müssen sich ganzheitlich erneuern. Nur so können sie wachsen und zukunftssicher werden." Genau dieses Wachstum werde durch Basel II aber erschwert. Aus diesem Grund verlangte auch Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl bereits vor einiger Zeit eine Überprüfung von Basel II.

Dabei sollte die strukturpolitische Bedeutung von Krediten bekannt sein. War doch das österreichische Wirtschaftswunder nach dem II. Weltkrieg auf Kredit aufgebaut. Großbanken wie Länderbank und Creditanstalt stellten den Leitbetrieben Kapital zur Verfügung - und zwar häufig ohne vordergründiges Gewinnmotiv. Umgekehrt versorgten die regionalen Institute die Kleinunternehmen und Haushalte mit den erforderlichen Finanzmitteln. Von "riskoadjustierter Bepreisung" war damals nicht die Rede. Und in wirtschaftlichen schlechten Zeiten wurde nicht auf der Stelle der Kredithahn zugedreht.

Solche Gedanken sind heute nicht populär. Das weiß auch ein Direktor einer regional verwurzelten Genossenschaftsbank. Er sieht die Veränderungen im Kreditgeschäft als Weichenstellung in einem längeren Prozess: "Die international tätigen Großbanken erlangen mehr Einfluss." Daneben gebe es zwar noch die vielen Regionalbanken, die sich der lokalen Wirtschaft verbunden fühlen. Die können ihre Kundennähe und Beweglichkeit aber nicht mehr wie früher ins Spiel bringen. "Die überbordende Regulierungswut nimmt ihnen die Luft zum Atmen", klagt Krieber. Basel II trage entscheidend zu Umgestaltung der Bankenlandschaft bei. Deren Formation lasse sich bereits jetzt erkennen: "Es läuft in Richtung Zweiklassengesellschaft."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung