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Digital In Arbeit

Eine neue Gründerzeit

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dieFurche: Hat sich der niederösterreichische Landeshauptmann schon mit Herz und Verstand von der Wiener Herrengasse verabschiedet?

Landeshauptmann Erwin Pröll: Absolut nicht. Das hier ist unsere historische Wurzel und hat die Funktion eines Kraftspenders. Der Umzug nach St. Pölten ist nichts anderes als der Weg vom Haus der Stände ins Haus der Rürger. Das ist die politische Philosophie, die mit dieser Übersiedlung verbunden ist. Es ist auch ein Weg in eine neue Form der politischen Arbeit gemeinsam mit dem Bürger.

dieFurche: Für den Niederösterreicher ist das aber auch eine große Umstellung.

Pröll: Natürlich insofern, als jetzt sein Ziel nicht die Herrengasse in Wien, sondern die voraussichtlich neue Herrengasse in St. Pölten ist. Für einen Teil der Bürger bedeutet es, wenn man es vordergründig vom Anbfahrtsweg betrachtet, eine Erleichterung, für einen anderen eine Erschwernis. Wir versuchen allerdings durch eine neue Infrastruktur, vor allem durch ein Bereichern des öffentlichen Verkehrsnetzes, durch Schnellbusse aus den Bezirkshauptstädten in die Landeshauptstadt die neue Situation so abzuschwächen, daß sie keine deutliche zusätzliche Belastung für den Bürger wird. Es wird eine Gewöhnungsphase geben, aber ich glaube, daß sehr viele Vorteile für den Bürger mit St. Pölten verbunden sind. Für das Land hat die neue Landeshauptstadt schon meßbare Vorteile gebracht, wirtschaftliche Impulse, die in der Errichtungsphase von St. Pölten ausgegangen sind.

dieFurche: Könnten Sie das konkretisieren?

Pröll: Drei Punkte. Erstens haben wir in der region um St. Pölten ein Plus von zwölf Prozent in der Beschäftigungsrate. Zweitens: 1986 gab's in St. Pölten 2.754 Betriebe, 1994/95 waren es bereits 3.247, also rund 500 Betriebe und Institutionen mehr. Drittens: Die Finanzkraft in be-zug auf das Steueraufkommen hat den Bezirk St. Pölten und die Landeshauptstadt mit einem Plus von 35 Prozent erstmals heuer an die dritte Stelle aller niederösterreichischen Beschaftsimpuls, der sich auf ganz Niederösterreich ausgewirkt hat. Bei der Beschäftigung haben wir eine Steigerungsrate von einem Prozent. Das hat es in früheren Jahren nie gegeben.

dieFurche: Was tun Sie zur Arbeitsplatzförderung?

Pröll: Wir haben branchen- und regionsspezifische Probleme. Zum Beispiel in der Bauwirtschaft und in den Grenzzonen beziehungsweise in den alten Industriegebieten. Deswegen habe ich einen Beschäftigungsgipfel mit dem Sozialpartnern installiert. Wir kommen regelmäßig zusammen, um minutiös die Arbeitsmarktentwicklung in den sensiblen Be-gionen abzutasten und ganz gezielt unsere öffentlichen Investitionen zu setzen. Wir setzen auf ein gut bewährtes Förderinstrument, nämlich das Beteiligungsmodell. Dabei geht es um die Unterstützung der Eigenfinanzierungsstärke der Unternehmen. Das hat sich irrsinnig bewährt. Vor zwei Jahren haben wir einen Rahmen von einer Milliarde verfügbar gemacht, dieser ist bis jetzt mit 700 Millionen ausgeschöpft. Wenn sich das Annähern an die Milliardengrenze abzeichnet, werden wir den Rahmen sofort erweitern. Und schließlich habe ich dieser Tage den Statschuß gegeben für eine breitangelegte Technologieoffensive in Niederösterreich.

dieFurche: In welche Richtung geht diese? Wziehe Modernisierungsschübe sind fiir das Land unerläßlich?

Pröll: Wir sind einerseits Mitglied der Europäischen Union, auf der anderen Seite haben wir die Billiglohnländer des Nordens und Ostens vor der Haustür. Der Arbeitsmarkt ist damit breiter geworden, die Konkurrenz schärfer. Mir geht es darum, der Wirtschaft das Tor zur Wissenschaft zu öffnen. Es gibt eine Vielzahl an wissenschaftlicher Potenz in Niederösterreich oder in seinem unmittelbaren Umlandbereich, die Universitäten in Wien, die Donauuniversität in Krems, die Fachhochschulen, Forschungszentren - IFA in Tulln oder Seibersdorf - oder das Regionale Innovationszentrum in Wr. Neustadt. Ich habe diese Idee nicht neugeboren, sondern mich in Baden-Württemberg umgesehen. Dort habe ich das Stein-beis-Institut besucht, der Kristallisationspunkt der Technologieoffensive in Stuttgart. Mittlerweile gibt es einen Vertrag mit der Steinbeis-Stiftung, um eine Kooperation und Vorarbeiten für Niederösterreich einzuleiten, eine neue Gründerzeit, einen Technologieschub. Wr. Neustadt, das dortige Regionale Innovationszentrum, wird zum Technologiezentrum Niederösterreichs. Durch dieses Technologiezentrum soll sich für viele Jungunternehmer die Chance eröffnen, selbständig zu werden. Und das ist in Wahrheit die große Chance und der Startschuß für eine neue Gründerzeit.

Mir geht es darum, Fitneß in das Land zu bringen, vor allem durch Bürokratieabbau. Fitneß bedeutet Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Standorten. In Niederösterreich müssen jetzt die Grundlagen dafür gelegt werden, daß das Land eine konkurrenzfähige Region im neuen Europa wird. Ich habe einen Wettbewerb ausgeschrieben „Schlanker Staat", wo ich gerne auch mit den Rürgern gemeinsam Ideen zur Verwaltungsvereinfachung erarbeiten will. In letzter Zeit bin ich immer mehr daraufgekommen, daß es bei Betriebsneugründungen oder -ansiedlungen in erster Linie gar nicht so um's Geld geht; es geht darum, daß Unternehmer und Unternehmenswillige rasch zu ihren Bewilligungen kommen. Denn Zeit ist Geld, gerade auf diesem Gebiet.

dieFurche: An welche Branchen denken Sie da in erster Linie?

Prüll: Wir gehen zunächst einmal in die Kommunikationstechnik und in den High-Tech-Bereich.

dieFurche: Das sind so Zauberbegriffe, von denen man sich vielleicht zuviel erwartet.

Pröll: Sie haben recht, ich möchte das gar nicht so hochschrauben. Die handelnden Personen im Technolo giezentrum sollen Garantie dafür sein, daß wir Realisten bleiben. Allerdings glaube ich, daß der High-Tech-Bereich zweifelsohne einen breiten Markt bietet. Wobei es nicht darum geht, den Startschuß für Weltkonzerne zu geben, sondern zum richtigen Zeitpunkt die richtige Idee für den richtigen Abnehmer zu finden. Das sind nicht immer große Würfe, die die Welt verändern, sondern zum überwiegenden Teil kleine Dinge, die große Chancen eröffnen.

dieFurche: Was hat der EU-Beitritt Niederösterreich gebracht?

Pröll: Es gibt bei uns, auch wegen der finanziellen Herausfordreung, wie überall EU-Skeptiker. Ich habe den Eindruck, daß ein Gutteil zu euphorisch in die EU gegangen ist und gemeint hat, daß der Weg nach Brüssel der Beginn eines neuen Schlaraffenlandes ist.

dieFurche: Daran waren viele Politiker selbst schuld, die diesen Eindruck erweckt haben.

Pröll: Zum Teil ja, da gebe ich Ihnen recht. Aber die Personen, auf die es angekommen ist, sind mit realistischem Blick in die EU gegangen. Für Niederösterreich - historisch ein gebranntes Kind - steht bei der EU der sicherheitspolitische Bereich im Vordergrund. Zweitens gibt es ein sehr handfestes wirtschaftpolitisches Argument: Mit einem Schlag ist der Wirtschaftsstandort Niederösterreich enorm aufgewertet worden. Warum? Bis 1989 waren wir am Ende der freien Welt. Jetzt hat es das Schicksal offenbar gut mit uns gemeint und uns eine riesige Chance gegeben, nämlich den EU-Beitritt und den Wegfall des Eisemen Vorhanges für uns zu nutzen. Wir sehen das täglich: In den letzten Monaten haben sich internationale Konzerne reihenweise die Türschnalle hier in der Herrengasse in der Wirtschaftsabteilung in die Hand gegeben, um sich zu erkundigen, wie es denn ausschaut mit einer Ansiedlung ihres Betriebes in Niederösterreich. Ist auch verständlich. Denn Niederösterreich hat jetzt den Vorteil, daß es ein Standort der EU ist und gleichzeitig strategisch so gut gelegen ist, weil es vor der Haustür den gesamten aufgehenden freien Ostmarkt vor sich hat. Das ist ja auch der Grund, warum ich gerade zum jetzigen Zeitpunkt diese Wirtschaftsoffensive beginne.

Das Gespräch führte

Franz Gansrigier.

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