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Eine Staumauer gegen die Armut

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In vielen Teilen der Erde stehen riesige Wasserkraftpotentiale zur Verfügung. Sie zu nutzen, schafft aber ein Menge Probleme.

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In vielen Teilen der Erde stehen riesige Wasserkraftpotentiale zur Verfügung. Sie zu nutzen, schafft aber ein Menge Probleme.

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Mit den „Aufgaben und Chancen der Wasserkraft“ beschäftigten sich kürzlich Experten im Rahmen einer Tagung in München, veranstaltet vom „Verein Deutscher Ingenieure-Gesellschaft“.

Dort hieß es unter anderem, daß die Hälfte der für die nächsten 60 Jahre prognostizierten Erderwärmung von 1,5 bis 4,5 Grad auf das Konto der Energie- und Stromerzeugung geht. Dabei werden jährlich 22 Milliarden Tonnen Kohlendioxyd (CO2) in die Erdatmosphäre geblasen. Drei Viertel davon produzieren die Industrieländer, sie stellen aber nur 25 Prozent der Weltbevölkerung. Dieses offensichtliche Ungleichgewicht vor Augen, haben die reichen Länder beschlossen, den COa-Ausstoß bis zum Jahre 2050 um 60 Prozent zu senken. In München aber war man sich einig: die Erreichung dieses Ziels ist nicht sehr wahrscheinlich. Im Gegenteil: die weltweiten COa-Emissionen dürften schon bis zum Jahr 2010 um 50 Prozent ansteigen. Das teilte auch die Internationale Energie Agentur in Paris im April dieses Jahres mit. Begründet wird die Zunahme mit der rasanten Wirtschaftsentwicklung im südostasiatischen Raum und in China.

Den Mehrbedarf an Strom für die wirtschaftliche Entwicklung erzeugen diese Länder überwiegend mit neuen Kohlekraftwerken - in CO2- Hinsicht so ungefähr das Schlimmste. Die großen emissionsfreien Wasserkraftreserven hingegen bleiben aus Kostengründen größtenteils ungenützt. Warum auch Geld für eine COž-Verminderung ausgeben, so lange der eigene COj-Ausstoß um ein Vielfaches geringer ist als der der Industrienationen?, rechnet man dort vor.

Hier sei die internationale Wirtschaftshilfe aufgerufen, war man sich in auch in München einig. Sie soll den Bau umweltschonender Wasserkraftwerke fördern, vor allem dort, wo nachweislich der Bau von Kohlekraftwerken vermieden werden kann. Doch wie stellt sich die Wirklichkeit dar? Dazu sprach DIE FURCHE mit Stephan Kinnemann von der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt/Main.

Finanzexperte Kinnemann, zuständig für Entwicklungsprojekte der deutschen Bundesregierung in Asien und Brasilien, sieht das Problem nicht etwa im Geldmangel. Weltweit gäbe es genug Kapital, das rentable Anlagemöglichkeiten sucht, sagt er. Rentabel sind Wasserkraftanlagen in Entwicklungsländern aber schon aufgrund der Rahmenbedingungen nicht. Nepal zum Beispiel — eines der am wenigsten ent wickelten Länder Asiens - ist durch seinen Mangel an politischer Berechenbarkeit und Stabilität für private Investoren kein Thema. Sehr lange Planungsphasen — beim Kraftwerk Arun sind es beispielsweise bisher sieben Jahre — und staatliche Monopole im Energiebereich sind nicht geeignet, ausländisches Kapital anzuziehen.

Die internationalen Finanzierungsinstitutionen wiederum, Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank, die größere Wasserkraftanlagen bauen wollen, geraten häufig ins Sperrfeuer harter Kritik diverser Umweltschutzorganisationen. Beim nepalesischen Arun-Projekt - einem mittleren Laufwasserkraftwerk — wendet sich die Kritik der nichtstaatlichen dortigen Protestbewegung „Lions for Energy“, die in Vernetzung mit vielen internationalen N ichtregierungsorganisationen (NGÖ’s) agiert, gegen den Umfang des Projekts: Es sei für Nepal viel zu groß und überfordere die Leistungsfähigkeit des Landes. Es sei doch weitaus klüger, auf kleinere Kraftwerke, die das Land bereits selbst bauen kann, zu setzen. Eine Überzeugung, die von internationalen Experten - übrigens auch von vielen Nepalis - bestritten wird, sagt Kinnemann.

GEFÄHRLICHE GLETSCHERSEEN

Und wie steht es mit den oft zitierten Erdbeben- und Flutwellengefahren in Nepal? Es gebe im Himalaja tatsächlich einige Gletscherseen, deren Ausbruch man nicht völlig ausschließen kann, erklärt Kinnemann. Eine riesige Überschwemmung würde sich ins Katmandu-Tal ergießen: „Die Japaner - sie sind Spezialisten auf dem Gebiet der seismologischen Berechnungen, denn dort bebt die Erde alle vierzehn Tage - haben lange und umfangreiche Untersuchungen gemacht. Sie haben aber immer wieder festgestellt, daß die Gefährdungen durch unterirdische Anlagen aufgefangen werden können. Das Restrisiko ist sicher nicht kalkulierbar, wie aber in vielen anderen Teilen Nepals auch.“

Bleiben die ökologischen Auswirkungen der Zufahrtsstraßen zum Kraftwerk. Sie werden durch ein völlig unberührtes Gebiet mit wertvoller Flora und Fauna geführt. Hier planen die Kraftwerkbauer eine Reihe von umweltschützenden Maßnahmen. So sollen zum Beispiel Holznutzergruppen sicherstellen, daß der Einschlag auf ein Minimum reduziert bleibt.

Die wirklichen Probleme des Projektgebietes schildert der Finanzierungsexperte so: „Überall von den Hügeln her werden Bäume abgeschlagen — auch ohne Kraftwerksbau. Ich glaube, mit oder ohne Kraftwerksprojekt wird Nepal vor einer ganz kritischen Situation in bezug auf seine Umwelt stehen. Die hohe Geburtenrate von jährlich 400.000 neuen Erdenbürgern drückt auf das Land. Es muß mehr angebaut, es müssen Nahrungsmittel produziert werden. Und so lecken sich die kahlen Stellen immer weiter ins Tal. Die Menschen brauchen aber auch Arbeit, und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze braucht das Land Energie.“ Diese Probleme seien der nepalesischen Regierung natürlich bewußt. Sie stehe daher, nach einigen Zugeständnissen seitens der Kraftwerkbauer, einhellig hinter dem Projekt. Auch von den 150 direkt vom Bau betroffenen Familien kommt kaum Widerstand, sagt Kinnemann. Ein Konsens, der durch intensive Diskussionen mit der Bevölkerung erreicht werden konnte, den Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank und Kreditanstalt für Wiederaufbau in Gang brachten. Alle sind sich einig: „Wir dürfen die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, nicht wiederholen.“

Mit dem Bau des Kraftwerks wird wahrscheinlich nächstes Jahr begonnen werden. Wieder muß ein Land den Preis für den wirtschafltichen Fortschritt zahlen.

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