"Ein reinigendes Gewitter"

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Ist das Misstrauen gegenüber den Kapitalmärkten berechtigt? Rentiert es sich, Aktienfonds als Pensionsvorsorge zu verwenden?

Vertrauen und Finanzmärkte konstituieren einen fundamentalen Widerspruch!" Mit dieser provokanten These beginnt Stephan Schulmeister sein ausführliches Eingangsstatement. Denn die Spiele auf den Finanzmärkten, so der Wirtschaftforscher weiter, produzierten Unsicherheiten und gleichzeitig Chancen. Sie seien bestimmt von kurzfristigem Denken und Emotionen wie Euphorie, Panik oder Geldgier, die sich zu Herdeneffekten kumulieren. Je freier sich die Marktkräfte auf den Finanzmärkten entfalten könnten, etwa durch Innovationen wie Derivate, desto instabiler entwickelten sich Aktienkurse, Zinssätze, Wechselkurse und Rohstoffpreise - also die wichtigsten Preise, die zwischen der Realwirtschaft und der Finanzwirtschaft vermitteln. Daher würden die Aktivitäten auf den Finanzmärkten die realwirtschaftliche Dynamik dämpfen. Im Gegensatz zu Gütermärkten werde auf den Finanzmärkten nur umverteilt. Wenn z. B. ein Devisenhändler glaubt, der Euro werde abwerten, der andere, er werde aufwerten, und sie ins Geschäft kommen, bleibt das ein Nullsummenspiel, bei dem nichts geschaffen wird. Der eine gewinnt, der andere verliert. Die zweite Art der Umverteilung sei die zwischen Profi und Amateur. Beim Aktienmarkt könnten - solange die Kurse steigen - alle reicher werden, ohne dass jemand dafür bezahlen müsse. Doch wie bei einem Pyramidenspiel sei dieser Prozess endlich. Je mehr sich der Aktienmarkt von dem entferne, was real dahinter stehe, desto eher käme der Zeitpunkt, wo wie im Märchen "des Kaisers neue Kleider" jemand auftrete und sage "die Internet-Aktien sind ja nackt!" Insider, wie die Manager der eigenen Firma, wüssten früher, wann der Zeitpunkt zum Ausstieg gekommen sei, als der Normalverbraucher, der dann letztlich die Zeche bezahlen müsse.

Wenn die Verlierer ausscheiden, müsse es, damit das Spiel weitergehen kann, immer neuen Zustrom von Kapital geben. Und um stets neues Kapital für dieses Umverteilungsspiel zu gewinnen, habe man vor etwa 20 Jahren in den USA ein reales Problem, nämlich die Pensionssicherung, mit dem Kapitalbedarf verknüpft. Die Pensionsfonds würden ständig neues Kapital für dieses Spiel aufbringen, das in die Ideologie des Neoliberalismus eingebettet sei. Der Finanzkapitalismus sei im Interesse der großen Vermögen, nicht aber in dem der kleinen und mittleren Unternehmen.

Erwartungsgemäß ernteten diese Thesen in der folgenden Diskussion heftigen Widerspruch.

Richard Schenz: Ich sage noch immer mit ruhigem Gewissen, dass man Aktien zur Pensionsvorsorge kaufen sollte. Denn aus dem, was Herr Schulmeister vorträgt, folgt doch, dass wir weiter bei dem primitiven System der Kreditvergabe über die Banken bleiben sollten und beim Umlageverfahren der Pensionssicherung. Als Politiker müsste man aber den jungen Leuten heute sagen, dass sie vorsorgen und sich eine dritte Säule der Pensionssicherung aufbauen sollen, denn die erste Säule wird in 15 bis 20 Jahren auf Grund der demografischen Entwicklung nicht mehr so sein, wie sie heute ist. Man müsste den Erwerbstätigen die Unterhose ausziehen, um die Pensionisten zu erhalten. In 15 bis 20 Jahren lässt sich mit einem Portfolio von Aktien und Anleihen (nicht mit Einzeltiteln) mit großer Sicherheit eine gute Altersicherung aufbauen. Vor allem mit österreichischen Titeln, die massiv unterbewertet sind. Was in den USA passiert ist, wäre bei uns nie möglich. Wir erleben derzeit ein reinigendes Gewitter. Man wird dort jetzt Regeln einführen, die wir längst haben.

Claus Raidl: Es ist für mich ein Phänomen, dass ein so belesener und wissenschaftlich arbeitender Mensch wie Herr Dr. Schulmeister immer wieder die gleichen Thesen bringt, obwohl sie in der Praxis schon hundertmal falsifiziert wurden. Sie bauen sich den "guten Realkapitalismus" auf und den "bösen Finanzkapitalismus", obwohl das Kapitel 1 jedes Volkswirtschaftslehre-Lehrbuchs den Güterkreislauf und den Finanzkreislauf beschreibt. Das heißt, es geht nicht ohne Finanzierung! Der Kapitalmarkt, die Börse, die Aktien sind ja nicht ein Wert an sich, sondern erfüllen die Funktion der Finanzierung. In Europa sammeln die Banken das Geld der Leute ein, schlagen ihre Zinsspanne drauf und stellen der Wirtschaft das Geld in Form von Krediten zur Verfügung. In den USA sammelt die Börse das Geld der Leute ein und stellt es direkt der Wirtschaft zur Verfügung. Der einzelne übernimmt damit das Risiko, hat aber auch die Chance, mehr zu verdienen.

Es kommt also darauf an, wie man das Risiko verteilt. Alle historischen Vergleiche zeigen, dass sich langfristig Aktien besser als Anleihen verzinsen.

Stephan Schulmeister: In den USA finanziert der Aktienmarkt die unternehmerische Investition überhaupt nicht mehr. Die amerikanische Notenbank hat berechnet, dass die Aktienrückkäufe der großen Konzerne seit 20 Jahren weit größer sind, als die Neuemissionen durch die jungen Unternehmen. Das heißt, die Menge der Aktien ist zurückgegangen. Das hatte dramatische Konsequenzen: Wenn man das Angebot gleich lässt, und gleichzeitig die Nachfrage stark steigt, insbesondere durch die expandierenden Pensionsfonds, so ergibt sich ein fantastischer Aktienbubble, den wir auch erlebt haben. Zwischen 1982 und 2000 haben sich die Aktienkurse der USA verzwölffacht, der reale Unternehmenswert ist aber im gleichen Zeitraum nur um 150% gestiegen. Noch grotesker ist diese Entwicklung in Deutschland: Der DAX ist noch stärker gestiegen als der S&P 500 - aber jetzt auch stärker zurückgegangen. In der Prosperitätsphase der Nachkriegszeit war es genau umgekehrt. Der reale Wert der Unternehmen hat sich versechsfacht, der Aktienwert ist kaum gestiegen.

Daher bin ich überzeugt, dass es gestaltbar ist, wie viel Unsicherheit ein ökonomisches System produziert. Und aufgrund meiner Forschungen komme ich zu dem Ergebnis, dass auf keinem anderen Markt die Annahmen der neoliberalen Theorie so desavouiert werden wie auf den Finanzmärkten. Denn die neoliberale Theorie behauptet: Alle Akteure sind rein rationale Wesen und handeln nur als Individuen. Dabei sind die Akteure ungeheuer emotionell und die Vernetzung dieser Emotionen führt systematisch zu manisch-depressiven Schwankungen der Finanzmärkte. Niemand klärt darüber auf, dass die Empfehlungen des Neoliberalismus von "mehr privat, weniger Staat" bis zu den Maastricht-Kriterien nicht fundiert sind, wenn die Annahmen der Theorie nicht zutreffen.

Wir leben in einer Welt, in der sich die Illusion immer mehr verbreitet hat, dass man vom Tausch Geld gegen Geld reich werden könnte - George Soros hat das die "Alchemie der Finanzen" genannt. Doch aus nichts wird nichts! Auf den Finanzmärkten wird umverteilt, aber nichts produziert.

Und zum Thema Demographie und Finanzsystem: Die Tatsache, dass die Zahl der Erwerbstätigen im Vergleich zu den Pensionisten sinken wird, hat mit der Frage, wie ich den Unterhalt der Alten finanziere, nichts zu tun. Das sind zwei verschiedene Probleme: Die Volkswirtschaft produziert einen Kuchen, das BIP. Wenn nun der Anteil der Menschen, die den Kuchen nicht mehr selber erarbeiten, größer wird, dann müssen die Aktiven den Älteren ein größeres Stück vom Kuchen abgeben. Entweder zahlen die Jungen wie beim Kapitaldeckungsverfahren in den Finanzsektor ein, der es an die Alten auszahlt, oder man zahlt in die soziale Pensionsversicherung, die allemal billiger ist. Man braucht nur die Gehaltsniveaus zwischen Goldman & Sachs und der Österreichischen Pensionsversicherungsanstalt vergleichen.

Schenz: Beim Kapitaldeckungsverfahren baut sich jeder langfristig eine Vermögenssäule auf, wobei etwas Vernünftiges entsteht. In Luxemburg hat man geregelt, dass für eine Person, die 40 oder jünger ist, der Anteil der Aktien in der privaten Pensionsvorsorge höher sein kann. Ist die Person schon älter, soll der Aktienanteil geringer sein, weil die Aktien ja nur langfristig gewinnen.

Schulmeister: Eine ökonomische Korrektur: Das Kapitaldeckungsverfahren ist in dem Sinn auch ein Umlageverfahren, dass in jedem Jahr die Aktiven in den Finanzsektor einzahlen, und dieser zahlt gleichzeitig die Pensionen aus.

Schenz: Aber jeder hat sein Konto, bei der Sozialversicherung nicht!

Raidl: Zurück zur Frage "Vertrauen in Kapitalmärkte?": Vor einigen Jahren hatten wir in Österreich keine Insiderregeln, keine strengen Publizitätsvorschriften, und die Börse war nicht gut konstruiert. Kurz, es fehlten die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Ich habe das selber immer kritisiert. Doch heute trifft das nicht mehr zu, unsere Standards können mit den strengen Standards in New York oder London mithalten.

Der österreichische Kapitalmarkt hat andere Probleme: Er ist klein, hat lauter small caps, wenig Aufmerksamkeit der Analysten, und weil er klein ist, bildet er für viele Investoren eine Art Liquiditätsfalle. Denn wenn ein Investor mit einem großen Paket raus will, sinkt sofort der Kurs. Das sind strukturelle Probleme, weil wir ein kleines Land sind.

Schenz: Um diese Probleme zu entschärfen, brauchen wir mehr Volumen. Die Wiener Börse ist mit einer Marktkapitalisierung von 15% des BIP Schlusslicht in Europa, der Schnitt liegt bei 110%. Also mehr Unternehmen an die Börse! Doch der Österreicher kauft ja bekanntlich nicht nach Preis, sondern nach Rabatt, daher sind steuerliche Anreize geplant. In den nächsten Jahren werden 55.000 Unternehmen übernommen werden. Es ist denkbar, dass die Erbschaftssteuer rückvergütet wird, für den Teil eines Unternehmens, der an die Börse gebracht wird. Bei der Nachfrage bildet die kapitalgedeckte, dritte Säule der Altersvorsorge das Kernstück. Der Kapitalmarkt hat derzeit eine Delle, wegen krimineller Machenschaften in den USA. Doch wir sollten deshalb nicht auf ihn verzichten.

Das Gespräch zeichnete Christian Brüser auf.

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