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Ein Kodex der Moral?

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Vom Strafrecht wird behauptet, es sei der Moralkodex eines Volkes. Wie sieht es von daher gesehen mit der Moral in unserem Landes aus?

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Vom Strafrecht wird behauptet, es sei der Moralkodex eines Volkes. Wie sieht es von daher gesehen mit der Moral in unserem Landes aus?

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Beginnen wir mit der Befundaufnahme der Kriminalität an sich. Langfristig gesehen steigt die Kriminalität in unserem Lande. Gerade der internationale Vergleich zeigt, daß das Ausmaß der Kriminalität von dem Funktionieren sozialer Strukturen abhängig ist. In 1 eilen Südostasiens ist die Kriminalität daher wesentlich geringer, in den Slums riesiger Städte westlicher Prägung wesentlich höher als in Osterreich.

Da diese Sozialstrukturen sich auch in Österreich immer mehr auflösen, steigt konstant die Kriminalität. Das Strafrecht kann die sozialen Bindungen, wie sie in der Familie, im Dorf, in Berufsgemeinschaften oder idealistischen Freizeitgruppen bestehen, nicht wieder knüpfen.

Die generalpräventive Wirkung des Strafrechtes wird weit überschätzt. Die Rückfallstatistik zeigt, daß die Art der strafgerichtlichen Sanktion keinerlei Einfluß auf die Rückfallshäufigkeit hat.

Auch spezialpräventiv befriedigt das Strafrecht nicht die Erwartungen. Ein relativ kleiner Teil von Tätern verantwortet den größten Teil der gesamten Kriminalität, wenn man die Verkehrsunfälle ausklammert. Diese Kriminellen in die Gesellschaft zurückzuführen, vermag der Staat mit seinen Mitteln nicht. Einzelpersonen haben mitunter erstaunliche Erfolge, aber das kann von Staats wegen nicht geleistet werden. Der Täter-Opfer-Ausgleich bei Jugendlichen und zögerhch bei Aggressionskriminahtät Erwachsener versucht dem gegenzusteuern und soziale Netze wieder fester zu knüpfen. Das hat Zukunft, ist aber aufwendiger als das herkömmliche Srafverfahren. Hoffentlich macht es sich bezahlt.

Es bleibt aber die Frage offen, wie man mit dem harten Kern der Kriminellen umgehen soll. Der kanadische Justizminister hat anläßlich eines Besuches in Österreich als eines seiner größten Probleme die Frage bezeichnet, ob man gefährliche Straftäter nach voller Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe wieder auf die Gesellschaft loslassen könne. Das wird bei uns aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gar nicht diskutiert, ist aber ein kriminal-und sozialpolitisches Problem!

Daß Kriminalität auch ein grenzüberschreitendes Problem ist, ist sattsam bekannt und über die organisierte Kriminalität, wie sie in Konkurrenz zur staatlichen Ordnungsmacht tritt, wurde schon hinreichend geschrieben. In der Befundauflistung soll dies nicht übersehen werden.

Nunmehr zur Rechtsentwicklung: an das Strafrecht gibt es sehr divergierende Wünsche. Im Rahmen der Bekämpfung der Kinderpornographie oder der Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe wurde die verhaltenspädagogische Wirkung der Norm hochgepriesen. Die Werbung für homosexuelles Verhalten soll hingegen nicht mehr unter Strafe gestellt sein, denn davon ginge keine verhaltenssteuernde Wirkung aus. Die Freiheit der Kunst auf Kosten der Beligion wird gutgeheißen, die Meinungsfreiheit siegt auch weiterhin über den Ehrenschutz, im Bereich des Verbotsgesetzes herrschen völlig andere Vorstellungen über die Wirkungsweisen strafrechtlicher Sanktionen. Grundrechtsschutz und Verbrechensaufklärung geraten bei den Debatten um Lauschangriff und Rasterfahndung — aber nicht nur dort - in Konflikt. Der Staat läßt Fernsprechmöglichkeiten zu, von denen er weiß, daß sie nicht mehr überprüfbar sind.

Die Kosten haben bisher bei der Verbrechensaufklärung überhaupt keine Rolle gespielt. Die Sachverständigenprozesse nehmen im Wirtschafts- und Umweltstrafrecht laufend zu. Die Kosten im WEB-Verfah-ren haben die der Unterwasseraufnahmen an der Lucona längst in den Schatten gestellt. Hier wird es ansatzweise auch Verhältnismäßigkeitsüberlegungen geben müssen.

Die Bechtsmaterie wird durch die Häufigkeit der Novellen und die Vielzahl von Gesetzen immer unübersichtlicher. Ohne Computer kann der geltende Bestand an Bechtsnormen vom Fachmann nicht mehr festgestellt werden. Wie soll da eine Strafennorm motivierend wirken? Dazu kommt, daß die Überlagerung von EU-Recht im Bereich des Ausführungsverbotsgesetzes, des Devisengesetzes, Kartellgesetzes, des Lebensmittel- oder Weingesetzes die Rechtslage völlig verwirrt.

Schließlich sei im Strafprozeßrecht darauf hingewiesen, daß das anglo-amerikanische und das kontinentaleuropäische System einander noch immer unversöhnlich gegenüberstehen, wenn auch manche Elemente, wie die der Waffengleichheit, in den österreichischen Strafprozeß übernommen wurden. Aus dem Fernsehen kennt man das von den Parteien ge führte Verfahren in England und de: l USA, in dem der Richter mehr ein schiedsrichterliche Funktion hat und auf die Einhaltung der Spielregeln achtet. Im kontinentaleuropäischer im Fernsehen weniger anzutreffen den Verfahren ist der Richter Herr de s Prozesses. Er führt das Verfahren um! sucht den Täter zu überführen, sodaß der Angeklagte vielfach Richter um! Staatsanwalt gar nicht unterscheiden kann. Jedenfalls nicht am Tonfall. De r Umgang des Richters mit Beschuldig ten und Zeugen, wie dies aus dieser Prozeßrolle entsteht, wird die Justiz in Zukunft beschäftigen müssen, ohne daß wir deshalb den angloamerikani sehen Strafprozeß als solchen nach ahmen wollen.

Selbst dieser flüchtige Befund zeigt schon die restlose Überforderung eine > jeden Regierungsprogrammes auf dem Gebiet der Strafrechtspolitik.

Wie ist das nun mit dem Strafrecht als Moralkodex? Nicht überzeugend, Aber im Kernbereich hat's doch wag für sich.

Der Autor ist

Generalanwalt in Bundesministerium für Justiz.

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