7135080-1997_43_15.jpg
Digital In Arbeit

Europäischer und schlanker

19451960198020002020

Die Sozialpartnerschaft hat die Wahl: sich den durch die Globalisierung geänderten Bedingungen anzupassen, oder dem Untergang entgegenzudämmern.

19451960198020002020

Die Sozialpartnerschaft hat die Wahl: sich den durch die Globalisierung geänderten Bedingungen anzupassen, oder dem Untergang entgegenzudämmern.

Werbung
Werbung
Werbung

Die enge und dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber-, Arbeitneh merverbän -den und Staat- also die Sozialpartnerschaft -hat in keinem anderen europäischen Land so intensive Züge angenommen wie nach 1945 in Österreich. Neben der Neutralität war es diese Sozialpartnerschaft, die vor allem in den sechziger und siebziger Jahren euro-pa-, ja weltweit politischen Österreich-Touristen vorgeführt wurde. Die Sozialpartnerschaft war so etwas wie der Stephansdom der politischen Kultur des Landes - ein Pflichtprogramm für alle, die sich mit Österreich beschäftigen wollten.

Das hat sich geändert. Die Krise der Verstaatlichten, in den achtziger Jahren nicht mehr als ein bloßer Betriebsunfall abzutun, hat dem Modell der österreichischen Sozialpartnerschaft eine wesentliche Grundlage entzogen - die enge Verflechtung zwischen Politik und Eigentum. Die Globalisierung der Wirtschaft zerstörte den Glauben an die Fähigkeit eines noch dazu relativ kleinen Landes, als „Insel der Seligen” sich von all den Krisen abkoppeln zu können, die weniger glückliche Länder heimsuchten.

Die Konsequenz war eine doppelte:

■ Die Sozialpartnerschaft wird schlanker; und sie wird sich weiter verschlanken (müssen).

■ Die Sozialpartnerschaft europäisierte sich; und sie wird sich weiter europäisieren (müssen).

Die Sozialpartnerschaft hat eine Zukunftschance. Sie wird aber nur überleben, wenn sie sich an die geänderten Bedingungen anpaßt. Und diese Bedingungen werden nicht in Osterreich produziert, sie werden über den Weltmarkt nach Österreich importiert. Diese Bedingungen können nicht wirklich korrigiert werden

- jedenfalls nicht von Österreich im Alleingang. Sie können aber in Grenzen gesteuert werden. Und die Ver-schlankung ist ein ebensolcher Steuerungsversuch wie die Europäisierung.

1992 verabschiedeten die vier Präsidenten - des ÖGB, der Arbeiterkammer Österreich, der Wirtschaftskammer Österreich und der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern - ein Papier, das Struktur und Funktion der Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen wesentlich veränderte. Die Paritätische Kommission verlor ihre erste und ureigenste Kompetenz

- die der freiwilligen Preiskontrolle. Der Preisunterausschuß wurde in einen Unterausschuß zur Beobachtung des Marktes verwandelt. Gleichzeitig wurde ein Unterausschuß für Internationale Zusammenarbeit eingesetzt - Konsequenz der Integration Österreichs in den Gemeinsamen Europäischen Markt.

Damit hatte die Sozialpartner-”schaft selbst die Bichtung ihrer Entwicklung vorgegeben -Bückzug aus nicht mehr haltbaren Positionen und Beschränkung auf das real Mögliche. Und dieses war, in Zeiten der ökonomischen Globalisierung, eben nicht mehr die freiwillige Preiskontrolle.

Überhaupt hatte die Paritätische Kommission schon in den Jahren davor eine abnehmende Aktivität an den Tag gelegt. Die „Vollversammlung” der Paritätischen, die zur Zeit der sozialpartnerschaftlichen Blüte einmal im Monat unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers tagte, trat immer seltener zusammen - und in den neunziger Jahren hörte sie faktisch zu existieren auf. Denn es gab ja nichts mehr an Konflikten, was die Paritätische auf höchster Ebene hätte absegnen können - die Preisentwicklung folgte einem immer globaleren Markt, und die Lohnentwicklung wurde, ebenfalls unter immer rigideren Marktvorgaben, zwischen den einzelnen Fachgewerkschaften und den Arbeitgebern ausgehandelt, ohne daß die Sozialpartnerschafts-spitzen dazu etwas hätten beitragen können.

Für die Zukunft bleibt der österreichischen Sozialpartnerschaft somit eigentlich nur eine ihrer zentralen Aufgaben, wie sie sich ursprünglich in der Struktur der 1957 gegründeten, 1962 und 1963 weiterentwickelten Paritätischen Kommission ausgedrückt hatte: Die im Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen geballte politische Fachkompetenz sozialpartnerschaftlicher Experten.

Auf diese Fachkompetenz wird auch in Zukunft gerne jede Begie-rung zurückgreifen. Denn der Beirat stützt sich auf eine breite Legitimität - wird er doch von allen großen Wirtschaftsverbänden getragen. Die Meinungen des Beirates sind daher nicht nur wegen ihrer wissenschaftlichen Abstützung gewichtig, sie besitzen auch die für jede Begierung wichtige Eigenschaft, einen breiten Konsens zu verkörpern. Auf diesen gestützt, lassen sich heikle Fragen tendenziell „entpolitisieren”, also dem politisehen Konflikt entziehen. Und eine solche politische Absicherung ist gerade dann wichtig, wenn die Regierungspolitik sich immer enger werdenden Vorgaben ausgesetzt sieht, die politische Spielräume immer mehr zu beseitigen drohen.

Daß Österreich 1989 seinen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellte, hatte zumindest indirekt auch mit der Sozialpartnerschaft zu tun. Der ÖGR und die drei großen Kammerorganisationen (Arbeit, Wirtschaft, Landwirtschaft) hatten davor in einem Gutachten festgestellt, die Vorteile einer österreichischen Mitgliedschaft würden die Nachteile eindeutig überwiegen.

Auf den ersten Rlick scheint dieses Gutachten den Charakter einer Selbstverstümmelung zu haben. Denn auf der Ebene der EU haben nicht nur die österreichischen Sozialpartner, da hat auch die - überhaupt nur in Ansätzen vorhandene - europäische Sozialpartnerschaft nicht viel mitzureden. ÖGB und Kammern befürworteten also - mit ihrem Ja zum EU-Beitritt - ihre eigene Entmachtung.

Auf den zweiten Blick ist das freilich etwas komplizierter. Denn die Sozialpartner mußten ja davon ausgehen, daß die wirtschaftliche Globalisierung und die politische Europäisierung Österreich auf jeden Fall in eine Abhängigkeit bringen; und dann ist es eben klüger, sich nicht nur in das Unvermeidliche zu fügen, sondern auch - in Form der Mitgliedschaft - sich auch ein Stückchen österreichische Mitsprache zu sichern.

Die Anzeichen für diese Abhängigkeit waren schon Jahre vor dem österreichischen Beitrittsansuchen überdeutlich. Sie hießen Krise der Verstaatlichten Industrie und - in logischer Folge - Privatisierung. Damit ging nicht nur eine der wichtigsten Voraussetzungen der spezifisch österreichischen Form der Sozialpartnerschaft verloren, der starke Sektor der Verstaatlichten. Damit wurde auch deutlich, daß Osterreich zwar vielleicht ein Land der Seligen, sicherlich aber keine Insel eben dieser Seligen sein kann. Denn dazu war Österreich viel zu sehr an die Weltwirtschaft angekoppelt, als daß es sich mit einer noch so geschickten Politik diesem Druck hätte entziehen können.

Die EU hat wenig sozialpartnerschaftliche Züge, aber sie hat einige -und diese können ausgebaut werden:

■ Der AVirtschafts- und Sozialaus-schuß (EcoSoC), derzeit ein höchst unverbindliches Beratungsorgan der EU, kann mehr reales Gewicht bekommen.

■ Der „soziale Dialog” der EU, als ziemlich leere Formel in aller Munde, kann eine inhaltliche Auffüllung sehr gut gebrauchen.

■ Der „europäische Betriebsrat” kann gerade deshalb ausgebaut werden, weil im Zuge der Globalisierung die Konzerne sich immer mehr über alle nationalen Grenzen hinwegsetzen werden.

■ Die sozialen Defizite der EU, die sich am stärksten in der großen Arbeitslosigkeit manifestieren, werden in Zukunft die EU zwingen, sich um eine verstärkte soziale Legitimation zu kümmern.

Die österreichische Sozialpartnerschaft hat dann eine Zukunft, wenn sie aufhört, eine primär österreichische zu sein; und wenn sie ihre Zuständigkeit auf einige Kernbereiche reduziert. Die Sozialpartnerschaft wird dann überleben, wenn sie eine andere wird. Es hat keinen Sinn, den guten alten fünfziger, sechziger und siebziger Jahren nachzutrauern, als Böhm und Baab, dann auch Olah und Benya und Sal-linger mit einigen hinter den Kulissen ausgehandelten Kompromissen Weichenstellungen vornahmen, die dann von (fast) allen mit Applaus bedacht wurden. Die Weichen werden heute nicht mehr so gestellt - und vor allem nicht mehr in Österreich.

Deshalb muß die Sozialpartnerschaft sich grundsätzlich ändern, damit sie weiterexistieren kann - den globalen und europäischen Rahmen-bedingungen entsprechend, und auf die Überzeugungskraft dessen pochend, was die Sozialpartnerschaft ja letztlich ausmacht. Und das ist nicht eine bestimmte Kompetenz oder ein bestimmter Ausschuß - das ist die Herstellung von wirtschaftlicher und politischer Berechenbarkeit und damit von sozialer Sicherheit.

Ein wenig sind die Sozialpartner die Saurier, die an der Jahrtausend-wende mit einer großflächigen Klimaänderung konfrontiert sind. Umkehren können sie diese bedrohliche Entwicklung nicht. Die Sozialpartner haben aber die Wahl, sich anzupassen, also kleiner und europäischer zu werden; oder aber passiv dem eigenen Aussterben entgegenzudäm-mern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung