Entwicklung durch Entschuldung

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Beim G8-Gipfel letztes Wochenende in Köln hätten Entwicklungsländer mit einem Schuldenerlaß eine neue Chance bekommen sollen. Herausgekommen ist ein Erläßchen.

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Beim G8-Gipfel letztes Wochenende in Köln hätten Entwicklungsländer mit einem Schuldenerlaß eine neue Chance bekommen sollen. Herausgekommen ist ein Erläßchen.

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Köln ist 1999 anders. Nicht daß der Weltwirtschaftsgipfel der G7 und Rußlands zum ersten Mal hauptsächlich politische Themen behandelte, macht ihn besonders. Das Novum des Treffens am letzten Wochenende: richtige Verhandlungen statt Zeremoniell fürs Protokoll. Ein Thema geriet dadurch immer weiter in den Hintergrund: die Entschuldung von Entwicklungsländern.

Dabei bestand Grundkonsens über deren Notwendigkeit. Und dabei gab es auch Gelegenheit, in der öffentlichen Meinung zu punkten. 30.000 Demonstranten forderten "Entschulden Sie bitte" auf ihren Transparenten, 17 Millionen Unterschriften aus 160 Ländern wurden Ratsvorsitzendem Gerhard Schröder überreicht (darunter 63.000 aus Österreich).

Adressat der Forderung nach einem einmaligen Erlaß im Jahr 2000: die sieben größten Industrienationen (USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan). In ihren Finanzministerien und Banken stapeln sich die meisten Schuldscheine, ihre Regierungen haben in Währungsfonds (IWF) und Weltbank das Sagen.

Immerhin gab die deutsche Regierung in Köln ihr Veto gegen den Verkauf von 300 Tonnen IWF-Goldreserven zur Finanzierung auf. Immerhin wurde auch das Maß für "untragbare Schulden" auf den eineinhalbfachen Exporterlös eines Jahres herabgesetzt (statt mehr als dem Doppelten).

Das Gesamtvolumen von 70 Milliarden US-Dollar fiel aber geringer aus, als von der Entschuldungsbewegung erhofft. Insgesamt - also inklusive bilateraler und Export-Schulden - schätzt "Jubilee 2000" die Außenstände auf 371 Milliarden US-Dollar.

"Die beschlossene Entschuldung ist zuwenig", kritisiert Martina Neuwirth, Koordinatorin von "Erlaßjahr 2000". Die Vertreterin der Gemeinschaftsinitiative von kirchlichen und Entwicklungsorganisationen wie ÖED (Österreichischer Entwicklungs-Dienst) oder Steyler Missionaren hat auch schon eine Erklärung parat: "Die Finanzminister wollten einfach nur eine gewisse Summe lockermachen, danach und nicht nach entwicklungspolitischen Kriterien wurde dann die ,Entschuldungswürdigkeit' festgelegt".

Weiterer Kritikpunkt: Nur 36 Ländern wird die Schuldenlast erleichtert. "Malawi, eines der ärmsten Länder, das immer brav seine Schulden zahlt, ist da zum Beispiel nicht dabei", ärgert sich Neuwirth. Möglicher Grund: Angst vor schlechter Zahlungsmoral und russischer Begehrlichkeit.

Damit blieben auch die Forderungen einer Tagung katholischer Würdenträger eine Woche vor dem G8-Gipfel unerfüllt. Der Weltwirtschaftsgipfel möge endlich "die Ketten aus unbezahlbaren Auslandsschulden sprengen", hatten Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, unter ihnen Karl Lehmann aus Mainz und Kardinal Polycarp Pengo aus dem tansanischen Dar-es-Salaam, verlangt. Die Verbindlichkeiten seien "entscheidend zu senken oder gänzlich zu erlassen", um "so gerechte Beziehungen unter den Völkern wiederherzustellen."

Der Zusammenhang zu den abstrakten Schuldenzahlen ist belegbar. Im Fall Nicaraguas, einem Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) im Außenministerium, fließt mehr als die Hälfte der Staatsausgaben für Darlehen, Zinsen und Zinseszinsen an Industrienationen und Banken. Managua zahlt mehr als doppelt soviel für Schuldendienst wie für Gesundheit und Erziehung. Tansania berappt neunmal mehr für Außenstände als für sein Gesundheitssystem.

Es geht also um das Wohl und Wehe ganz konkreter Menschen. Daher sollte kein Land "gezwungen" werden können, mehr als ein Viertel seiner Steuereinnahmen für den Schuldendienst zu zahlen, forderte kürzlich in Genf Rubens Recupero, Generalsekretär der Unctad (UN-Organisation für Handel und Entwicklung).

Das UNDP (United Nation Development Programme) analysierte schon 1997 in seinem "Bericht über die menschliche Entwicklung": "Wenn die hochverschuldeten Länder von ihren jährlichen Schuldenrückzahlungen befreit würden, könnten sie diese Mittel für Investitionen einsetzen, die allein in Afrika bis zum Jahr 2000 das Leben von rund 21 Millionen Kindern retten und 90 Millionen Mädchen und Frauen den Zugang zu elementarer Bildung sichern könnten."

Denn, so die bittere Erkenntnis: Wenn die Schuldenlast drückt oder Finanzinstitutionen einem Kreditnehmer politische Maßnahmen diktieren, geht dies meist zu Lasten von Lebensmittel-Subventionen, Bildungs- und Gesundheitsausgaben. Gürtel enger schnallen heißt die Devise selbst dort, wo zwei oder drei Menschen in einem europäischen Gürtel Platz fänden.

Hunger hat mitunter einen scheinbar unverfänglichen, neoliberalen Namen: "Strukturanpassungsprogramm". Die Strukturpolitik der ärmsten Länder müßte sich unbedingt auf Ziele wie Armutsbekämpfung, Umweltschutz und Partizipation ausrichten, mahnten denn auch die Bischöfe zur Reform der "Anpassungsprogramme". Mit mäßigem Erfolg: Statt bisher sechs soll ein Land nur mehr drei Jahre Wohlverhalten im Sinn von Sparen und Liberalisieren zeigen.

"Zudem", kritisiert Neuwirth die Bevormundung durch zusätzliche Bedingungen, "mischt sich der IWF auch in Gesundheits- und Bildungspolitik dieser Staaten ein. Die G7 hatten wohl auch Angst, daß ihnen der Prozeß entgleitet."

Nachsatz: "Und Angst vor der Wählerschaft." Denn der Goldverkauf wird zur Finanzierung nicht ausreichen.

Warum soll nun aber der Steuerzahler im Norden für gescheiterte Monsterprojekte, für schlechte Budgetdisziplin und verfehlte Wirtschaftspolitik mitzahlen? Im Kern wohl, um Nationen im Süden die Chance auf ein Ende der Zinsenspirale zu geben. "Sonst", sagt Neuwirth, "wird sich der Schuldner nie ,derappeln' können. In Trippelschritten", ätzt sie Richtung G7, "wird man das Schuldenproblem jedenfalls nicht lösen."

Entschuldung kann aber kein Selbstzweck sein, bestätigt auch der UNDP-Bericht. Spezielle Begleit-Maßnahmen sollten helfen, sie "in eine Verringerung der Armut umzuwandeln und die Prioritäten der betreffenden Länder auf die Ziele der menschlichen Entwicklung auszurichten". Vorschlag des Bundesverbands der deutschen Industrie dazu: Erlassene Schulden in einen zweckgebundenen Fonds einzahlen, um korrupte Behörden auszuschalten. Auch Entwicklungsorganisationen schlagen - zusätzlich zur Schuldenstreichung - einen Topf im Gegenwert von 20 Prozent der Schulden vor, damit die betroffenen Länder entsprechende Projekte für die Ärmsten der Armen starten können.

Die konkreten Programmschwerpunkte sollten gemeinsam mit der Zivilgesellschaft des Landes erarbeitet und verwaltet werden. Nicht-Regierungs-Organisationen könnten dabei ihr Wissen um die "Not-Wendigkeiten" an der Basis einbringen, gleichzeitig unangepaßten Prestigeprojekten und der gefürchteten Korruption vorbeugen helfen. Anders als bei der nun beschlossenen Entschuldung sollte der IWF in einer derartigen, demokratischeren Gemeinschaftsverwaltung nicht mit Vertragsauflösung drohen können.

Die Entschuldungsbewegung fordert zudem mehr Fairneß durch ein eigenes internationales Insolvenzrecht. Denn anders als auf nationaler Ebene kennt das globale Kreditgeschäft keine unabhängigen Schiedsgerichte. Schuldnerschutz, wie ihn ein x-beliebiger Wirtschaftsbetrieb bei Ausgleich oder Konkurs genießt, gilt nicht für Staaten. Gehen sie pleite, diktiert die Geberseite die Bedingungen.

Wo dein Gläubiger ist, ist damit auch gleich dein Richter, dein Kläger sowieso. Das geforderte, völkerrechtlich verbindliche Insolvenzrecht soll ein internationales Schiedsverfahren ermöglichen, in dem Kreditgeber und Schuldner eine Stimme haben. Der erhoffte doppelte Vorteil: mehr Transparenz und ein fairer Interessenausgleich.

"Für diese De-facto-Entmachtung des IWF sehe ich wenig politischen Willen", seufzt Martina Neuwirth. In Köln habe unter Regierungsvertretern noch das alte Denken vorgeherrscht: "Der IWF weiß schon, wo's langgeht." Ihre Erklärung: "Für große Länder sind die Schulden auch ein gutes Mittel, in diesen Staaten präsent zu sein und Druck zu machen."

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