7096871-1994_48_12.jpg
Digital In Arbeit

Ein Faß ohne Boden

19451960198020002020

Der Effekt der Entwicklungshilfe ist nicht immer proportional zum finanziellen Input.

19451960198020002020

Der Effekt der Entwicklungshilfe ist nicht immer proportional zum finanziellen Input.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Nachbarn im Osten sind nah. Der Süden ist weit. Österreich ist geschickt. Unser Entwicklungshilfe-Budget ist eines der mickrigsten in Europa. Dafür enthält es Hilfe für Asylbewerber, Katastrophenhilfe, die auf Studenten aus der Dritten Welt entfallenden Kosten der Universitäten und so fort. Anderenfalls sähe unsere Entwicklungshilfe noch mickriger aus.

Entwicklungshilfe sagt man aber nicht mehr so gern. Sie heißt jetzt EZA, Entwicklungszusammenarbeit. Helfen ist Nächstenpflicht, Zusammenarbeit etwas auf gleicher Ebene. Verpflichtet zu nichts. Menschen, denen man hilft, kann man nicht mir nix, dir nix im Stich lassen. Zusammenarbeit kann man jederzeit beenden. Weshalb mir die Hilfe lieber ist.

Entwicklungshilfe ist unter anderem ein Äquivalent dafür, daß die Erste Welt der Dritten Welt durch eine von den Industriestaaten bestimmte Weltwirtschaftsordnung mehr wegnimmt als ihr zufließt. Die Dritte Welt ist ein „Faß ohne Boden“ besonderer Art: Es ist leer und gibt doch immer mehr her. Die Kapitalabflüsse überwiegen die Kapitalzuflüsse einschließlich Entwicklungshilfe. Nach den World Debt Tables 1989/90 der Weltbank, die in diesem Fall gewiß ein unverdächtiger Zeuge ist, stieg der Netto-Kapitaltransfer vom Süden in den Nor den von gut 20 Milliarden US- Dollar (1984) und bereits knapp 40 im Jahr 1986 auf jeweils rund 50 Milliarden in den Jahren 1988 und 1989.

Ein großer Teil der Entwicklungshilfe schafft nicht in den „Nehmer “, sondern in den „Geberländern“ Wachstum. Sachleistungen, Lieferbedingungen, Reise- und Transportkosten und so weiter führen in den Geberländern zu Umsätzen und Arbeitsplätzen. Auch Fehlinvestitionen. Die Fehlinvestitionen und Waffenkäufe nur dort. Ein großer Teil der Kredite wurde leichtfertig vergeben oder den Empfängern förmlich aufgedrängt. Doch Investitionsgüter, die sich als unproduktiv erweisen und verrotten, haben im Geberland ihre Aufgabe erfüllt, Gewinne zu erzielen und mit Steuergeldern überschüssige Produktivkraft zu entsorgen. All dies wird als Entwicklungshilfe ausgewiesen, ohne zu derem Ausgleichseffekt für den Kapitalabfluß beizutragen.

VERFEHLTE MODERNISIERUNG

In den klassischen Industriestaaten war die Landwirtschaft, in der die Produktivität schneller zunahm als in der Industrie und die letzterer die Arbeitskräfte lieferte, Avantgarde der Entwicklung. Das Industrieproletariat, das seine Existenzbasis auf dem Land verloren hatte, wurde in einer extremen Ausbeutungsphase in Armut gehalten, bis die Produktion einen Umfang erreichte, der es nötig machte, die Masse der Produ zierenden mehr und mehr auch in den Konsum einzubeziehen. Dies war eine wesentliche Voraussetzung aller weiteren sozialen Entwicklungen. Heute sind gegenläufige Tendenzen am Werk.

Es war leicht, die traditionellen Landwirtschaften der Entwicklungsländer, die der Selbst- und Nahver- sorgung dienten, zu zerstören oder sterben zu lassen und mit den „freiwerdenden“ Arbeitskräften die klassische Voraussetzung für Industrialisierung zu schaffen. Dies geschah aber in einer Phase rapider Rationalisierung in der Industrie. Die Landbevölkerung verlor ihre Existenz, die jungen Industrien gewannen zu wenige Konsumenten und Mega-Städte mit explodierenden Mega-Slums sind die Folge.

Vereinfacht gesagt (wie alles in diesem kurzen Beitrag): Da die Industriestaaten den Afrikanern keine Chance geben, Traktoren zu bauen, nutzen ihnen geschenkte wenig. Sie schaffen kaum Arbeitsplätze. Änge- sichts der weltweiten Brutal-Ratio- nalisierung tendiert die Chance der Afrikaner auf genug Industrie-Arbeitsplätze gegen null. Weshalb man ihnen am ehesten hilft, wenn man jene Menschen, die noch in den Dörfern leben, in die Lage versetzt, dort zu bleiben und ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Verbesserung der Landwirtschaft genügt dazu nicht. Es muß auch etwas Einkommen geschaffen werden - vor allem für die Frauen. Das bedeutet handwerkliche Produktion für einen Markt mit sehr geringer Kaufkraft. Es muß auch etwas für die Gesundheit getan werden. Die Lernwilligen müssen Lesen lernen, um anderes lernen zu können. Auch die Wasserversorgung muß verbessert werden. Der Oberbegriff dazu heißt: Integrierte ländliche Entwicklung. Der Ober-Oberbegriff: Grundbedürfnisstrategie.

Integrierte ländliche Entwicklung bringt zwar wenig Geld ins Land (zuviel wäre kontraproduktiv), dafür aber einige materielle Notwendigkeiten (etwa Ochsen und Achsen für Ochsenkarren), vor allem aber Know-how, Wissen, Fähigkeit, sich zu helfen. Der lokale Effekt ist nicht am finanziellen Input zu messen und drückt sich, da er die Selbstversorgung stärkt, auch nicht im Bruttoso-zialprodukt des Empfängerlandes aus. Er kann aber sehr groß sein.

DAS LAND ENTWICKELN

Österreich tut mit einem Teil seines EZA-Budgets einiges in dieser Richtung, das sich sehen lassen kann. Genauer: Der Kirche nahestehende Organisationen tun es, aber zu einem großen Teil mit staatlichem Geld. Was aber nicht als Alibi für unsere Budget-Schlaumeiereien verstanden werden soll.

Vor Ländern, die mehr für EZA ausgeben, es aber zur Exportförderung umfunktionieren (was uns auch nicht ganz fremd ist) oder zur Förderung ihrer Großmachtpolitik zweckentfremden, auch wenn sie keine Großmächte mehr sind, müssen wir uns vielleicht nicht verstecken. Vor den Skandinaviern und Holländern aber sehr wohl.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung