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Eine hochgradige Uberfrachtung
Auch dem Problem der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs nähert sich der ÖGB nicht mit der nötigen wachen Aufmerksamkeit, die die Dramatik der Situation erfordert. Wir haben ein ernstes Arbeitskostenproblem. Die heutigen Arbeitskosten haben nur mehr sehr eingeschränkt etwas mit dem Austausch von Arbeitskraft für unternehmerische Zwecke zu tun. Sie sind eine liebgewonnene, aber hochgradig überfrachtete gesellschaftlich-sozialpolitische Größe. Die Brutto-Arbeitskosten enthalten die Pensionslasten für die ökonomisch inaktive Generation, die Kosten der Arbeitslosigkeit, der Gesundheitsvorsorge, der extrem individualisierten Lebensverhältnisse, der Reparatur von Wachstumsfolgen, die international viel zu hohen Wohnungskosten. Den entfesselten globalen Wettbewerb kümmert das leider wenig. Er zwingt die Unternehmen zu einer vermehrten Flucht aus dem Arbeitsrecht, zu Druck auf die Randbelegschaften und zum Export von Arbeitsplätzen.
Es gibt auch hier Lösungen, aber sie sind nicht angenehm glatt wie früher: Mit einer sanften Bremse bei den Reallöhnen oder einem Verschieben der Verbesserung des Urlaubsrechts auf das nächste Jahr ist es nicht mehr abgetan. Die sozialverträgliche Mitgestaltung der neuen wettbewerbsfähigen flexiblen Produktionswelt, des „virtuellen Unternehmens”, ist kein Honiglecken. Sie liegt quer zur zentralistischen, verteilungsorientier-ten Philosophie der Gewerkschaft. Lösungen erfordern Dezentralisierung, Regionalisierung, stärkere Leistungsorientierung, Durchforstung gewachsener Entgeltstrukturen, Mitdenken und Mitgestalten der Betriebsräte und Arbeitnehmer in managementähnlichen Bollen. Gefordert sind dabei nicht Befehlshierarchien, sondern souveräne, gut ausgebildete, bewegliche „Funktionäre”.
Auch andere Projekte der Zeit erfordern eine veränderte Gewerkschaft: Die Aufgabe von Tabus, Konfliktkultur, Offenheit gegenüber Wissenschaft und Kritik, eine hohe Kompetenz zur Kommunikation nach außen und innen.
Der ÖGB ist an einer Weggabelung angelangt. Leider kann man nicht ausschließen, daß das erkennbare Beharren auf den alten Lösungsmustern und sein ausgeprägter Korpsgeist zu einem Zurückkippen in die Vergangenheit führt. Die Forderungen in Zusammenhang mit der aktuellen Budgetkonsolidierung weisen in diese Richtung. Das könnte etwa heißen: Mehr Verteilungskämpfe, Abkassieren bei „Besserverdienenden”, Zugriff auf die für die Ökologisierung erforderlichen Budgetmittel, um ein weiterhin nicht reformiertes Sozialsystem abzufüttern, Verteidigung von Arbeitsplätzen um jeden Preis, auch solcher mit hohen Umweltkosten, Konzentration auf die Kernschichten der Arbeitnehmer und Abschreiben der Randschichten (das heißt vor allem auch der Frauen).
All das ist ebensowenig ein zukunftsweisender Weg wie „Reichensteuern” und Wachstumsbeschleunigung. Will die Gewerkschaft dauerhafte und zeitgemäße Lösungen, dann sollte sie sich als Teil einer umfassenden Reformbewegung begreifen. Leitwerte wären: Intelligent produzieren und erst dann verteilen; die Gesellschaft und den Staat effizienter machen; Ausgrenzungen aus Arbeit und Sozialstaat verhindern; die Chancen der neuen Produktionsmodelle für die Arbeitnehmer nutzen; stärker produktivitätsorientierte Lohnstrukturen; Nutzung der Möglichkeiten der Informationsrevolution für die Arbeitnehmer; Vertretung nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der in lebensweltlichen Zusammenhängen tätigen Personen; Unterstützung und Mitgestaltung des Strukturwandels in Richtung auf ökologisches Wirtschaften und Zukunftsmärkte; Abwendung von der Dominanz der Geldverteilung und stärkere Hinwendung zur Verschaffung materieller und immaterieller Vermögenswerte für Arbeitnehmer, solche wären neben Ausbildung und Wissen auch Beteiligungen am Produktivkapital der Unternehmen. Herausragende Chancen und auch Synergieeffekte mit den Arbeitgeberinteressen liegen in der Schaffung neuer Verbindungen zwischen Arbeit und Lernen, Arbeit und Unternehmerfunktionen sowie Arbeit und Lebenswelten.
Die Gesellschaft würde eine machtvolle Unterstützung des ÖGB für ein solches Projekt dringend brauchen. Um diese Rolle zu erfüllen, müßte sich der ÖGB auch als Organisation ändern. Nicht gefragt ist eine blockartig agierende„Bastion ÖGB”, sondern eine Gewerkschaft, die Infrastrukturen und Dienstleistungen für in einem losen Verbund stehende Aktionszentren bereitstellt und die als demokratisch organisierte Gesamtheit die Zusammenarbeit mit anderen Kräften der Erneuerung sucht.
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