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Exportraffinerie für die Zukunft

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Ende September versammelte die Mineral- ölflrma Mobil Oil in Amsterdam Journalisten aus Holland, England, Frankreich, der Schweiz, aus den skandinavischen Ländern .und aus Österreich anläßlich, der Eröffnung einer modernen. Raffinerie. Prinz Bernhard d,er Niederlande drehte nach den Festreden hoher aus den USA angereister Funktionäre fier Gesellschaft und nach den Ansprachen der leitenden Herren des neuen Werkes und des Bürgermeisters von Amsterdam symbolisch das Steuerrad eines Schiebers und setzte damit die neue Raffinerie in Betrieb.

Bevor wir uns mit den technischen Errungenschaften dieser Anlage befassen, sei ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Energiewirtschaft in der Welt gegeben: Der Bedarf der freien Welt an Mineralölproduk- ten in der Dekade 1960 bis 1970 wird sich verdoppelt haben. Aber diese Entwicklung ist nicht am Ende. Man erwartet, daß allein der Zuwachs in der Zeit von 1965 bis 1980 größer sein wird, als der gesamte Bedarf der freien Welt im Jahre 1960 und daß der größte Teil dieses zusätzlichen Bedarfes in Gebieten außerhalb der Vereinigten Staaten und Kanada auftreten wird. Das Erdöl, welches heute zu zwei Drittel den Energiebedarf fier freien Welt deckt, befindet sich noch immer im Vordringen. War der Anteil an der lEnergieerzeugung 1966 ein Prozent Kernenergie, 3 Prozent Wasserkraft, 64 Prozent Erdöl und Erdgas und 32 Prozent feste Brennstoffe, so werden sich diese Anteile 1985 schätzungsweise auf 3 Prozent bei der Kernenergie und auf 73 Prozent bei Erdöl und Erdgas erhöhen, während der Anteil der festen Brennstoffe auf 21 Prozent zurückgehen wird. Der Anteil der Wasserkraft mit 3 Prozent dürfte gleich bleiben. Das Erdöl hat heute schon seine eindrucksvollsten Zuwachsraten, allerdings nicht nur als Energieträger, sondern auch als Rohstoff für den Ohemie- isektor, aufzuweisen. Schon jetzt wird in der Organchemie die Erzeugung zu etwa 85 bis 90 Prozent von der Petrochemie beherrscht Den Konsumschätzungen liegt die Annahme einer jährlichen Zuwachsrate von 4,5 bis 5 Prozent zugrunde, das heißt, daß sich der Energieverbrauch bis 1985 um das Zweieinhalbfache und bis zum Jahre 2000 auf das Vierfache erhöhen wird. Mit anderen Worten: Die Erdölindustrie wird in den nächsten zwei Jahrzehnten etwa doppelt soviel Erdöl und Gasreserven auffinden müssen, als ihr dies in den letzten 100 Jahren gelungen ist. Es sei festgehalten, daß 1965 die sieben’ größten internationalen Mineralölgesellschaften (BP, Esso, Gulf, Mobil, Shell, Standard of California und Texaco) rund fünf Milliarden Dollar (130 Milliarden Schilling) investiert haben. Nimmt man an, daß die Investitionen proportional zum Bedarf steigen müssen, dann würden in den kommenden Jahren Jahresinvestitionen von 7 bis 8 Milliarden Dollar erfolgen müssen, respektive, daß in den nächsten fünf Jahren etwa 35 bis 40 Milliarden Dollar, das sind rund 1 Billion Schilling, investiert werden müssen.

Mit diesen Zahlen als Hintergrund fällt es (leicht, die Bedeutung der neuen Raffinerie auch für Österreich zu erkennen, wenn auch vielleicht Jahre vergehen werden, bis auch wir aus dieser Anlage direkt oder indirekt (Nutzen ziehen können. Es handelt sich um eine Exportraffinerie, die vorläufig in erster Linie für den skandinavischen Markt bestimmt ist, aber wie lange kann es bei der geschilderten stürmischen Entwicklung dauern, bis auch Mitteleuropa Nutznießer dieser hypermodernen Einrichtung sein wird? Die Voraussetzungen sind gegeben: Ein moderner Hafen mit direktem Schienenstrang, mit Straßen und Wasserwegen zu den Indu-striezentren Europas. Ein Markt von 200 Millionen Menschen innerhalb eines Umkreises von 600 Kilometern. Die Raffinerie erstreckt sich über ein Gelände von 180 Hektar und hat einen ausgebaggerten Kanal sowie ein Drehbassin von ausreichender Größe, um Tankern von 80.000 Tonnen Raum zu geben.

Bis 1870 war das ganze Gebiet, welches für industrielle Anlagen zugänglich gemacht wird, ein Binnensee, mit holländischem Fleiß wurde hier Land dem Meer abgerungen und in ein sauber parzelliertes landwirtschaftliches Areal aufgeteilt. Mit Beginn 1963 wurde ein Teil des mit viel Mühen dem Wasser abgewonne- men Landes wieder in Wasserstraßen rückverwandelt, und der Rest wurde industriellen Zwecken zugefüihrt. Nachdem das Land ursprünglich drei Meter unter der Meeres- ihöhe gelegen war, wurde es notwendig, das Niveau dieses Gebietes bis zu einem Meter über die Höhe von Amsterdam durch Aufschüttungen mit Sand an einigen Plätzen anzuheben. Dieses gigantische Unternehmen beanspruchte eine Gesamtmenge von 30 Millionen Kubikmeter Sand, welche durch die Erweiterung und Vertiefung des Nordseekanals gewonnen wurden. Mit z. Z. vier Millionen Tonnen Jahreskapazität will man beginnen, bis 1980 rechnet man mit 12 Millionen Tonnen, die von Amsterdam aus manipuliert werden. Der Bauauftrag für die Raffinerie wurde vor rund drei Jahren vergeben, die erste Ladung Rohöl konnte schon im März dieses Jahres übernommen werden.

Sehr scharfe Bestimmungen der niederländischen Regierung und insbesondere der Hafenbehörde von Amsterdam mußten erfüllt werden, um die Luft- und Wasserverunreinigung auf ein Mindestmaß zu beschränken. In dieser Beziehung sind die Vorkehrungen vorbildlich und auf den letzten Stand gebracht. Da gibt es zum Beispiel eigene Kraftfahrzeuge, die auf dem großen Areal allein zu dem Zweck herumfahren, um die Luftverschmutzung zu messen. In dem Augenblick, da ein gewisses von den Behörden vorgeschriebenes Maß an Verpestung erreicht ist, wird entweder der Ausstoß der Raffinerie gedrosselt oder aber es wird ein anderes Rohöl als Ausgangspunkt verwendet.

Das gleiche gilt von den Maßnahmen für Iden Feuerschutz, von denen die Besucher stark beeindruckt waren. Hier handelt es sich um Vorkehrungen, die zum erstenmal bei einer europäischen Raffinerie getroffen wurden: Man arbeitet mit einer Kombination von 'Löschmitteln aus Pulver und Schaum. Die Raffinerie umfaßt eine Rohöldestillations- anlage, einen Reformer, eine Entschwefe- lungsanlage mittels Wasserstoff, eine Gastrennanlage zur Gewinnung von Propan und Butan, ferner eine Anlage zur Entfernung von Schwefelwasserstoff aus den Raffineriegasen sowie eine Einrichtung zur Gewinnung von Schwefel aus Schwefelwasserstoff. Die Raffinerie ist so ausgelegt, daß je nach Versorgung die Rohölsorten verarbeitet werden.

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