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Eine Sozialisierung des Konsums?

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Nach amtlichen Mitteilungen ist beabsichtigt, noch in diesem Jahre standardisierte Textilwaren1 (Leib- und Bett- wasche) zu besonders niedrigen Preisen auf den Markt zu bringen.

In ihrer Stellung zur Psyche des Konsumenten kann man zwei Arten von Konsumgütern unterscheiden: Güter des ausgesprochen modischen Konsums, wie zum Beispiel die Oberkleider und die Zier- (Luxus-) Möbel, und Güter des Zweckkonsums. Die Oberflächengestalt der ersteren ist neben dem verwendeten Material von besonderer Bedeutung. In einem modischen Kleidungsstück kommt beispielsweise der individuelle Geschmack und ein gewisses Auszeichnungsbedürfnis des Menschen zu einer besonders markanten Darstellung. Die Beziehung zwischen dem Konsurrfenten und dem Konsumgut ist hier eine innige, da der Mensch sich (seinen Geschmack) im Konsumgut selbst dargestellt wähnt.

‘ Es handelt sich bei Standardprodukten um Erzeugnisse, deren Form einheitlich ist, gleichgültig, von welcher Firma sie hergestellt werden. (Eine typische Stan dardware sind Uniformstücke.)

Neben den modischen Gütern gibt es Güter des Zweckkonsums, so die Bettwäsche und die Küchenmöbel, um nur einige zu nennen. Diese Güter stehen nicht in Beziehung zum menschlichen Auszeichnungsbedürfnis, sondern dienen lediglich einem sachlichen Zweck. Küchenmöbel haben also nicht so sehr schön, als praktisch zu sein. Die Form der Güter ist daher von geringerer Bedeutung. Mit der von den amtlichen Stellen angekündigten Einführung standardisierter, lediglich für den Zweckkonsum bestimmter Textilien, ahmt Österreich Versuche nach, welche die Engländer während des letzten Krieges im Rahmen ihres sogenannten „U t i 1 i t y - S y s t e m s“ mit Erfolg unternommen hatten. Ein gleicher Erfolg ist dem ähnlich gearteten westdeutschen „Jede r- mann“- Programm nach der schlechten Presse, die es hat, scheinbar nicht beschieden. Die Einführung neuer Warentypen mag noch so gut vorbereitet werden, die Entscheidung liegt doch in der von psychologischen Faktoren abhängigen Aufnahmebereitschaft der Konsumenten. Die unmittelbaren Folgen der Einführung standardisierter

Waren -sind wirtschaftlich eine bedeutende Verbilligung eines Teiles der Textilien und soziologisch eine (wenn auch nur scheinbare) Sozialisierung des Konsums in gewissen Sparten desselben.

Wir wollen den Plan der Regierung einmal vom ökonomischen Gesichtspunkt aus betrachten und die Ursachen der erzielten Preisverbilligung untersuchen. Bei standardisierten Waren entfallen vor allem — und das ist kostenmäßig entscheidend — die dauernden Entwiddungsauf- wendungen (Modellerwerb, Entwurfankauf, Maschineneinstellung, Materialzusammenstellung, sonstige Planungskosten). Das Standardprodukt wird für einmal auf lange Sicht und mit einer möglichst großen Auflage hergestellt. Die Billigkeit des Erzeugnisses und die Tatsache, daß etwa bei Bettwäsche kaum ein modisches Individualbedürfnis in einem nennenswerten Ausmaß aufzutreten vermag, garantiert den Massenabsatz einer einzigen Type. Die Größe der Auflage läßt anderseits wieder einer Verteilung der fixen Kosten (jener Kosten, die vom Beschäftigungsgrad verhältnismäßig unabhängig sind, wie Darlehenszinsen) auf viele Einzelstücke zu, so daß sich der Anteil dieser fixen Kosten je Stück erheblich verringert. Der kurzphasige Wechsel in den modischen Auffassungen bildet stets die Ursache zusätzlicher Kosten (Abschreibung unverkäuflich gewordener Waren), welche sich in der Kalkulation als Moderisikoquote nieder- schlagen. Der Modewechsel bei den Waren des Zweckkonsums ist dagegen von geringerer Bedeutung, so daß sich bei der Preiserrechnung die Einsetzung eines besonderen Moderisikozuschlages erübrigt, falls eben die Modetendenzen, die in diesem Falle keineswegs in der Psyche des Käufers begründet sind, vorweg durch eine gesamtstaatliche Regelung ausgeschaltet werden. Der Erzeuger von Standardwaren ist vor einem überraschenden Wechsel der Konsumentenanschauungen sicher. Daher verbleiben ihm auch keine nennenswerten Vorräte an unverkäuflich gewordenen Waren.

Für das nationale Sozialprodukt bedeutet dagegen die Herausnahme eines erheblichen Teiles der Konsumgütererzeugung aus dem modisch bestimmten Verbrauch insoweit einen Vorteil, als die in Frage kommenden Waren intensiver verbraucht werden als die modischen Güter, die oft, ohne genützt zu sein, durch bloßen Meinungswechsel ihren Wert in den Augen der Konsumenten verlieren.

Die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen der Aktion ist freilich, daß die Standardwaren für die Käufermassen nicht den Inbegriff von Schund, minderer Qualität und von „Ersatz" darstellen. Die Utility-Waren konnten sich in England nur deswegen halten, weil das auf den Standardwaren angebrachte Utility-Zeichen allmählich zugleich eine positive Qualitätsmarke bildete.

Die soziale Bedeutung der Herstellung von Standardtextilien liegt vor allem darin, daß in einem gewissen Umfang eine Art Sozialisierung des Konsums als Folge einer Gütervereinheitlichung kaum zu vermeiden sein wird. Ein Sozialromantizismus vermag in diesem Umstand einen Nachteil und einen Sdhritt zur Entpersönlichung des Konsums zu sehen. Dies ist aber keineswegs so, freilich unter der Voraussetzung, daß, die Standardisierung der Erzeugung sich auf jene Konsumgüter beschränkt, welche für die Selbstdarstellung der menschlichen Persönlichkeit im Konsum keinen wesentlichen Wert haben. Wesentlich ist freilich, ob das Sozialprodukt durch die Standardisierung von Textilien erhöht wird oder nicht. Wir können die Frage mit „Ja“ beantworten. Die Kaufkraft steigt, als eine Folge der Verbilligung eines Teiles der Güter des periodischen (in längeren Abständen gedeckten) Konsums bei gleichbleibendem Einkommen, dadurch aber wird wieder Kaufkraft für die Deckung eines persönlich geprägten (nicht standardisierten) Bedarfes frei.

Und hier liegt wohl auch die positive Bedeutung der angekündigten Maßnahmen: Erhöhung des Sozialprodukts unter Wahrung der Freiheit der menschlichen Persönlichkeit. Uber Wert oder Unwert eines volkswirtschaftlichen Planes wird auf lange Sicht immer wieder seine Wirkung auf die Versorgung des Einzelmenschen entscheiden.

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