Euroabwertung und Währungsfetischismus

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Die falsche Vorstellung, Gesellschaften profitieren von einer harten Währung, verunmöglichen nötige Kurskorrekturen.

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Die falsche Vorstellung, Gesellschaften profitieren von einer harten Währung, verunmöglichen nötige Kurskorrekturen.

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Zum Thema. Sinkender Euro-Kurs, wachsende Euro-Skepsis.

Die wachsende Euro-Skepsis der EU-Bürger angesichts der Talfahrt der Gemeinschaftswährung veranlasste den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Wim Duisenberg, sich erstmals direkt an die 290 Millionen Einwohner der elf Euro-Länder zu wenden: "Ich verstehe ihre Besorgnis, da ein auf Dauer niedriger Wechselkurs letztlich zu höheren Preisen in den Ländern führen kann." Bei der gegenwärtigen Preisstabilität könnten die Bürger aber beruhigt sein, erklärte Duisenberg und versicherte, der Euro der Zukunft, sei eine starke Währung. Und die EU-Finanzminister haben bei ihrem Treffen Anfang der Woche auf direkte Interventionen verzichtet. Ein Zeichen, dass ihre größte Sorge der "weiche" Euro nicht ist. Wem nützt ein schwacher Euro, wem schadet er? Der furche-Schwerpunkt gibt Antwort. WM Seit seiner Einführung hat der Euro gegenüber dem Dollar um 25 Prozent an Wert verloren, er gilt deshalb als zu "weich", und somit als unterbewertet. Diese Schlussfolgerung ist nicht fundiert: aus einer Kursbewegung kann man eine Unter- oder Überbewertung nicht ableiten. Letztere ergibt sich vielmehr aus einem Vergleich des aktuellen mit jenem Eurokursniveau, bei dem ein repräsentatives Bündel international gehandelter Güter und Dienstleistungen "made in USA" und "made in Euroland" gleich viel kostet.

Diese Kaufkraftparität von Tradables und damit die Richtgröße eines "fairen" Eurokurses beträgt derzeit 0,87 Dollar: Eine Einheit Exporte, die in der Eurozone 1 Euro kostet, kostet in den USA durchschnittlich 0,87 Dollar - liegt der Eurokurs tatsächlich auf diesem Niveau, so hätte keine der beiden Regionen einen wechselkursbedingten Preisvorteil im Welthandel.

Dies bedeutet: Der Euro war bei seiner Einführung mit einem Kurs von 1,17 Dollar viel zu "hart", dies wurde durch die Abwertung korrigiert, derzeit ist er somit annähernd "fair" bewertet. Die Überbewertung des Euro bei seiner Einführung wurde nicht zuletzt deshalb ignoriert, weil seine Kaufkraftparität auf Basis von Tradables bisher nicht bekannt war (sie wurde erstmals in einer kürzlich publizierten Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung ermittelt). Wenn immer der Kurs des Euro/ECU deutlich über der Kaufkraftparität von Tradables lag, verlor die EU Marktanteile an die USA.

So hatte der Dollar zwischen 1985 und 1986 fast die Hälfte seines Werts verloren (doppelt soviel wie der Euro seit seiner Einführung), sein Kurs ging bis 1995 weiter zurück. Dementsprechend war der ECU beziehungsweise Euro zwischen 1987 und 1999 um durchschnittlich 32,6 Prozent überbewertet. Im gleichen Zeitraum sank der Anteil der EU an den Gesamtexporten der Triade um mehr als 5 Prozentpunkte, während jener der USA um fast 7 Prozentpunkte stieg. Umgekehrt hatten die USA in der vorangegangenen Phase eines "harten" Dollar (1980/85) deutliche Marktanteilsverluste hinnehmen müssen, während die EU vom "weichen" ECU profitierte. Die "Härte" des ECU beziehungsweise Euro und ihre Folgen werden in Europa aus mehreren Gründen nicht wahr genommen.

Erstens dämpften Hochzins- und Sparpolitik die Binnennachfrage in den neunziger Jahren so sehr, dass die Exporte trotz der Marktanteilsverluste ein "Wachstumsmotor" in der EU blieben.

Zweitens erweckte das hohe und steigende Defizit der US-Leistungsbilanz den Anschein, als sei der Dollar zu "hart" geworden. Tatsächlich ist dieses deshalb immer größer geworden, weil die US-Importe trotz der Unterbewertung des Dollar noch stärker wuchsen als die Exporte. In den neunziger Jahren stimulierten nämlich eine expansive Geldpolitik und steigende Aktienkurse die Binnennachfrage, gleichzeitig wurde diese nicht durch Sparpakete gedämpft, vielmehr gelang es den USA, das Budget primär durch Steuererhöhungen für die besser Verdienenden zu konsolidieren.

Der dritte Grund, warum die Abwertung des Euro in der EU nicht als Korrektur seiner Überbewertung wahr genommen wird, liegt in einer Art "Währungsfetischismus": der Vorstellung, eine Gesellschaft profitiere davon, dass ihre Währung (möglichst) hart ist. Tatsächlich handelt es sich aber um ein Verteilungsproblem: ein hoher Wechselkurs begünstigt die Besitzer von Finanzvermögen und den Konsum, er benachteiligt gleichzeitig die Besitzer von Realvermögen und die Produktion, also Bürger in ihrer Eigenschaft als Unternehmer und Arbeitnehmer.

Seit 15 Jahren profitieren die USA von einem zumeist "butterweichen" Dollar, warum sollte nun nicht auch die EU ihre viel ungünstigere Wirtschaftslage durch einen (leicht) unterbewerteten Euro verbessern? Wo allerdings "Währungsfetischismus" dominiert, lässt schon die Korrektur einer Überbewertung den Euro als "Schwächling" erscheinen.

Der Autor ist Wirtschaftsforscher am WIFO.

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