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Export ohne Mythos

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Janusköpfig ist das Verhältnis Österreichs zum Export: Das eine Gesicht ist die naive Freude über jeden Absatterfolg auf den verwöhnten Auslandsmärkten; die zwar falsche, aber felsenfeste Uberzeugung von der starken außenwirtschaftlichen Verflechtung Österreichs; und last, not least, der konjunkturpolitische Exportfetischismus, der alles Heil vom Ausland erwartet. Das andere Gesicht ist ein Exporttrauma, wie es in der Standardphase vom zu kleinen Binnenmarkt (und in einer dementsprechend irrationalen Einstellung zur europäischen Integration) ebenso zum Ausdruck kommt wie in der nationalen Wehmut über den „Verlust der natürlichen Absatzmärkte“ im Osten und Südosten Europas oder in jenen Firmen- und Branchenberichten, die jeder Produktionssteigerung, die mit vermehrten Exporten „erkauft“ wurde, die Gloriole eines Opfers auf dem Altar des Vaterlandes verleihen.

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Janusköpfig ist das Verhältnis Österreichs zum Export: Das eine Gesicht ist die naive Freude über jeden Absatterfolg auf den verwöhnten Auslandsmärkten; die zwar falsche, aber felsenfeste Uberzeugung von der starken außenwirtschaftlichen Verflechtung Österreichs; und last, not least, der konjunkturpolitische Exportfetischismus, der alles Heil vom Ausland erwartet. Das andere Gesicht ist ein Exporttrauma, wie es in der Standardphase vom zu kleinen Binnenmarkt (und in einer dementsprechend irrationalen Einstellung zur europäischen Integration) ebenso zum Ausdruck kommt wie in der nationalen Wehmut über den „Verlust der natürlichen Absatzmärkte“ im Osten und Südosten Europas oder in jenen Firmen- und Branchenberichten, die jeder Produktionssteigerung, die mit vermehrten Exporten „erkauft“ wurde, die Gloriole eines Opfers auf dem Altar des Vaterlandes verleihen.

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Wie auch in anderen Bereichen der Ökonomie, bewegt sich beim Export die Diskussion überwiegend auf der vorwissenschaftlichen Ebene der Sprüche und Weistümer. Das beginnt schon bei der Wald- und Wlesen-floskel der Sonntagsredner und Leitartikler, daß Österreich „als kleines Und exportabhängiges Land“ dieses tun oder jenes lassen müsse. Daran stimmt nur die Kleinheit Österreichs, die freilich nicht nur ein Handikap, sondsra auch ein Start-vortell ist: man kann unbemerkt und unbehindert wachsen. Die große Exportabhängigkeit dagegen ist frommer Selbstbetrug: Was die Ausfuhr pro Kopf der Bevölkerung betrifft, nimmt Österreich mit (1969) 8500 Schilling in der OECD erst den 9. Platz ein; Kanada exportiert je Einwohner doppelt, Belgien sogar gut dreimal soviel wie Österreich. Die — aussagekräftigere — Relation zum Brutto-Natlönalprodukt verändert das Bild nur wenig: Zwar rücken wir an die 7. Stelle auf, aber unser 19,4prozentiger Exportamteil an der gesamten inländischen Produktion wird von allen größenmftßig vergleichbaren Ländern tibertroffen: Schweden und Dänemark 20,0 Prozent, Norwegen 20,4 Prozent, Schweiz 24,9 Prozent, Holland 35,7 Prozent, Belgien 43,8 Prozent. Darob den Kopf hängen zu lassen, wäre aber voreilig — zumindest soweit es um die Primäraufgabe der Ausfuhr geht; die Einfuhr zu finanzleren. Gewiß hat von Anfang 1963 bis Mitte 1970 der Güterexport mit rund 350 Milliarden den um etwa 100 Milliarden höheren Einfuhrbe-darf nicht zur Gänze gedeckt, doch wäre ein Abbau des landauf, landab beklagten Handelsbilanzdefizits (schon rein semantisch eine bezeichnende Perhorreszierung des wohlstandsmehrenden Einfuhrüberschusses) schlechterdings eine Katastrophe gewesen: Das 99-Milliarden-Defizit in der Handelsbilanz reduziert sich nämlich — vor allem dank über 80 Milliarden an Nettoeinnahmen au« dem Fremdenverkehr — auf ein klägliches Leistungsbilanzdefizit von 7,5 Milliarden.

„Kläglich“ deshalb, weil Österreich angesichts seiner nahezu ausgeglichenen LetstungsbÜanz außerstande war, das allenthalben zusammenge-schnorrte Auslandkapital auch tatsächlich im Inland zu investieren, so daß wir das Geborgte in Form eines Devisenzuwachses von rund 14,5 Milliarden Schilling auf Heller und Pfennig an das Ausland zurückborgten. Mit dem Gegenwert von 5,8 Monatsimporten sind heute die Gold-und Devisenreserven Österreichs die nach der Schweiz höchsten der Welt; selbst die Bundesrepublik, wegen ihrer Zahlungsbilanzüberschüsee international ein Stein des Anstoßes, deckt mit ihren Überreichen valutarischen Reserven nur 3,4 Monatsimporte.

Unser Devisen-Tick stammt aus den Jahren nach Kriegsende Damals war es «innvoll gewesen, alles zu fördern, was „kostbare“ Devisen zu bringen oder «inausparen versprach. Seit etwa anderthalb Jahrzehnten ist das Devisenargument — ob es gegen unerwünschte Importe oder Auslandreisen oder ob es für die Aufnahme einer Imlanderzeugung oder für Ex-portförderungsmaßnahmen strapa-aiert wird —• schlicht und einfach ein Atavismus.

Erst seit anderhalb Jahrzehnten? Man könnte ebeneo sagen: seit anderthalb Jahrhunderten, denn solange ist es her, daß die Klassiker der Nationalökonomie — Ricardo und insbesondere John Stuart Mill — dl« merkantilistische These von der wohlstandsmehrenden Funktion des Exports auf den Kopf gestellt und die kühne, aber leicht zu beweisende Behauptung aufgestellt haben, daß nicht die Aus-, sondern die Einfuhr wohlstandsmehrend wirkt und der Export nur Mittel zum Zweck ist, als Finanzierungsquelle für den Import substituierbar durch den Ertrag de« im Ausland investierten Kapitals oder durch für das Ausland erbrachte Dienstleistungen. Mill und seine antirnerkant'listi-schen Gesinnungsfreunde dachten dabei natürlich an Schiffahrt«-, Versicherung»- oder Bankleiatungen. Für das heutige Österreich wäre eine andere Variante der zu Unrecht in Vergessenheit geratenen klassischen Außenhand elsth fori (> aktuell: die Wertung des Ausländer-Fremdenverkehrs nicht als Exportsurrogat. Es geht also — welche Blaspnemie! — um die Einsicht, daß sich zahlungsbilanzpolitisch die Aufgabe des Gtiterexports darauf beschränkt, nur jenen Teil des wachsenden Importbedarfes zu finanzieren, der «ich nicht optimaler mit Fremdenverkehrseinnahmen (bei denen die „terms of trade“ zugunsten Österreichs wirken, weil die Preise der Dienistleistungen weltweit schneller steigen als die Preise der Waren) und mit den Erträgen österreichischer Direktinvestitionen In Ländern mit niedrigeren Löhnen und günstigeren Frachtkosten bezahlen läßt. (Das nämlich ist das von den USA, der Schweiz usw. vorexerzierte Rezept: Nicht partout im Inland m erzeugen und Produkt ionsüberschtisse zu exportieren, sondern gleich die Produktion dorthin zu verlagern, wo die Bedingungen atm günstigsten sind.)

Das ist allerdings nur der zahlungs-bllanzpolltlsche Aspekt; ginge es bloß um den Ausgleich der Devisenbilanz, müßte Österreich — sich selbst und den Defizitländern zuliebe — eigentlich statt den Export, den Import fördern. Aber auch sta-bilitäts- und beschäftigungspolitisch spricht wenig für ein Forcierung des Exports: Die Öterreichlsch« Volkswirtschaft Ist tendenziell überbeschäftigt (so daß manche marginale Exportproduktionen, die nur dank den als Umsatzsteuerrückvergütung getarnten Subventionen und verbilligten Krediten international wettbewerbsfähig sind, Arbeitskräfte binden, die anderswo eine höhere Wertschöpfung bewirken könnten), und die permanente Devi-senbilanzüberschüsse lassen der Tendenz nach das Geldvolumen schneller wachsen als das im Inland verfügbare Güter- und Leistungsvolu-men.

Hätte die öffentliche Meinung — inklusive der offiziellen Wirtschaftspolitik — zum Export ndcht eine so völlig irrationale Einstellung, wäre es nicht notwendig, ein Plädoyer für den Export mit so vielen scheinbar exportfeindlichen Feststellungen einzuleiten. Plädieren kann der Nationalökonom guten Gewissens allerdings nicht für einen Export um jeden Preis, sondern nur — dies jedoch ohne Vorbehalt — für einen qualifizierten Export (genau wie alle Argumente zugunsten des Fremdenverkehrs nur für eine qualifizierte, das heißt nicht auf die Zahl der Nächtigungen, sondern auf den Devisenerlös je Aufenthaltetag abgestellte Fremdenverkehrspolitik gelten).

„Qualitätsmaßstab“ der Ausfuhr ist freilich nicht — oder zumindest nicht allein — der Anteil der Rohstoffe einer- und jener der Fertigwaren anderseits. Auch das wäre primitiver Merkantilismus: möglichst nur Rohstoffe ein- und tunlichst nur — nota-bene „lohnintensive“ — Fertigprodukte auszuführen. Abgesehen davon nämlich, daß dies das Rezept des Imperialismus (und in der Arbeitsteilung zwischen entwickelten Industrieländern offensichtlich unanwendbar) ist, liegt diesem Klassifl-zierungsmaßstab unausgesprochen die Annahme zugrunde, daß wir Mühe hätten, da» österreichische Arbeitskräftepotential zu beschäftigen.

Das Gegenteil trifft jedoch zu, und angesichts der dauernden Vollbeschäftigung sollten wir uns auch nicht allzusehr darauf verlassen, noch lange den — höchst fragwürdigen! — Vorteil eines international niedrigen Lohnniveaus lukrleren zu können. Nicht lohnintensiv sollte unsere Ausfuhr daher sein, sondern nach Maßgabe der Möglichkeiten eines verhältnismäßig kapitalarmen Landes kapitalintensiv und Insbesondere gehlm- und geschmack-tntensiv, denn der größte komparative Vorteil Österreichs liegt In unseren Begabungsreserven. Nicht mit

Schweiß sollen wir uns auf dem Weltmairfct durchsetzen, sondern mit Ideen; und wenn dieses Ingenium beispielsweise bei „maßgefertigten“ Produktionsanlagen Hegt, schadet es gar nichts, wenn wir nicht jeden Baumstamm, den man uns aus der Hand reißt, zu Rotattonspapier „veredeln“, das uns niemand abkauft. Für die Steigerung der Gehirn- und der Geschmacksintensität unserer Produktion ist der Export unerläßlich: Welche fulminanten Ideen immer ein Dessinateur haben mag — wäre der Absatz seiner Muster und Modelle auf Österreich beschränkt, entstünden unwirtschaftliche Losgrößen im Boutique-Maßstab; und die kühnen Ideen für Kurbelwellenfräsmaschinen oder Gleiisstopfanla-gen wären (In Österreich) unverwertbar gewesen, hätte allein für jene zwei bis fünf Prozent, die hier der Inlandsabsatz heute ausmacht, eine Produktion aufgezogen werden müssen.

AI Betätigungschance für Know-how und innovatorische Ideen Ist der indiustriellgewerbliche Export auch nicht durch einen noch so devisen-trächtlgen „Edeltourlsmus“ ersetzbar: Mit Ausnahme der Küchenchef-Aufgaben gibt es im Fremdenverkehr so gut wie keine kreativen Tätigkeiten; ohne die Chancen im der (Export-) Industrie müßten wir zu einer Nation' von — bestenfalls fremdsprachenkundigen — Skilehrern und Stubenmädchen degenerieren.

Eng korreliert mit der Gehirn- und Gaschmactosantensität des Exports sind zwei weitere ökonomisch relevante Qualifikationskriterisn: die erzielbaren Zahlungskonditionen und die Möglichkeit, ausländisch« Zölle auf den Abnehmer zu überwälzen. Beides ist gerade für Österreich essentiell, denn bei der Einräumung von Lieferkrediten haben größere Länder und Weltkonzerne den längeren Atem, und für den EWG-Zaungast liefe es auf eine spürbare Wohlsfandseinbuße hinaus, außer den nicht knapp bemessenen eigenen Zöllen auch noch die vom Ausland auf die eigenen Produkte gelegten tragen zu müssen. ,,Qualifizierter“ Export dieser Art wäre die Reifeprüfung der Industrie-

Politik. Einige Vorexamen haben wir bereits bestanden: seit einigen Jahren holt unsere Ausfuhr quantitativ, aber auch qualitativ auf. Nicht daß, sondern was wir exportleren, beginnt «ich auch zunehmend als Krücke für unser wirtschaftliches Selbstbewußtsein zu eignen (so beschämend es an «ich auch ist, daß der Österreicher zu den Produkten seiner Leistung erst Vertrauen gewinnt, nachdem das Ausdand solche« bewiesen hat).

Mit Ansichten wie den hier ausgesprochenen macht man sich bei der starken Export-Lobby nicht beliebt. Wem (außer dieser Lobby) hilft es aber, aus dem notwendigen und nützlichen Export einen blind angebeteten Fetisch zu machen?

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