Erdgas Energie - © Foto: APA / Harald Schneider

Energie: Russland den Gashahn zudrehen!

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Die Transformation – weg von fossiler Energie, weg von Erdgas und hin zu Energieeffizienz und Erneuerbaren – ist nicht nur sinnvoll, sie ist auch möglich. Ein Gastkommentar.

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Die Transformation – weg von fossiler Energie, weg von Erdgas und hin zu Energieeffizienz und Erneuerbaren – ist nicht nur sinnvoll, sie ist auch möglich. Ein Gastkommentar.

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Die bittere Realität: Österreich ist von Erdgas aus Russland abhängig wie nur wenige Länder der Europäischen Union. Rund 80 Prozent der Gasimporte stammen aus Russland. Erdgas ist nach Öl unser zweitwichtigster Energieträger und aus Industrie, Stromerzeugung, Fernwärme sowie für das Heizen aktuell nicht wegzudenken. Diese Abhängigkeit ist bekanntlich hausgemacht: Sie wurde in den letzten Jahrzehnten gesucht, ausgebaut, erhalten – vielen Warnungen zum Trotz. Und so sind wir heute in einer Situation, die es uns kurzfristig unmöglich macht, vollständig auf Gas aus Russland zu verzichten. Ein abrupter Lieferstopp würde für Österreich teure und teils unkalkulierbare Einschnitte bedeuten, im Fall des Falles wären wir auf solidarische Unterstützung durch andere EU-Staaten angewiesen.

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Teure Konsequenzen bringt die Abhängigkeit aber schon jetzt: Seit dem Sommer 2021 ist ein starker Anstieg des Gaspreises im Großhandel zu beobachten. Gründe dafür: Die wirtschaftliche Aktivität hat zugenommen – und auch der Druck, die zahlreichen Gasspeicher noch vor der Wintersaison zu befüllen, hat die Nachfrage wachsen lassen. Sonst übliche zusätzliche Lieferungen aus Russland sind über das vertraglich vereinbarte Maß hinaus aber ausgeblieben. Diese Situation hat dazu geführt, dass Gas zu Spitzenzeiten mehr als 130 Euro pro Megawattstunde gekostet hat. Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine hat die Entwicklung weiter beschleunigt und ein Allzeithoch von 200 Euro pro Megawattstunde gebracht. Zum Vergleich: Vor der Pandemie waren es 20 Euro.

Realistisch wäre ein Zeitraum bis 2030. Mit viel Ambition (und klimaschädlichem LNG) kämen wir schon ein paar Jahre vor 2030 ohne russisches Gas aus.

Dass die Preise in den nächsten Jahren auf dieses Niveau zurückkehren, ist nicht absehbar. Zusätzlich ist fraglich, ob die Versorgung mit Gas überhaupt aufrecht bleibt. Diese Aussichten haben Konsequenzen, wie auch Fördergeber, Beraterinnen und Handwerker berichten: Industriebetriebe pausieren oder verlagern teilweise ihre Produktion. Andere Unternehmen legen Pläne vor, wie sie binnen drei Jahren aus Erdgas aussteigen. Und tausende Haushalte wollen ihre Gasheizungen loswerden, am besten noch vor dem nächsten Winter.

Die gute Nachricht: Die Transformation – weg von fossiler Energie, weg von Erdgas und hin zu Energieeffizienz und Erneuerbaren – ist nicht nur sinnvoll, sie ist auch möglich. Wir kennen heute sämtliche Technologien, die notwendig sind, um aus Kohle, Öl und Erdgas auszusteigen. In den meisten Fällen sind die Lösungen marktreif und, wie im Fall von Wärmepumpen oder Elektroautos, auch um ein Vielfaches effizienter und klimafreundlicher als ihre fossilen Vorfahren. Die Lösungen existieren, weil wir den Weg schon vor längerer Zeit eingeschlagen haben. Erst zögerlich, zuletzt entschlossener. Und so lässt sich skizzieren, wie wir uns bis spätestens 2040 unabhängig von Erdgas machen und Russland sukzessive den Gashahn zudrehen. Dass wir letzteres nicht kurzfristig schaffen, schmerzt. Realistisch wäre ein Zeitraum bis 2030. Mit viel zusätzlicher Ambition (und klimaschädlichen Alternativen wie LNG) kämen wir auch schon ein paar Jahre vor 2030 ohne russisches Gas aus.

Konkret können Wohn- und Bürogebäude statt mit Gas mit Erd- und Luftwärmepumpen, Nah- und Fernwärme sowie Pelletsheizungen erwärmt werden. Attraktive Förderungen für den Tausch gibt es – ein Gesetz, das den Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen festlegt, fehlt noch. Es ist wichtig, um nicht nur Immobilienbesitzerinnen, sondern auch Herstellern, Handwerkern, Bildungsinstitutionen und Behörden Planungssicherheit zu geben, damit diese ausreichend Kapazitäten aufbauen.

Eine Herausforderung ist das Heizen in großen Städten: Sanierungen, Wärmepumpen und tiefe Geothermie helfen dabei, die urbane Fernwärmeerzeugung vom Erdgas zu befreien. Das gilt auch für Produktionsprozesse: Wärmepumpen können Temperaturen von bis zu 160 °C liefern und so den Gasverbrauch der Industrie reduzieren.
In manchen Bereichen der Industrie wird Gas aber nach wie vor notwendig sein: Dort, wo sehr hohe Temperaturen gefordert sind (wie z. B. in der Stahlindustrie und bei der Ziegel- oder Glasherstellung) und Gas ein wichtiger Grundstoff für die Produktion selbst ist (wie in Raffinerien oder der Chemieindustrie). Dieser Bedarf wird mittel- bis langfristig abnehmen, das heute verwendete Erdgas wird durch erneuerbares Gas ersetzt werden. Dabei handelt es sich um Biomethan aus biogenen Reststoffen oder um Wasserstoff auf Basis von Strom aus erneuerbaren Quellen. Im Winter wird es auch in der Strom- und Fernwärmeerzeugung zum Einsatz kommen. Aber: Für das Heizen ist dieses grüne Gas zu wertvoll, denn es ist knapp und wird auf absehbare Zeit knapp bleiben. Ein gezielter Einsatz ist entscheidend.

Politische und moralische Entscheidung

Trotz aller Knappheit: Die Potenziale für Strom aus Wind, Wasser und Sonne sowie für Biomethan und grünen Wasserstoff sind da und müssen in den kommenden Jahren entschlossen mobilisiert werden, um Österreich unabhängiger zu machen. Das erfordert Investitionen, Förderungen und ein festes politisches Bekenntnis, insbesondere auch der Länder und Gemeinden. Denn große Hebel für mehr Klimaschutz und weniger fossile Abhängigkeit sind eben dort angesiedelt. Nicht zuletzt wären die Regionen auch die Hauptprofiteure der Abkehr vom Erdgas: Die Produktion von Biomethan, Windkraft und Freiflächen-PV findet im ländlichen Raum statt und sorgt dort für Wertschöpfung und sichere Arbeitsplätze. Zudem senken erneuerbare Energien sowie robuste Stromnetze den Strompreis und ermöglichen Betrieben attraktive Produktionsbedingungen.

Diskussionen zum Energiesystem dürfen aber nicht nur auf technische Fragestellungen oder Kosten reduziert werden. Im Kern geht es immer auch um die politische und moralische Entscheidung darüber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Und so eröffnet uns die Transformation in Richtung Klimaneutralität auch die Möglichkeit, unsere Energieversorgung demokratischer zu gestalten.

Heute deckt Österreich seinen Energieverbrauch zu rund zwei Dritteln mit importierter fossiler Energie. Öl und Gas kaufen wir in Weltregionen, in denen autokratische Regime herrschen: Russland, Kasachstan, Libyen, Irak. Das können wir ändern: durch Energieeffizienz. Durch lokal erzeugten grünen Strom, ob auf der Wiese, am Dach oder in einer Energiegemeinschaft für Erneuerbare. Durch die regionale Produktion von Biomethan. Über Österreichs Grenzen hinaus auch durch eine zusammengerückte europäische Energieunion, die die enormen Energiepotenziale des Kontinents – Wind im Norden und Sonne im Süden – solidarisch nutzt und teilt. Und für den Rest – meist wird es sich dabei um grünen Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe handeln – durch den diversifizierten Import aus anderen Regionen dieser Welt, die im besten Fall mit dem Demokratieverständnis Europas vereinbar sind.

Der Autor ist Mitarbeiter der Österreichischen Energieagentur.

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