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Eigenstandige Landwirtschaft

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Seit jeher wurde die Landwirtschaft in ihrer Bedeutung als Nährstand auf der Innsbrucker Messe gebührend herausgestellt. Wir erinnern uns dankbar an die reichhaltigen Schauen aus der fortschreitenden Technisierung der Landwirtschaft, an die Sonderschauen aus Viehhaltung, insbesondere der Haflingerzucht, aus Wald- und Almwirtschaft, aus Obst, Gartenbau und Feldfrüchten und aus der Heim- und Hausindustrie.

Die Landwirtschaft steht mit der Gesamtwirtschaft Tirols in zunehmender positiver Wechselbeziehung vielfältigster Art, bleibt aber doch völlig eigenständig. Wenn zum Beispiel in Südtirol die Landwirtschaftsförderung im Rahmen der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie vor sich geht und damit die Landwirtschaft als eine spezielle Sparte der Gesamtwirtschaft aufgefaßt wird, so gilt in Tirol wie in allen übrigen Bundesländern eindeutig der Grundsatz, daß die Landwirtschaft die natürliche Ausgangsbasis für die Gesamtwirtschaft ist, absolut als Nahrungsmittelproduzent und weitgehend als Rohstofflieferant.

Unsere Landwirtschaft behauptet also ihre Eigenständigkeit trotz ungezählter Verflechtungen mit der Gesamtwirtschaft. Lediglich im Haushaltsplan des Landes Tirol wird wegen dieser Verflechtungen die Landwirtschaft gemeinsam mit der Gesamtwirtschaft unter den Kapiteln „Wirtschaftsförderung und Wirtschaftsunternehmungen“ behandelt. Die effektive Förderung aber erfolgt in scheinbar friedlicher Trennung voneinander. Sprechende Zahlen

Wenn man die Landwirtschaft im Rahmen der Gesamtwirtschaft Tirols einigermaßen richtig herausstellen will, dann sind zunächst einige Zahlen von Interesse.

Seit der Abtrennung Südtirols hat unser Land Tirol noch eine Flächenausdehnung von rund 12.650 Quadratkilometern. Davon sind 23 Prozent (283.750 Hektar) unproduktives Ödland. Hier erweist sich schon die Mangelhaftigkeit unserer Statistik, denn im sogenannten unproduktiven Ödland liegen die weitgedehnten Schnee* und Eisfelder, aus denen unsere gesamte Energiewirtschaft hervorgeht. Ein Wirtschaftszweig, an dem der Bauernstand, gemessen an den Opfern, die er im Wege der Energieproduktion bringt, viel zuwenig Anteil hat.

35 Prozent der Fläche unseres Landes werden forstwirtschaftlich genutzt: mit einer Jahresproduktion von durchschnittlich 800.000 Ijl lllüf(MineTffn“ “H&Iz beinernem1 üesamthblzvör-

?it von rund 60,000.000 Vorratsfestmetern. Die edeutung dieses Rohstoffes gebr wtt'üWr*tieÄ Rahmen der Gesamtwirtschaft Tirols hinaus.

42 Prozent unseres gesamten Landesbodens, das sind etwas mehr als 500.000 Hektar, werden landwirtschaftlich genutzt.

Nach dem vorläufigen Volkszählungsergebnis zählte Tirol am Stichtag vom März 1961 462.476 Menschen. Der bäuerliche Bevölkerungsanteil beträgt nach diesen statistischen Erhebungen noch 18,9 Prozent, das sind 87.576 Personen. Darunter finden sich 54.162 Berufstätige der Land- und Forstwirtschaft, und zwar 19.138 Selbständige, 27.266 Mithelfende und 7758 Unselbständige. Wenn wir nun wissen, daß mit Stand von 1960 das Land Tirol 27.130 bäuerliche Betriebe zählt (pro Betrieb im Durchschnitt nur noch zwei Berufstätige!), dann ersieht man, daß die Zahl der Selbständigen in der Land- und Forstwirtschaft, die mit 19.138 ausgewiesen wird, schon um 8000 differiert. Diese statistische Differenz zum Nachteil des bäuerlichen Bevölkerungsanteils erklärt sich wohl nur durch die zunehmende Zahl von sogenannten bäuerlichen Mischbetrieben, in denen derzeit die zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten gegenüber der landwirtschaftlichen Betriebsform mit ihrem mühevollen, kargen Einkommen überwiegend ist und entsprechend genützt wird.

Ein Vergleich mit der Zeit der ersten Innsbrucker Messen vor etwa 30 Jahren ergibt, daß neben dem Land Salzburg Tirol den verhältnismäßig geringsten Rückgang des bäuerlichen Bevölkerungsanteils aufweist, nämlich 29 Prozent. Alle übrigen Bundesländer weisen Rückgänge zwischen 34 und 5 5 Prozent auf.

Gegenüber der Volkszählung vor zehn Jahren ist die Zahl der bäuerlichen Wohnbevölkerung Tirols von 109.245 (25,56 Prozent) auf 87.576 (18,9 Prozent) abgesunken. Diese Feststellung ist nicht allein für den Bauernstand, sondern vielleicht noch mehr für die Gesamtbevölkerung bedrückend und soll gerade anläßlich einer Messeschau nicht verhehlt werden, weil immer wieder das gedankenlose Gerede vom Schwinden des Bauernstandes zu hören ist und offenbar nicht daran gedacht wird, daß dieser leider schwindende Bauernstand Nährstand des ganzen Volkes ist.

Gewiß, das Land Tirol darf sich nicht einbilden, mit seiner landwirtschaftlichen Produktion das -ganze Landesvolk im Ernstfall ernähren zu können. Tirol ist und war seit jeher Zuschußland, vor allem in Getreide. In Milch- und Molkereiprodukten ist der Bedarf weitgehend, wenn auch nicht ganz gedeckt. Es kann im Ernstfall der Bedarf mit Fleisch und Kartoffeln gedeckt werden.

Der Bauernstand Tirols hält annähernd 7500 Pferde, 200.000 Rinder, 95.000 Schweine, 40.000 Schafe, 10.000 Ziegen und 500.000 Hühner. Die allgemeine Wirtschaftskonjunktur, von deren Auswirkungen unsere Landwirtschaft wohl auch etwas, aber niemals so viel wie jeder andere Berufsstand verspürt und verspüren kann, hat es mit sich gebracht, daß — wie bereits erwähnt — der reine oder eindeutig überwiegende landwirtschaftliche Betrieb vorerst zurücktritt, während die sogenannte Mischbetriebsform zunimmt.

Die zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten unseres Bauernstandes zeigen sich neben der bloßen Hilfsarbeit auf dem reichhaltigen Bausektor noch in zunehmend kleingewerblichen Unternehmungen handwerklicher und hausindustrieller Art, vor allem aber durch den Fremdenverkehr, der die Bedeutung der Landwirtschaft im Rahmen der Gesamtwirtschaft hebt. Landflucht - Stadtflucht

Im allgemeinen wird man sagen können, daß sich, fremdenverkehrsmäßig gesehen, neben der zunehmenden Landflucht eine ebenso zunehmende Stadtflucht zeigt. Damit ist natürlich das Problem der Landarbeitsfjycht keinesfalls gej-.löst, kann aber zu^ejner^ilderunc beitragen •Tatsa^f'isFlkl^rrffflls, ^teß der* Sauerstoff* hungrige Städter sich mehr und mehr vom Fremdenstrom auf das bäuerliche Land hinaustragen läßt, weil er dort am ehesten noch Luft und Wasser, Nahrung und überhaupt die ganze Lebensweise noch in einem mehr oder weniger unverfälschten Naturzustand findet. Das bietet noch weitgehend die Landwirtschaft Tirols, die sich selbstverständlich den Erfordernissen eines zeitgemäßen Fremdenverkehrs mehr und mehr anpaßt.

Hier ist vielleicht noch eine interessante Feststellung einzufügen. Während in innerösterreichischen Bundesländern Bauernhöfe noch und noch feilgeboten werden, kann ich als Landwirtschaftsreferent sagen, daß in Tirol kaum ein Bauernhof feil ist, ja daß wir, im Gegenteil, bestrebt sind, durch entsprechende Strukturmaßnahmen neue Baueriihöfe für bauernwillige Menschen zu schaffen. Dies gerade in den einstmals sogenannten entsiedlungsgefährdeten Zonen, die der Fremde immer lieber aufsucht. Das hat wieder zur Folge, daß auch unsere bäuerliche Jugend auf dem Land wieder bessere Existenzmöglichkeiten findet und unserem Berufsstand, wenn auch derzeit mehr in den Mischbetrieben, erhalten bleibt. Freilich bedingt diese Entwicklung die Fortdauer der Wirtschaftskoniunktur mit dem Weiterblühen des Fremdenverkehrszweiges.

Das Land Tirol, das mit 47 Prozent am gesamten Fremdenverkehrsstrom Österreichs beteiligt ist, erhält nunmehr ein modernes Fremdenverkehrsgesetz und hat schon vor Jahren das sogenannte Privatzimmervermietungsgesetz in gutem Zusammenwirken zwischen Landwirtschaft und allgemeiner Wirtschaft geschaffen. Damit kann der Bauernstand und können unzählige kleine Siedler auf dem Land im zunehmenden Fremdenverkehr eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit finden. Es ist dies wenigstens ein kleiner Ausgleich dafür, daß die Landwirtschaft, im Gegensatz zur übrigen Wirtschaft, an der Hochkonjunktur naturgemäß den bescheidensten Anteil hat, weil die Preise der meisten landwirtschaftlichen Produkte, so vor allem der Milch, dem harten Diktat der Weltmarktpreise unterliegen und die stetig steigenden Sozialumlagen darüber hinaus eine besondere Härte für die Landwirtschaft bedeuten.

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