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Ein guter Bauer geht nicht unter

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In eine neue Welt sind Österreichs Bauern eingetaucht: Die EU bietet Chancen, aber können sie rechtzeitig genützt werden?

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In eine neue Welt sind Österreichs Bauern eingetaucht: Die EU bietet Chancen, aber können sie rechtzeitig genützt werden?

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Hektik in den österreichischen Landwirtschaftkammern: Das Jahr 1995 beschert nach den Worten des neuen Landwirtschaftsministers Wilhelm Molterer Österreichs Bauern und der gesamten Agrarwirtschaft des Landes „den größten Einschnitt in diesem Jahrhundert”. Nicht nur die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte wird, sondern auch die Bauern werden auf die neue Situation reagieren müssen. Momentan wirkt alles chaotisch: Ministerium und Landwirt-schaftskammern reden zwar viel von der notwendigen Information, die sie den Bauern auch zu geben bereit sind, konkrete Fragen können dann aber doch nicht beantwortet werden, weil man über viele noch gar nichts Genaues weiß.

Molterer sprach bei einer Pressekonferenz am Vorabend des österreichischen EU-Beitritts von der detaillierten Diskussion, die der grundsätzlichen, ob Österreichs Bauern die Integration überhaupt wollten, folgen muß. Jetzt geht's darum zu klären, was der gewünschte (?) Beitritt zur Europäischen Union konkret für den Milch-, Körndl-, Wein-, Obstbauern und den Tierhalter eigentlich bedeutet. Der Land-wirtschaftsminister konstatierte eine abwartende Haltung vieler Bauern: Noch gilt es Erfahrungen zu sammeln, „wie das mit der Förderung und Administration überhaupt funktioniert”.

In der Tat hat für Österreichs Bauern am 1. Jänner eine gänzlich neue Welt begonnen. Der Landwirtschaftsminister muß zweckoptimistisch sein. Er blickt auf die österreichischen Vorbereitungen zurück: Die im Solidarpakt (Seite 10) festgelegten Leistungen an die Landwirtschaft können fristgerecht erbracht werden. Die österreichischen Marktordnungen und der Importschutz sind außer Kraft getreten und wurden durch die EU-Marktordnungsregelungen ersetzt, was konkret für den österreichischen Konsumenten bei etlichen Lebensmitteln Verbilli-gungen mit sich bringt, für den Bauern allerdings sinkende Preise. Der Preisschock wird mit den EU-Marktordnungsprämien (Seite 10) und degressiven Ausgleichszahlungen für eine Vielzahl von Produkten abgefangen. Für die Verarbeitungsund Lebensmittelindustrie wurden Lagerabwertungen festgelegt, damit der Umstieg vom bisherigen österreichischen Preisniveau auf das EU-Preisniveau bewältigt werden kann. Rohstoffe, die bisher zu höheren österreichischen Preisen eingekauft wurden, haben österreichische Betriebe ab jetzt zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung.

Um den Bauern das Überleben zu ermöglichen, wird es eine äußerst intensive Marktbeobachtung geben. Der im Landwirtschaftsministerium angesiedelte Agrarmarkt Austria (AMA), wird Preisbeobachtungen durchführen. Molterer kritisierte scharf, daß bereits stattgefundene Preissenkungen für die Bauern, beispielsweise bei Schweinefleisch, nicht an die Konsumenten weitergegeben wurden.

Nur das Verhalten des österreichischen Konsumenten, so Molterer, kann hier den österreichischen Bauern helfen. Die Philosophie dahinter: Man sollte doch patriotisch kaufen und das qualitativ höherwertige österreichische Agrarprodukt dem vielleicht minderwertigeren, aber billigeren ausländischen Erzeugnis vorziehen. Molterer wörtlich: „Österreichs Konsumenten entscheiden beim Kauf von Lebensmitteln über die Zukunft der österreichischen Landwirtschaft”, auch als Pflege der Kulturlandschaft. Konkret geht der Landwirtschaftsminister davon aus, und das sagt er auch den Bauern, „daß eine Reihe von ausländischen Anbietern versuchen werden, durch Kampfangebote österreichische Produzenten aus dem Feld zu schlagen. Da aber auch die Preise der österreichischen Produkte sinken werden, sollte es den Konsumenten leicht fallen, patriotisch einzukaufen.”

Zwei Dinge fallen auf: Von der Erschließung neuer Exportmärkte für Österreichs Landwirte über die Verkaufsidee, Österreich sei der „Feinkostladen Europas”, wird nicht mehr viel gesprochen, wenngleich immer wieder darauf hingewiesen wird, daß Konsumenten bei österreichischen Produkten auch weiterhin mit hoher Qualität rechnen könnten und die Sicherheit hätten, daß diese den Standards unseres Lebensmittelkodex entsprechen.

Zweitens wird jetzt, da es offenbar vielen Bauern um den Hals eng wird, immer öfter auf ausländische verarbeitete Agrarprodukte mit dem Finger gezeigt, mit dem Tenor, man wisse nicht immer so genau, welche Konservierungs- und Farbstoffe darin enthalten seien. Vorher, als es um den EU-Beitritt ging, schob man Warnungen ganz locker beiseite.

Was Minister Molterer nicht gerne hört, ist der Begriff Bauernsterben. Da greift der Raucher ganz schnell zu einer neuen Zigarette. Niemand war und sei in der Lage zu sagen, welche Bauern überlebensfähig sein werden. Eine einzelbetriebliche Bestandsgarantie könne er nicht abgeben. Vertrauen ist da: in die jungen Bauern, die die Ärmel aufkrempeln und sagen, wir schaffen es, wir können mithalten. Kritik übt Molterer an den Genossenschaften, die notwendige strukturelle Maßnahmen und Rationalisierungen nicht rasch genug durchgeführt hätten. Das Oberziel müsse eigentlich immer die Optimierung des Preises für den Erzeuger sein.

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