Ein angemessenes Entgelt für die Leistung

19451960198020002020

Die Zahl der Bauern sinkt - wozu dann noch ein eigenes Agrarministerium? Weil sich wesentliche Fragen der Zukunft an der Gestaltung des ländlichen Raums entscheiden, argumentiert der Autor im folgenden Beitrag.

19451960198020002020

Die Zahl der Bauern sinkt - wozu dann noch ein eigenes Agrarministerium? Weil sich wesentliche Fragen der Zukunft an der Gestaltung des ländlichen Raums entscheiden, argumentiert der Autor im folgenden Beitrag.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Nationalratswahlen am 3. Oktober 1999 werden auch darüber entscheiden, ob sich die bäuerlichen Familien und die Menschen im ländlichen Raum in der neuen Bundesregierung mit einem eigenen Ressort wiederfinden. Die Absicht verschiedener SPÖ-Politiker, das 131 Jahre alte Agrarressort abzuschaffen oder in seiner Kompetenz zu beschränken, wird so lange unrealistisch bleiben, als die ÖVP und damit auch der Bauernbund, der bedeutende politische Persönlichkeiten (Leopold Figl, Eduard Hartmann, Karl Schleinzer) hervor brachte, Regierungsverantwortung tragen.

Zentrale Frage für die Agrarpolitik zu Beginn des neuen Jahrtausends und damit für die Gesamtpolitik wird es sein, eine ökologische Landwirtschaft zu sichern, also die finanziellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

Die große Sorge um die Gesundheit sowie der hohe Grad der Unsicherheit in der Beurteilung von Lebensmitteln lassen die Verbraucher auf öffentlichkeitswirksame Meldungen über echte oder vermeintliche Mängel in der Erzeugung und Bearbeitung oder den Vertrieb Lebensmitteln sehr sensibel reagieren.

Die BSE-Krise, Salmonellenverseuchungen, Klärschlamm in Futtermitteln, gentechnisch veränderte Pflanzen, die Massentierhaltung sowie andere ökologische Sünden in der Erzeugung von Nahrungsmitteln haben das Vertrauen der Verbraucher in die Agrarpolitik schwer erschüttert.

Während die Konsumenten total verunsichert sind, welche Nahrungsmitteln der Gesundheit zu- oder abträglich sind und die Bauern sinkende Einkommen sowie die ungleiche Verteilung öffentlicher Gelder beklagen und einen gnadenlosen Strukturwandel (in der EU geben jeden Tag 500 Betriebe auf) zu bewältigen haben, sorgen die hohen Kosten der europäischen Agrarpolitik nach wie vor für politische Auseinandersetzungen.

Enorm unterbezahlt Für welche Art der Landwirtschaft sollen Förderungen bezahlt werden, ist die Schlüsselfrage und Nagelprobe für die Politik oder anders formuliert: "Kann sich Österreich eine ökologische Landwirtschaft leisten?"

Von der Ehrfurcht vor dem Eigenwert alles Lebendigen, vom Eintreten für Artenvielfalt, von der Erhaltung der Kulturlandschaft wird der Bauer nicht satt! Anders ausgedrückt: Ökologie muß sich rechnen! Wer zahlt aber eine flächendeckende bäuerliche Landwirtschaft, von der so viel gesprochen wird und die durch die Realisierung des Europäischen Agrarmodells langfristig gesichert werden soll?

Ein Vergleich der Einkünfte aus der Land- und Forstwirtschaft (einschließlich öffentlicher Gelder) mit dem Lohnansatz für Familienarbeitskräfte auf der Grundlage der Buchführungsergebnisse 1998 zeigt, daß im unteren Viertel der Einkommensskala bei den Futterbaubetrieben die Differenz zwischen Einkommen und Lohnansatz für die Familienarbeitskraft mehr als 290.000 Schilling beträgt und selbst im obersten Viertel der leistungsstarken Futterbaubetriebe mit Einkünften je Betrieb von rund 530.000 Schilling pro Jahr die Differenz zum Lohnansatz mit etwa 70.000 Schilling nur knapp positiv ist.

Auch bei den Marktfrucht- und Veredelungsbetrieben sind in den unteren Gruppen nur negative Ergebnisse beim Vergleich zwischen Einkünften und Lohnansatz erkennbar. Die Konsequenz: Die kleinen und mittleren Höfe haben unter den derzeitigen (ökologischen) Rahmenbedingungen keine wirkliche Überlebenschance.

Die Erhöhung der Ausgleichszulage für Bergbauernbetriebe, die Weiterführung des Umweltprogrammes (1998: 159.000 Betriebe, 2,94 Millionen Hektar, 7,4 Milliarden Schilling) und verschiedene einzelbetriebliche Förderungsmaßnahmen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zukunft der kleinen und mittleren Bauernwirtschaften mit den derzeitigen agrarpolitischen Instrumentarien nicht rosig ist.

Die Erwerbskombination, von der in Österreich zwei Drittel der Betriebe betroffen sind, hat auch nur dann eine Chance, wenn die Probleme auf dem Arbeitsmarkt bewältigt werden können. Der zentrale Ansatzpunkt für eine umfassende Leistungsabgeltung und damit Honorierung der Multifunktionalität der Landwirtschaft liegt in der Beantwortung folgender Frage: Wie kann für öffentliche Güter ein Markt geschaffen werden? Das Wesen öffentlicher Güter ist nämlich, daß sie jedermann frei zur Verfügung stehen. Sie haben insgesamt einen großen Wert, aber keinen Preis. Ein typisches Beispiel Für ein solches öffentliches Gut ist die Luft.

Und noch eine Frage ist zu klären: Mehr als 70 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich (Agrarstrukturerhebung 1995) sind kleiner als 20 Hektar, wird die Grenze bei 50 Hektar gezogen, dann sind es 93 Prozent. Welche Größe hat aber Zukunft und wieviel Betriebe werden für die Erhaltung der Kulturlandschaft oder für die flächendeckende Bewirtschaftung notwendig sein?

Politik & Prämien Die neue Politik für die ländliche Entwicklung (Agenda 2000) bietet zwar gute Chancen, den Weg für eine flächendeckende bäuerliche Landwirtschaft frei zu machen, ohne dauerhaft gesicherte Leistungsentgelte (Umweltprämien, Ausgleichszulagen) wird diese Politik aber nicht erfolgreich sein.

Für die nächste Legislaturperiode ist deshalb die Umsetzung der Reformen im Rahmen der Agenda 2000 Hauptziel. Das Landwirtschaftsministerium, das heute schon durch seine Kompetenzen Land-, Forst- und Wasserwirtschaft wesentliche Ressourcen in Österreich - mehr als 80 Prozent der Staatsfläche - managt, wird sich verstärkt zu Fragen der Entwicklung ländlicher Regionen zu Wort melden müssen.

Im Projekt Agrar-Zukunft-Österreich sowie im Rahmen des Kongresses "Zukunft ländlicher Raum" im Juni 1999 in St. Wolfgang wurden Perspektiven aufgezeigt.

Welche Entwicklungen zeichnen sich somit ab?

These 1: Die Agrarpolitik wird sich in Hinkunft noch mehr am Markt zu orientieren haben und in eine integrierte Wirtschaftspolitik für den ländlichen Raum münden. Sie wird also in Zukunft weniger als bisher eine sektorale Politik als vielmehr eine territorial definierte sein, die den neuen gesellschaftlichen Prioritäten - Ernährungssicherung, Kulturlandschaft und Umweltleistungen, nachwachsende Rohstoffe, Dienstleistungen also - der Multifunktionalität Rechnung trägt.

These 2: Die Märkte werden sich vermutlich auseinanderentwickeln, und zwar in internationale Massen- und regionale Qualitätsmärkte. Marktordnungen als Instrument der Agrarpolitik und zum Schutze der Landwirtschaft werden an Bedeutung verlieren, Umwelt- und Kulturlandschaftszahlungen an Bedeutung gewinnen. Die Agrarstrukturpolitik wird, wie es auch in der neuen Verordnung für den ländlichen Raum im Zuge der Umsetzung der Agenda 2000 vorgesehen ist, einen hohen Stellenwert erhalten.

These 3: Die Verwirklichung einer flächendeckenden Landwirtschaft in Europa - sie stellt ja das anvisierte Grundmodell der Europäischen Agrarpolitik dar - wird entscheidend davon abhängen, ob es bei den Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) gelingt, ökologische Produktionsstandards zu definieren und die Multifunktionalität der Landwirtschaft als allgemein verbindliches Leitbild zu verankern.

These 4: Die politisch beschlossene Osterweiterung erfordert die konsequente Umsetzung der Agenda 2000. Die Osterweiterung der EU wird aber später als geplant realisiert. Es ist unwahrscheinlich, daß sie vor 2010 vollzogen wird.

These 5: Die europäische Landwirtschaft wird 2010 stärker regional differenziert, marktorientiert und multifunktional sein.

These 6: Die überlebensfähige Gesellschaft in den Industriestaaten wird sich eine ökologische Landwirtschaft leisten müssen.

Fazit: Die Globalisierung verschont auch die Landwirtschaft nicht, die Politik sollte aber die Steuerfunktion der ökonomischen Prozesse nicht vernachlässigen. Das heißt insbesondere: Klare Vorgaben für die Bio- und Gentechnologie.

Der Autor ist Gruppenleiter im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung