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Europas Sicherheit und wir

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Der Beginn der EU-Regierungskonferenz über die Revision des Maastrichter Vertrages fällt mit dem Start der neuen Koalitionsregierung zusammen. Ein neues Kapitel der österreichischen Europapolitik ist aufgeschlagen. Im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) erscheint dabei die Herausforderung für Österreich gewaltig, hat doch der Paradigmenwechsel der internationalen Politik seit 1989 die herkömmlichen Denkmuster und Bewußtseinslagen hierzulande vielleicht langsamer als anderswo verändert.

Mittlerweile aber zeigen im Vorfeld der EU-Regierungskonferenz erstellte Umfragen, daß über 75 Prozent der Österreicher für eine gemeinsame EU-Außenpolitik und sogar eine Mehrzahl von 79 Prozent für eine gemeinsame EU-Verteidigungspolitik eintreten. In diesem Meinungsklima stellt sich die Frage nach dem österreichischen Standpunkt zur Weiterentwicklung der europäischen Sicherheitspolitik im Rahmen der EU. Zum besseren Verständnis der Regierungsposition hiezu sind gegenwärtig zwei Richtungsweiser hilfreich: zum einen die einschlägigen Aussagen im Koalitionsübereinkommen zwischen der SPÖ und der ÖVP zum Kapitel „Österreich als EU-Mitglied" und zum anderen die österreichischen Grundsatzpositionen zur EU-Regierungskonferenz 1996, so wie sie von der Bundesregierung am 26. März des Jahres beschlossen wurden.

Der aufmerksame Leser des Koalitionsübereinkommens stößt bei der Lektüre auf eine Reihe von Feststellungen, die in Umrissen erkennen lassen, wohin nach offizieller Auffassung die Reise Österreichs im Sicherheitsbereich gehen soll. Da heißt es etwa, daß die Regierungsparteien die Möglichkeiten, die sich für Österreich durch die EU-Mitgliedschaft eröffnen, konsequent und mit allem Nachdruck nutzen werden. Auch wird Österreichs aktive Solidarität und Integrationsbereitschaft zugesagt, insbesondere für die Teilnahme an der gemeinsamen Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik.

Die Regierungsparteien versprechen, „sich im Geiste europäischer Solidarität und zum Zwecke der dauernden Gewährleistung der Sicherheit der Republik Österreich im Einklang mit den Zielsetzungen der Europäischen Union für die vollberechtigte Teilnahme Österreichs an funktionsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen einzusetzen". Dieser programmatische Satz bringt die weitgehende Absicht zum Ausdruck, nicht nur voll an der Weiterentwicklung der europäischen Sicherheitspolitik mitzuwirken, sondern auch dafür zu sorgen, daß Österreich Mitglied der sich dabei herausbildenden Institutionen wird. In bezug auf die Regierungskonferenz wird Österreich nach dem Koalitionsübereinkommen für eine weitere Konvergenz von EU und WEU dafür eintreten, daß die WEU für die sogenannten „Petersberger Aufgaben" ausdrücklichen Richtlinien oder Instruktionen der Union unterstellt werden kann. Im einzelnen heißt dies, daß sich Österreich für eine stärkere Verknüpfung zwischen der Westeuropäischen Union und der Europäischen Union in dem Sinne ausspricht, daß die erstgenannte Organisation Aufträge der EU für humanitäre Missionen, Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie für Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens, durchzuführen hat. Die EU wäre diesbezüglich der Auftraggeber, die WEU der Exekutor. Österreich hätte somit die Möglichkeit, im institutionellen Rahmen der EU voll über die Auftragserteilung an die WEU mitzuentscheiden. Von den sicherheitspolitischen Festlegungen der Koalitionsparteien erscheint im besonderen die Ankündigung bedeutungsvoll, daß die Rundesregierung im Lichte des Verlaufes der EU-Regierungskonferenz und der Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspolitik alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen einschließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft Österreichs in der WEU einer umfassenden Überprüfung unterziehen und dem Parlament hierüber noch vor Übernahme des EU-Vorsitzes durch Österreich, spätestens jedoch im Laufe des ersten Quartals des Jahres 1998, berichten wird.

Ausgehend von einer sicherheitspolitischen Diskussion in Österreich, die noch vor kurzer Zeit innenpolitisch festgefahren schien, stellt diese für 1998 in Aussicht genommene Überprüfung einer österreichischen WEU-Mitgliedschaft doch einen sehr beachtlichen Schritt dar, der von Verantwortungsbewußtsein und von Sinn für die neuen Realitäten in Europa zeugt. Schließlich haben sich die beiden Regierungsparteien dem Zwecke einer vollen Einbindung Österreichs in die europäischen Sicherheitsstrukturen verschrieben und ein ausdrückliches Bekenntnis zur aktiven Teilnahme Österreichs an der NATO-Partnerschaft für den Frieden und an der weiteren Mitwirkung unseres Landes an der weiteren Entwicklung der OSZE als umfassendes Forum europäischer und transatlantischer Sicherheit abgelegt. Im Bereich der legistischen Maßnahmen ist ein Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität vorgesehen, das zu einem effizienten Instrument bei der Entsendung von österreichischen Einheiten in das Ausland für ein breites Spektrum von Friedenseinsätzen und humanitären Hilfsmissionen werden soll.

Neben dem Koalitionsübereinkommen geben die vom Ministerrat beschlossenen Grundsatzpositionen für die EU-Revisionskonferenz Aufschluß über die österreichische Haltung zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die einschlägigen Formulierungen sind freilich knapp und bringen gegenüber dem Koalitionspapier keine weitergehenden Absichtserklärungen. Wesentlich erscheint die Bekundung des Anliegens Österreichs, die Handlungsfähigkeit der Union auf außen- und sicherheitspolitischem Gebiet zu verbessern, wobei auch Fortschritte im Bereich der Verteidigungspolitik angestrebt werden. Wollte man das Herangehen der Regierung an die aktuellen Herausforderungen der europäischen Sicherheitspolitik mit einem Schlagwort beschreiben, so erschiene „vorsichtiger Pragmatismus" zutreffend.

Die Kernaussagen der jüngsten Festlegungen der Koalitionsregierung lassen bekenntnishaft die Absicht erkennen, Österreich in die neuen Strukturen einer europäischen Integrationsgemeinschaft hineinzuführen. Deren Konturen sind insgesamt noch zu vage, als daß im Augenblick bereits eine bestimmte Fixierung vorgenommen werden müßte. Daß andererseits in Österreich die sicherheitspolitische Debatte in Bewegung geraten ist, läßt sich in den beschriebenen Absichtserklärungen doch sehr deutlich feststellen. Anzumerken bleibt, daß die Integrationspolitik der EU im Sicherheits- und Verteidigungsbereich zu Beginn der Begierungskonferenz alles andere als stürmisch ist.

Gutinformierte Beobachter sind sich darüber einig, daß sich die Ausgangslage für entscheidende Fortschritte in Richtung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU - von einer gemeinsamen Verteidigung ganz zu schweigen - heute insgesamt eher ungünstig darstellt. Diese Vorzeichen sollten von integrationsfreundlich gesinnten Geistern auch in Österreich bedauert werden, weil sie einer weiteren Dynamisierung der sicherheitspolitischen Diskussion in diesem Lande im Wege stehen. Es könnte allerdings durchaus sein, daß das sicherheitspolitische Bewußtsein in Österreich aus einer anderen Bichtung wieder in Bewegung gerät:

Daß heute die äußere Sicherheit eines Staates nicht mehr allein gewährleistet werden kann, sondern des Zusammenschlusses im Rahmen funktionsfähiger Sicherheitsstrukturen bedarf, dafür liefern die Ambitionen gerade der mittel- und osteuropäischen Staaten den besten Beweis, die baldmöglichst voll in die westlichen Sicherheitsstrukturen integriert werden möchten.

Diese Entwicklung zeigt, daß im sicherheitspolitischen Umfeld Europas die äußere Sicherheit der Staaten in unserer Region in der Gemeinsamkeit mit operativen Verteidigungsorganisationen gesucht wird. In diesem Sinne können die Restrebungen der Staaten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft um eine Eingliederung in die sicherheitspolitische Zone der Stabilität in Europa auch für Österreich sehr lehrreich sein.

Botschafter Dr. Franz Cede

ist Leiter des Völkerrechlsbüros im Außenamt.

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