Einfach aufdrehen und es rinnt

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Es gehört zum Selbstverständnis des Westeuropäers, dass er den Wasserhahn zu Hause aufdreht und das köstliche Nass nach Belieben verbrauchen kann: ein billiges Gut, das ebenso im Hochhaus wie in der Tiefgarage und in beliebigen Mengen zur Verfügung zu stehen scheint. Welch aufwendiges System der Zuführung, Reserve- und Instandhaltung sowie der Qualitätsüberwachung dahintersteht, ist dem Normalverbraucher in keiner Weise bewusst.

An der Wiener Wasserversorgung sei dies illustriert: Das Wiener Wasser kommt zum Großteil aus weit entfernten Quellgebieten: 90 Kilometer lang ist die 1. Hochquellenleitung aus dem Rax-, Schneeberg- und Schneealpegebiet und 180 Kilometer sogar die zweite, die das Wasser von Wildalpen in der Steiermark in die Hauptstadt bringt. Gute 24 Stunden ist es aus dem Raxgebiet nach Wien unterwegs, wobei es automatisch auf seine Qualität kontrolliert wird.

Hier landet es in 32 riesigen Behältern. Sie gleichen Nachfrageschwankungen aus und dienen der Reservehaltung. Rund 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser können da auf Lager gehalten werden (der Durchschnittsverbrauch von fast vier Tagen). Für Notfälle und bei Reparaturarbeiten an den Hochquellenleitungen stehen zwei Grundwasserwerke (Lobau und Moosbrunn) parat. Sie tragen über das Jahr gesehen jedoch nur vier Prozent zur Wiener Wasserversorung bei.

3250-Kilometer-Netz

Ein Rohrnetz von 3.250 Kilometern verbindet die im Stadtbereich gelegenen Wasserbehälter mit den rund 100.000 Wiener Häusern. Es versorgt damit fast alle Einwohner der Stadt mit durchschnittlich 400 Millionen Litern Wasser pro Tag. Dieser Verbrauch schwankt mit der Jahreszeit und erreicht im Sommer Höchstwerte von über 560 Millionen Litern.

Die Pflege des Rohrnetzes erfordert großen Aufwand. Unglaublich, wieviel Wasser durch undichte Stelle verloren geht! Öffnungen von nur einem halben Millimeter geben im Tag rund 500 Liter ab (beinahe der Tagesverbrauch von drei Personen). Bei Löchern mit fünf Millimetern Durchmesser gehen gar 32 Kubikmeter verloren.

Als in Wien 1970 der Jahresverbrauch der Stadt auf enorme 185 Millionen Kubikmeter angestiegen war, wurde ein Programm zur systematischen Auffindung von Lecks im System initiiert, das zur Verringerung des Verbrauchs (dieser lag 1998 bei "nur" mehr 142 Millionen) beigetragen hat.

Man bedenke, welche enorme Veränderung im Wasserverbrauch dies im Vergleich zu den Anfängen der öffentlichen Wasserversorgung darstellt. Bei der Eröffnung der ersten Hochquellenleitung 1873 lag dieser Wert bei zwölf Millionen Kubikmetern.

Und selbst das war schon ein gigantischer Fortschritt im Vergleich zur Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Bis dahin waren nämlich in den europäischen Städten Schöpfbrunnen die Regel. In München gab es beispielsweise noch 1829 für die rund 3.000 Häuser der Stadt etwa 2.000 Brunnen. Die zweifelhafte Wasserqualität der Brunnen zwang jedoch dazu, Wasser in die Städte zuzuführen.

Gänzlich ungelöst war allerdings das Problem der Wasserzuleitung in die höheren Stockwerke der Häuser. Es gab nämlich keine ausreichend dichten Materialien, um Wasser unter Druck zu transportieren. Erst die industrielle Herstellung druckfester Metallrohre brachte den Durchbruch.

Von da an erst konnten zentrale Wasserversorgungssysteme eingerichtet werden, in denen das Wasser einer bakteriologischen Überprüfung unterzogen werden konnte, und die es ermöglichten Wasser in die oberen Stockwerke der Häuser zuzuführen. Es war dieser technische Fortschritt, der uns jenen Standard ermöglicht, der heute so selbstverständlich erscheint: dass praktisch überall Wasserklos, Badezimmer und Duschen eingerichtet werden können. In Wien brachte die Eröffnung der 1. Hochquellleitung 1873 diesbezüglich den Durchbruch in eine neue Ära.

C. G.

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