Ein griechisches Suchbild

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Der Streit um Griechenlands Schulden wird mit kontraproduktivem Pathos geführt. Eine Analyse über das Tauziehen und was ihm am dringendsten fehlt: Pragmatismus.

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Der Streit um Griechenlands Schulden wird mit kontraproduktivem Pathos geführt. Eine Analyse über das Tauziehen und was ihm am dringendsten fehlt: Pragmatismus.

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Die Politik, die sich derzeit in und gegenüber Griechenland entfaltet, hat zwei Ebenen. Die eine ist die der Pragmatik. Man sah sie am Montag, als der griechische Premier Alexis Tsipras in Berlin zu Gast war und von Angela Merkel empfangen wurde und beide freundlich zueinander waren und die unverbrüchliche Freundschaft der Völker gelobten.

Die andere Ebene ist jene des Pathos - und das ist gar nicht despektierlich gemeint. Jede Nation sucht und findet ihre Selbsterhöhung, der Deutsche genauso gut wie der Grieche oder der Österreicher. Das griechische Pathos sah man am Mittwoch in Athen aufmarschieren. Dass Land gedachte da in einer Militärparade der Revolution der Griechen gegen das Osmanische Reich. Am 21. März 1821 trat der Metropolit von Patras eine weiße Fahne mit dem Blauen Kreuz segnend vor seine Kirche und rief: "Eleftheria i Thanatos!" - Freiheit oder Tod. Das war das Signal zum Aufstand. Dass der edle Metropolit Germanos hieß, kann als historische Spitze durchgehen, gemessen an den Höflichkeiten (etwa gereckte Mittelfinger), die derzeit abseits von Tsipras-Besuchen zwischen Berlin und Athen ausgetauscht werden.

In Athen und in Deutschland (oder auch dem Rest der Euro-Gruppe) entfaltet sich so ein zweifaches Suchbild. Auf dem einen, dem der Pragmatik, sucht man Geld, auf dem andern, dem des Pathos, die höhere Moral und Ehre, die die Finanzen vergessen macht. Am Mittwoch wurden die beiden Politiken in Athen selbst gut sichtbar. Denn die neue griechische Regierung hatte eigentlich die millionenteure Parade zu Ehren des Aufstandes von 1821 absagen wollen. Doch nun wurden flugs Mittel dafür bereitgestellt, und das angesichts einer drohenden Staatspleite, wie die Pragmatik hier mahnen würde. Aber, so würde das Pathos antworten, gibt es denn Erhabeneres als griechische Militärjets über Athen showfliegen zu sehen, in einer Zeit, in der die Athener Regierung ihre Forderung nach Milliarden-Kriegsentschädigung mit deutschen Bombern über der Akropolis illustrieren lässt?

Pathos stiften ist leicht

Daran schon lässt sich ablesen, wie leicht Pathos zu stiften ist und wie schwer Pragmatik. Das Pathos singt spannende Heldenlieder, die Pragmatik öde Rechtstexte, Verträge und Zahlen. Was würde also die fade Pragmatik sagen? Sie würde sich wohl eher jenen 22 Milliarden Euro widmen, die das griechische Beamtentum samt Pensionen jährlich kostet. 30.000 Beamte wurden zwar während der vergangenen drei Jahre in die "Reserve" versetzt (eine Art Kurzarbeit mit massivem Lohnverzicht). Das Pathos der neuen Regierung aber meint, diese Sparmaßnahme sei Teil einer nationalen Entwürdigung.

Zwischen diesen beiden Meinungen tut sich das eine oder andere Geschäft auf. So ist der Beamtenminister ein Anwalt, der von Berufs wegen gekündigte Beamte gegen den Staat vertreten hat und der ein Erfolgshonorar kassiert, wenn er eine Wiedereinstellung erreicht. Und was tut er also als Minister? Er stellt Leute wieder ein.

Auf der anderen Seite hatten aber auch die Experten der Troika ihr ganz eigenes pathetisches Zeremoniell. Denn niemand muss monatelang im Luxushotel logieren, während er einfachen Menschen die härtesten Sparmaßnahmen aufzwingt. Niemand wohlgemerkt, so er nicht eine übertriebene Sicht des eigenen Selbst hat - und des Unwerts der anderen.

Und was diesen Selbstwert der Troika betrifft, auch den darf man hinterfragen: Denn niemand muss den Verkauf von Staatseigentum in einer Art und Weise durchführen, in der hinter der Hochglanz-Privatisierungs-Fassade nur noch kaufmännische Idiotie zu finden ist. Als Teil fürs Ganze kann da die Veräußerung des ehemaligen Athener Flughafens gelten. Es handelte sich um ein Gelände von mehreren Hektar in bester Meereslage. Verkauft wurde es in einem einzigen Stück an den einzigen Bieter.

Doch zurück zum Geschäft der Regierungen. Wie findet man eigentlich zu politischer Pragmatik, wenn seit 50 Tagen ausschließlich daran gefeilt wird, ob man dem Gegenüber denn nun eigentlich "Vertrauen" entgegen bringen könne, und zwar für Verhandlungen, die - mit oder ohne Wohlfühlfaktor - vertraglich schon längst unter Dach und Fach sein sollten? Hier steht auf der einen Seite die nach Wildwest duftende Forderung, "Einer von uns beiden muss nun gehen"(Die Welt), die auch gerne vom bayrischen Finanzminister Söder und Teilen der CDU unterstützt wird. Auf der griechischen Seite überschlagen sich die Minister aus den Reihen des nationalistischen Regierungspartners der SYRIZA mit bizarren Drohungen, etwa, man werde Deutschland terrorbereite Migranten schicken.

Was die Pragmatik betrifft, scheint die Regierung in Athen größeren Aufholbedarf zu haben. Es geht dabei vor allem um Sanierungskonzepte. Nach sechs Treffen der Eurogruppe, in der Athen keine Zahlen vorlegen konnte, blieb Alexis Tsipras trotz gegenteiliger Zusicherung auch am Montag konkrete Daten schuldig. Ohne diese Daten aber (und deshalb ohne weitere Finanzhilfe) wird das Land am 9. April in den Bankrott schlittern.

Die in Berlin vorgebrachten Eckdaten Tsipras' sollen zwar 76 Milliarden Euro einbringen. Aber eine Steuererhöhung auf den Urlauberinseln wird diese Summe wohl nicht erbringen. Es ist auch eine gute Idee, wenn man nach fiskalischen Vaterlandsverrätern sucht, wie Athen das tut: 3,7 Millionen Griechen und 447.000 Firmen zahlen demnach keine oder zu wenig Steuern. Aber was helfen verschärfte Gesetze, wenn die Reichen ihren Reichtum in der Schweiz geparkt haben, die griechische Finanz sich aber immer noch nicht mit den Schweizer Behörden ins Einvernehmen gesetzt hat? Und was hilft es, wenn es immer noch Statistiken gibt, die die griechischen Pensionisten als reicher als den deutschen Renner einstufen? Dass eine Antwort auf diese Fragen bis heute nicht gelungen ist, verheißt der Pragmatik eine fürchterliche Zukunft.

Dabei hat sie es ja nirgendwo leicht auf der Welt. Gewiss hätte sie ja auch die Revolution der Griechen von 1821 ganz anders gesehen als das Pathos. Nicht ohne Ironie hätte sie verkündet, dass nach dem Aufstand ein Deutscher König der Griechen wurde. Und wenn das Pathos darüber entsetzt die Augen rollte, würde die Pragmatik ihn tätscheln und meinen: "Na komm, sind doch nur olle Karmellen."

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