6706172-1963_51_31.jpg
Digital In Arbeit

Europareife der Landwirtschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Die österreichische Landwirtschaft braucht zum „Blick über den Zaun“ nicht erst aufgefordert zu werden und sieht in den Integrationserfordernissen keineswegs neuartige Schreckgespenster. Zwar ist man sich längst darüber im klaren, daß jegliche Form der Zusammenarbeit mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur Vorteile, sondern auch Opfer und Verpflichtungen mit sich bringen wird, man weiß aber auch, daß eine Isolierung weitaus gefährlichere Folgen für Landwirtschaft und Bauerntum in Österreich zeitigen würde.

Struktur im Wandel

Alle Bemühungen um die Anpassung der Land- und Forstwirtschaft an die Erfordernisse des Industriezeitalters, alle Strukturver- besserungs-, Rationalisierungs- und Umstellungsmaßnahmen dienen auch der Vorbereitung auf die Integration. Der Kampf um die Europareife ist gleichzeitig ein Kampf um die Selbstbehauptung des Bauerntums in der Industriegesellschaft. Dabei spielen die ständige Verbesserung des allgemeinen und fachlichen Bildungsniveaus sowie die weitere Stärkung des Selbsthilfegedankens eine entscheidende Rolle. Diesen Tatsachen trägt und trug die österreichische Agrarpolitik mit Erfolg Rechnung. Und obwohl die österreichische Landwirtschaft mit ihrem verhältnismäßig großen Anteil an mittel-, klein- und bergbäuerlichen Betrieben nicht gerade eine vorteilhafte Ausgangsbasis im internationalen Wettlauf um die „Europareife“ besitzt, braucht sie den Vergleich mit der Landwirtschaft anderer Staaten nicht zu scheuen.

Die landwirtschaftliche Erzeugung Österreichs ist in den letzten zehn Jahren um 36 Prozent gestiegen, obwohl im selben Zeitraum durchschnittlich jährlich rund 22.700 Vollarbeitskräfte aus der Landwirtschaft abgewandert sind. Die Arbeitsproduktivität, das heißt die Erzeugung je Vollarbeitskraft, erhöhte sich gegenüber der Vorkriegszeit um nicht weniger als 73 Prozent. Sie ist in der Landwirtschaft stärker gestiegen als in allen anderen Wirtschaftszweigen. Diese Leistungssteigerungen und erhöhten Wirtschaftserfolge sind nicht zuletzt auf das verbesserte Fachwissen und auf hohe, vielfach unter großen persönlichen Opfern vorgenommene Investitionen zurückzuführen.

Aufgabe der „Grünen Pläne“

Wie in anderen europäischen Staaten, so ist es auch in Österreich der Bauernschaft un möglich, die notwendigen Strukturver- besserungs- und Umstellungsmaßnahmen allein aus eigener Kraft zu bewältigen. Das Landwirtschaftsgesetz, beziehungsweise die alljährlich zu erstellenden „Grünen Pläne“ haben hier im Interesse der Allgemeinheit eine wichtige Hilfsstellung zu leisten. Es zeigt sich nun gerade bei der Vorbereitung auf die Integration, wie unentbehrlich dieses Land- wirtschaftsgesetz ist, um das in Österreich ein jahrelanger Kampf geführt werden mußte, ehe es im Jahre 1960 endlich verwirklicht werden konnte. Das Gesetz enthält nicht nur ein sehr reales Agrarprogramm, sondern sichert der österreichischen Landwirtschaft im wachsenden Konkurrenzkampf auch eine Ausgangsbasis, die überhaupt erst eine Beteiligung am Wettbewerb mit der Landwirtschaft anderer Staaten ermöglicht.

Die österreichische Landwirtschaft braucht und wünscht das möglichst rasche Zustandekommen eines wirtschaftlichen Arrangements mit der EWG, da nicht weniger als rund 85 Prozent der Agrarexporte in den EWG- Raum gehen und Ersatzabsatzmärkte dafür kaum gefunden werden könnten. Das gegenwärtige österreichische Agrarpreisniveau liegt ungefähr im EWG-Durchschnitt, so daß eine Anpassung auf diesem Gebiete für Österreich leichter sein wird als für manchen EWG- Staat. Da auch die EWG agrarische Marktordnungsmaßnahmen teils vorsieht, teils bereits verwirklicht hat, ist zu hoffen, daß die österreichischen Marktinstitutionen — nämlich der Milch-, Getreide- und Viehfonds — in entsprechender Form aufrechterhalten werden können. Verschiedene Schwierigkeiten, die sich für einzelne Produktionszweige ergeben werden, meint man in einer ausreichenden Übergangszeit ebenfalls überwinden zu können.

Die österreichische Landwirtschaft macht sich über Chancen und Vorteile in der EWG keine falschen Vorstellungen. Sie weiß, daß der Wettbewerb noch härter werden wird. Gerade die junge, fachlich geschulte Bauerngeneration ist mit gutem Erfolg dabei, sich — gefördert durch die agrarische Gesetzgebung — den Erfordernissen der Zeit anzupassen. Obwohl aber gegenwärtig ein bäuerlicher Bevölkerungsanteil von nur noch rund 16 Prozent mehr erzeugt als je zuvor in Österreich an Agrarprodukten hervorgebracht wurde, stehen den Rationalisierungsbemühungen der Landwirtschaft oft noch schier unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, die mit den

Bedeutung. Aber ohne entsprechenden Ausbau der Verkehrswege erscheinen weder die Errichtung gewerblich-industrieller Betriebe noch der Ausbau des Fremdenverkehrs sinnvoll. Hier hätten Gesetzgebung und Verwaltung in Aktion zu treten und durch gut durchdachte Raumordnungspläne weite Gebiete des ländlichen Lebensbereiches gründlich zu sanieren.

Mit den bescheidenen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, ist die Agrarpolitik gezwungen, auch noch Raumsanierungsmaßnahmen zu fördern, deren Durchführung durchaus im Allgemeininteresse gelegen wäre. Oder will man etwa behaupten, Verkehrserschließung und Restelektrifizierung, Wasserbau- und Forsterschließungsmaßnahmen, die durch den „Grünen Plan“ gefördert werden, gingen die Allgemeinheit nichts an und seien ausschließlich Sache der Bauern? Zehntausend bäuerliche Menschen verlassen alljährlich das Land und bringen ihr Erziehungskapital sowie erhebliche ideelle und materielle Werte mit in die Städte und Industriegebiete. Wo aber bleiben die Gegenleistungen zur Sanierung des ländlichen Lebensbereiches, die fürwahr nicht nur den Bauern, sondern allen Berufsständen in den Landgebieten und schließlich wieder dem gesamten Volk zugute käme?

Mitteln der Agrarpolitik allein nicht beseitigt werden können.

Regionale Wirtschaftspolitik

Es zeigt sich immer mehr, daß nicht nur die Landwirtschaft, sondern der gesamte ländliche Lebensbereich „europareif“ gemacht werden mi|ß, wenn wir mit der Entwicklung in unseren Nachbarstaaten Schritt halten wollen, in denen der sogenannten regionalen Wirtschaftspolitik ein ständig wachsendes Augenmerk zugewendet wird. Dem einzelnen, fortschrittlichen Landwirt nützen alle Bemühungen um eine rationelle Wirtschaftsführung und eine marktgängige Qualitätsproduktion nur wenig, wenn sein Hof weder einen Elektroanschluß, noch einen mit LKW befahrbaren Zufahrtsweg besitzt und die Verbindung zum Markt kaum gegeben ist. Und wie kann z. B. ein Bauer seine Besitzstruktur verbessern, seinen Grund aufstocken und Zusammenlegen, wenn es keinen erschwinglichen Kredit für ihn gibt und für die erforderlichen Kommassierungsarbeiten weder genug Fachleute noch ausreichende Mittel vorhanden sind?

Die Schaffung von Nebenerwerbsmöglichkeiten in Gebieten mit überwiegend klein- und bergbäuerlicher Besitzstruktur ist für viele ländliche Existenzen von lebenswichtiger

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung