"Es wird genug für alle geben, das Problem liegt in der Verteilung“

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Der Demograf Wolfgang Lutz beklagt unzureichende Berücksichtigung der Daten zur Bevölkerungsentwicklung. Wichtig sei globales Verständnis und langfristiges Denken.

Die Bevölkerungsentwicklung muss zu keinen Problemen führen. Notwendig sind vor allem ein besseres Verständnis und langfristiges Handeln, weiß der Demograf Wolfgang Lutz.

Die Furche: Welche Folgen bringt die Bevölkerungsentwicklung mit sich?

Wolfgang Lutz: Die Lage wird in verschiedenen Teilen der Erde sehr unterschiedlich sein. Im Prinzip wird es genug Nahrung, Wasser und Lebensraum für alle geben, das Problem liegt in der Verteilung. Am meisten werden Menschen in den Ländern leiden, die am ärmsten sind, die niedrigste Bildung haben, deren Bevölkerung am schnellsten wächst und die noch dazu von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Dort ist tatsächlich ein hohes Konfliktpotenzial.

Die Furche: Ist sich die Politik der aktuellen demografischen Lage bewusst?

Lutz: Weder in der internationalen Entwicklungspolitik noch in der österreichischen Sozialpolitik wird die Demografie ausreichend berücksichtigt. Der Grund dafür ist meist, dass man zu kurzfristig denkt, während demografische Veränderungen langsam ablaufen, aber fundamentale Veränderungen bewirken.

die Furche: Wie sehr brauchen wir Zuwanderung in Österreich?

Lutz: Mobilität ist ein ganz normaler Prozess in einer modernen Wirtschaft. Dadurch wird auch die Effizienz und Produktivität gesteigert, wenn Arbeitsplätze durch die am besten geeigneten Personen besetzt werden. Und diese können auch aus dem Ausland kommen, besonders wenn es in Österreich zu wenig geeignete Kandidaten gibt. Bei besser qualifizierten Arbeitnehmern ist auch in der Regel die Integration kein Problem. Eine große Bildungsinitiative könnte hier in vielerlei Hinsicht die Situation verbessern.

Die Furche: Muss unser Lebensstandard sinken, damit wir mit den Ressourcen der Erde haushalten können?

Lutz: Wenn man Lebensstandard so versteht, dass man gesund und glücklich ist, dann ist es durchaus auch möglich, dies mit weniger Ressourcen zu erreichen. Über ein gewisses Minimum, das für ein gesundes Leben notwendig ist, hinaus macht ja bekanntlich mehr Konsum nicht unbedingt glücklicher. Das hat die Happiness-Forschung der letzten Jahre deutlich aufgezeigt. Dafür sind gute menschliche Beziehungen viel wichtiger und die verbrauchen keine zusätzlichen Ressourcen.

Die Furche: Bereits seit Jahrhunderten gibt es pessimistische Prophezeiungen bezüglich der Bevölkerungsentwicklung, bisher ist keine davon eingetreten. Sind Sorgen unbegründet?

Lutz: Das Problem liegt darin, dass viele Menschen die Frage zu simpel sehen, indem sie nur die Zahl der Menschen betrachten. Eine höhere oder niedrigere Bevölkerungszahl eines Landes ist an sich weder gut noch schlecht. Schlecht ist hingegen jede zu schnelle Veränderung der Bevölkerung wie zu schnelles Wachsen, weil sich dann die sozialen Systeme nicht schnell genug anpassen können. Außerdem macht es einen großen Unterschied, wie gebildet die Menschen sind und welche Technologie sie benützen. Davon hängt ab, ob die Bevölkerungsentwicklung Probleme bringt und wie diese bewältigt werden können.

Die Furche: Senken Wohlstand und Bildung die Geburtenrate eines Landes?

Lutz: Unsere Forschungen zeigen immer mehr, dass es in erster Linie die Grundbildung von jungen Frauen ist, die dazu führt, dass sich Frauen in Entwicklungsländern weniger Kinder wünschen und dass sie dann auch weniger Kinder haben, wenn sie Zugang zu Familienplanung finden. Kinder werden dann geplant und nicht mehr schicksalhaft in großer Zahl angenommen. Geld alleine ohne Wertewandel hat wenig Einfluss auf die Geburtenrate.

Die Furche: Was kann der Einzelne tun, um der demografischen Entwicklung sinnvoll zu begegnen?

Lutz: Das liegt auf drei Ebenen: In unserem persönlichen Leben können wir bewusstere Entscheidungen treffen und genauer fragen, was uns glücklich macht, von menschlichen Beziehungen bis hin zum Konsumverhalten. Auf der Gesellschaftsebene können wird uns dafür einsetzen, dass mehr Vernunft in die Politik einzieht und diese weniger von kurzfristigem Denken und ideologischen Scheuklappen dominiert wird. Global müssen wir verstehen, dass wir alle zur selben Menschheitsfamilie gehören und in einem Boot sitzen, das vor allem durch den Klimawandel in raue See gelangt. Durch ein solches Bewusstsein bei den einzelnen Menschen kombiniert mit langfristigem Denken in der Politik ist schon viel geholfen.

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