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V. Kodexentwurf und Wirtschaftsexpansion

Wir beschließen hiermit die Aufsatz- reihe, in der sich erstrangige Fachleutt mit dem Entwurf des Arbeitsrechtes befaßt haben.

„Die Furche“

Es gehört heute nicht nur zum gesicherten Ergebnis der Wirtschaftsforschung, daß die Verlangsamung des Wirtschaftsaufschwunges in Österreich zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen ist, daß der Arbeitskräftemangel nunmehr ein allgemeiner geworden ist und der Bedarf sich stark ausweitender Branchen an Arbeitskräften zu einem namhaften Teil nur mehr dadurch befriedigt werden kann, daß Arbeitnehmer aus minderexpansiven oder minderproduktiven Bereichen abgezogen werden. Auch der Österreichische Gewerkschaftsbund hat in einem Programm anerkannt, daß die Steigerung des Volkseinkommens beziehungsweise der Produktivität der österreichischen Wirtschaft angesichts der weitgehenden Ausschöpfung der Produktionsfaktoren im wesentlichen auf Neuinvestitionen, Verbesserung der Produktionsmethoden und einer Umschichtung innerhalb der Wirtschaftszweige und zwischen den Wirtschaftszweigen selbst beruht. Die gewerkschaftliche Interessenvertretung zieht daraus den Schluß, daß diese Umschichtung von Arbeitskräften und Kapital aus weniger produktiven Zweigen der Wirtschaft und Betrieben in produktivere erleichtert werden1 muß, und fordert folgerichtig: „Die Wirtschaftspolitik soll daher derartige Umstellungen erleichtern. (Forderungsprogramm vom September 1959.)

Folgt der Entwurf des Sozialministeriums für eine Kodifikation des Arbeitsrechtes diesem gewerkschaftlichen Postulat? Für die Leichtigkeit des Arbeitsplatzwechsels sind vor allem die Kündigungsbestimmungen bedeutsam. Der Kodifikationsentwurf sieht vor, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres kündigen kann. Die Kündigungsfrist soll — vorbehaltlich noch nicht formulierter Sonderbestimmungen — einheitlich von sechs Wochen (nach zweijähriger

Dauer des Arbeitsverhältnisses) auf fünf Monate (nach fünfundzwanzigjähriger Dauer) erhöht werden. Die Kündigungsfrist soll für den Arbeitnehmer nur einen Monat betragen und unter der Bedingung der Gegenseitigkeit bis zu einem halben Jahr ausgedehnt werden können. Bisher betrugen diese Fristen für die überwiegende Mehrzahl der Arbeitnehmer nur vierzehn Tage. Die allgemeine Ausdehnung der Kündigungsfrist auf mehrere Monate würde zahlreichen Betrieben, vor allem solchen, die Saisonschwankungen unterliegen, die Möglichkeit, den Beschäftigtenstand der Marktlage anzupassen, bis zur Verhinderung erschweren. Die Anpassung der Beschäftigung an die realen Produktions- und Absatzmöglichkeiten aber ist eine Voraussetzung für eine optimale Kombination der Produktionsfaktoren, und damit für eine höchstmögliche Betriebsleistung.

Privilegierung des Gewerkschaftsfunktionärs?

Dazu kommt das sogenannte Sperr- recht des Betriebsrates gegen Kündigungen. Seinen kollektiven Charakter bezeichnen die Erläuterungen zum Entwurf als „ein Fundament des personellen Mitspracherechtes des Betriebsrates“. Der Entwurf will - ein Arbeitsverhältnis des Gekündigten von sechs Monaten vorausgesetzt — innerhalb von vier Wochen eine Anfechtung bei einer noch nicht näher be- zeichneten Behörde ermöglichen, wenn die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist oder Betriebsangehörige betrifft,

die als Arbeitnehmervertreter einen besonderen Schutz genießen. Sozial . ungerechtfertigt soll eine Kündigung e dann sein, wenn sie weder durch - Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers gelegen sind, noch durch betriebliche Erforder- . nisse dringend geboten erscheint. . Bei gleicher sozialer Lage soll die . Kündigung dann sozial ungerecht- , fertigt sein, wenn der Gekündigte ge- . werkschaftlich oder bei gesetzlichen . Interessenvertretungen (nicht aber bei . anderen Arbeitnehmerorganisationen , wie zum Beispiel ÖAAB, parteifreie . Organisationen, KAB, KAJ usw.!) tätig war oder noch ist, oder für den i Betriebsrat auch nur kandidiert hat.

. Damit soll der in den Gewerkschaften ( Tätige (was bis zur bloßen Mitglied- , schaft ausgelegt werden könnte) und der Arbeiterkammerfunktionär vor . dem sozial Gleichgestellten, aber viel- . leicht Leistungsfähigeren oder Leistungswilligeren vor einer Kündigung , geschützt werden!

1 Während für die Betriebsführung die unternehmerischen Erwartungen maßgeblich sind, die sich, wie alle wirtschaftlichen Prognosen, oft jeder rein rationalen Begründung entziehen, soll der Arbeitgeber nach den Wünschen des SoziaLministeriums in Zukunft die Tatsache zu beweisen haben, die die Kündigung bedingen. Auch eine etwaige geringere Leistung, die für die Auswahl des Gekündigten maßgeblich ist, soll „bewiesen“ werden müssen • Damit würde di markt- und konsumentenorientierte, unternehmerische Disposition bis zur mög- lichen Lahmlegung, und unter Umständen bis zum Arbeitsplatzverlust des Leistungsfähigeren, aber Unorganisierten, eingeschränkt werden.

Wir wollen hier auf die Frage nicht eingehen, ob oder inwieweit für die einzelnen Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Ansprüche auf Abfertigungen überholt sind. Vom hier untersuchten Standpunkt aus ist nur die Tatsache belangvoll, daß die Kündigung, die derzeit nur für die Angestellten mit einem gesetzlichen Abfertigungsanspruch verbunden ist, in Zukunft für alle übrigen Arbeitnehmer mit zusätzlichen Kosten für den Betrieb belastet werden soll. Diese Belastungen sollen nach einjähriger Dauer des Arbeitsverhältnisses 5% des Jahresverdienstes betragen und sich dann jährlich um weitere 5%, ab dem 5. Jahr um jährlich 4% und ab dem 15. Jahr um 3,5% erhöhen. Die Kündigung eines zum Beispiel seit 10 Jahren Beschäftigten, der infolge einer Betriebsumstellung nicht weiter beschäftigt werden kann, würde den Betrieb dann 40% des Jahreseinkommens des Gekündigten kosten.

Diese Mehrkosten können für Produktionsanpassungen finanziell schwacher und arbeitsintensiver Betriebe geradezu prohibitiv wirken und für solche Betriebe, die etwa im Zuge der Integration — im Gemeinwohlinteresse! — zu größeren Umstellungen genötigt werden, sogar tödlich sein. Das gilt vor allem für die zahlreichen Kleinbetriebe des Handels und des Handwerkes, die in der österreichischen Wirtschaftsstruktur immer noch eine große Rolle spielen und denen eine beschleunigte Rationalisierung und Mechanisierung sehr gut täte. Die Funktion der Arbeitslosenversicherung legt es nahe, etwaige mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes verbundene Risiken nicht dem durch die Notwendigkeit einer Umstellung ohnehin schon betroffenen Betrieb, sondern diesem Zweig der Sozialversicherung aufzulasten.

Den Arbeitsplatzwechsel nicht benachteiligen!

Sicherlich hat die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt vor allem im Hin-

blick auf die menschlichen Beziehungen im Betrieb auch große Nachteile und ist eine gewisse Belohnung der Betriebstreue des Angestellten für beide Sozialpartner nicht ohne guten Sinn. Nichtsdestoweniger aber bildet die relative Unbeweglichkeit der gegebenen Beschäftigungslage — wie auch die Gewerkschaften feststellten! — ein ernstes Hindernis für eine stetige Vermehrung des sozialen Wohlstandes. Es wird vielfach gerade der Tüchtigere und der Wertvollere sein, dem es gelingt, seinen Arbeitsplatz zu verbessern. Wachstumpolitisch gesehen leistet auch derjenige, der in einem produktiveren und expansiveren Wirtschaftszweig tätig wird, der Volkswirtschaft unter den heutigen Verhältnissen in der Regel einen besseren Dienst als ein anderer, der sich bloß von der Betriebstreue oder gar von Bequemlichkeitserwägungen leiten läßt. Die Notwendigkeit, die österreichische Be- schäftigungs- und Produktionsstruktur den sich ständig ändernden Verbrauchsgewohnheiten sowie den optimalen Erzeugungs- und rationellsten Vertriebsmethoden anzupassen, wie sie durch Automation, Integration, durch bewußte Vollbeschäftigungs- und Expansionspolitik ständig in Fluß gehalten werden, wird weithin unterschätzt.

Diese Bewegung, die in irgendeiner Weise zum Bild des modernen Wirtschaftslebens zählt, wird solange mit besonderer Heftigkeit vor sich gehen, bis Europa seine optimale, von den Schranken einer nationalistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik befreite

Wirtschafts- und Sozialstruktur gefunden haben wird.

Unter diesen Umständen ist das Idealbild eines durch lange Jahre und womöglich Jahrzehnte einem Betrieb treu gebliebenen Arbeitnehmers vielleicht etwas revisionsbedürftig. In mancher Hinsicht dürfte es doch mehr einer statischen und patriarchalischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung entsprechen. Wenn man sich auch hüten sollte, das Kind mit dem Bade auszugießen, müßte doch wenigstens als Konsequenz der angestellten Überlegungen alles vermieden werden, was einer legistischen Privilegierung des immobilen Arbeitnehmers gleichkäme. Eine verbeamtete Wirtschaft mit einer nahezu pragmatisierten Arbeitnehmerschaft dürfte kein sympathisches und attraktives Leitbild sein. Unter diesen Gesichtspunkten ist es sehr bedenklich, wenn die Besserstellung des kontinuierlich in denselben Unternehmen Beschäftigten gegenüber demjenigen, der den Arbeitsplatz gewechselt hat, in Zukunft verstärkt und ausgedehnt werden soll. Es erhebt sich sogar die Frage, ob die Gelegenheit der Kodifikation nicht vielmehr zum Anlaß genommen werden sollte, die Verbindung zwischen Kündigungsschutz, Urlaubsansprüchen usw. mit einer Honorierung der Betriebstreue durch zwingendes Recht einer Überprüfung zu unterziehen.

Die Frage nach der Behinderung der Freizügigkeit der Arbeitskräfte durch den Kodexentwurf gewinnt noch an Gewicht angesichts der bedeutenden Faktoren, die in Österreich diesem notwendigen Element der Strukturverbesserung jetzt schon im Wege stehen, wie zum Beispiel die Lebensgewohnheiten des Österreichers, dessen Naturell Veränderungen nicht so sehr liegen, wie der verfehlten Wohnungspolitik, die die kontinuierliche Benützung einer (womöglich Alt-) Wohnung begünstigt, jeden Wohnungswechsel jedoch durch Ablösen, Baukostenzuschüsse, höhere Mieten, Grundanteile usw. sehr empfindlich „bestraft“, sowie den politischen Verhältnissen, die jede Umstellung in einem bedeutenderen Wirtschaftszweig (vgl. Kohlenkrise!) regelmäßig zu einem Politikum ersten Ranges werden läßt.

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