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Faules Obst

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Als Folge der ersten Bauernbefreiung erhielten die Bauern erstmals in der Neuzeit soziale Chancen, die aber lediglich deklarativen Charakter hatten und wirtschaftlich nur in einem unzureichenden Umfang genutzt werden konnten.

Erst die zweite Bauernbefreiung, das Werk von Bauernführern und einer liberalen Gesetzgebung, schuf im Ansatz so etwas wie eine sozialökonomische Parität der bäuerlichen Produzenten mit den anderen Großgruppen der Wirtschaftsgesellschaft und sicherte einen Vorrang gegenüber der Fabrikarbeiterschaft. Die kleinen und mittleren Bauern gewannen einen Selbststand; Bauernpolitiker vermochten den Bauern nunmehr ein Mindestmaß an ökonomischer Sicherheit zu garantieren. Die politischen Maßnahmen wurden durch die bäuerlichen Genossenschaften zementiert, die eine Art von wirtschaftlicher Integration der bäuerlichen Betriebe darstellten. An die Stelle eines vielfachen (atomistischen) und je für sich unzureichenden Marktanbotes der einzelnen Bauern trat eine Gesamtanbotgröße je Markt. Heute sind etwa in Österreich die landwirtschaftlichen Genossenschaften eine wirtschaftliche Großmacht, insbesondere die Warenhandelsgenossenschaften, verwaltet von einer zweiten Bürokratie, und ebenso wie die Konsumgenossenschaften sowohl vertikal als auch horizontal konzentriert.

Die Arbeiterschaft, zu Beginn der Bauernbefreiung noch aus dem Bereich der Gesellschaft verwiesen, hat aufgeholt. Der an ihrem Konsum merkbare Wohlfahrtsanstieg ist stärker als jener bei den Bauern. Die Bauernführer sind nun bemüht, in einer dritten Bauernbefreiung den Bauern die bereits wieder verlorene Parität — auch gegenüber der Arbeiterschaft — zurückzugewinnen. Jedenfalls ist offenkundig, daß zwar das Je-Kopf-Einkommen der Bauern in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist, aber unterproportional.- wenn man den allgemeinen. Einkommensaristieg zum Vergleich heranzieht. Daher das Verlangen nach Parität, sei es in sozialer, sei es in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Ausgangsstellung einer Gesamtreparatur der bäuerlichen Gesellschaft soll der Grüne Plan bilden, der sowohl Analyse wie ein Katalog von Maßnahmen zur Änderung der Agrarstruktur zu sein hat.

Trotz der nicht selten fragwürdigen Qualität des verfügbaren Zahlenmaterials ist das Anliegen der Bauern ernst zu nehmen. Daran ändert auch der Radikalismus mancher Funktionäre nichts, die darauf aus sind, den einzigen Sachwalter, den die Bauern im Land haben und haben können, die Volkspartei, zu schwächen. Wenn die Fahne des Bundschuhes entfaltet wird, werden die „Gemeinen hellen Haufen“, welches Marschziel sie beim Start auch immer gehabt haben, schließlich doch gegen die ihnen nicht „wohlfeile" Regierung marschieren, und da vor allem gegen den Finanzminister wie auch gegen den Landwirtschaftsminister — den besten, den unser Land je gehabt hat.

Alle Hoffnung wird auf (Santa) Klaus in der Himmelpfortgasse gesetzt, alle Hilfe soll das Budget bringen. Was dabei gefordert wird, ist wahrlich keine große Summe, etwa so viel, als da und dort in der verstaatlichten Industrie in den letzten Jahren vertan worden ist.

Nun dürfte es aber nicht allein um Mittel gehen, deren Einsatz eine neue Agrarstruktur herbeizuführen vermag. Welchen Sinn hat ein neues wirtschaftliches Gefüge des Bauerntums, das beispielsweise mit einer Verringerung der Stückkosten verbunden ist, wenn das Preisgefüge nicht ‘in Ordnung ist, wenn die Kostenreduktion nicht den Konsumenten und auch nicht den Bauern zugute kommt, sondern dritten Personen, denen schließlich indirekt die staatlichen Mittel „gewidmet" werden. Die dritte Etappe der Bauernbefreiung darf sich jedenfalls nicht allein im Bereich der agrarstrukturellen Maßnahmen vollziehen, sondern sollte sich auch als Versuch darstellen, den Einkommensvor- enthalt. dem die Bauern ausgesetzt sind, weitgehend zu beseitigen. Das heißt: Beseitigung der Preis schere, Herstellung einer Preisparität zwischen jenen Produkten, die der Bauer anbietet, und den Erzeugnissen, die er aus dem nichtagrarischen Bereich hereinnehmen muß. Es ist nicht so, daß allein die Konsumenten aus einer Art von Preisgewöhnung nicht bereit sind, dem Bauern seine Arbeitsleistung abzugelten. Mehr noch sind es in manchen Sparten des Marktes landwirtschaftlicher Produkte die Aufkäufer, die dem Bauern den gerechten Preis vorenthalten und vorent- halten dürfen.

In diesem Zusammenhang soll auf ein Problem — unter den vielen der Agrarpolitik — hingewiesen werden, das nicht nur die bäuerliche Bevölkerung großer Regionen unseres Landes berührt, sondern auch so gut wie alle städtischen Konsumenten: Die Tatsache, daß den Bauern bei Obst und Gemüse von Aufkäufern skandalös niedrige Preise geboten werden, ohne daß jedoch die Konsumenten den Vorteil des niedrigen Einkaufspreises erhalten. Auf diese Weise kommen agrarstrukturelle Maßnahmen, soweit sie Obst und Gemüse betreffen, zu einem großen Teil nicht den Bauern zugute.

Bei vielen Agrarprodukten befinden sich private Händler und Genossenschaften im Konkurrenzkampf, vor allem auf der Einkaufsseite. Die Nutznießer dieses Konkurrenzkampfes sind sowohl die Bauern als auch die Konsumenten. Das gilt vor allem für die Getreideprodukte. Die dort angerechneten Handelsspannen sind zudem relativ gering und amtlich reglementiert. Von einem solchen Konkurrenzkampf ist bei Obst nicht allzuviel zu spüren. Ebenso nicht bei Gemüse. Die Bauern können sich ihre Abnehmer nicht unter vielen aussuchen und sind — wegen der Verderblichkeit der Ware — oft auch nicht in der Lage, zu warten. Die Bauern erhalten, trotz aller Dementis, nicht selten Preise, die kaum ihre Selbstkosten decken und ihnen jede Erweiterung des Anbaues als sinnlos erscheinen lassen. Wieviel haben etwa die Städter von der groß ajigekündigten Zwetschkenschwemme gemerkt, und dies, obwohl die Bauern zuweilen Preise erhielten, die nur sym bolischen Charakter hatten? Jedenfalls gibt es bei Obst und (weniger) bei Gemüse Bruttospannen, die über 1000 Prozent hinausgehen und hinausgehen dürfen.

Wer Einblick in die Risiken und in die Manipulationen des Obst- und Gemüsehandels hat, ist zwar davor gefeit, billige Vergleiche beispielsweise mit dem Getreidehandel anzustellen. Das Risiko des Verderbes ist ein relativ großes. Ebenso sind die Kosten der Aufbringung (Transport, Manipulation, Verpackung) absolut hoch, und auch dann hoch, wenn die Einkaufspreise niedrig gehalten werden können. Man darf sich außerdem nicht durch Prozentsätze täuschen lassen. Je niedriger der Einkaufspreis ist, um so relativ höher ist die Bruttospanne, die doch auch die Kosten zu decken hat. Diesen Tatbestand darf man bei Betrachtung der Dinge nicht übersehen.

Trotzdem: In Zeiten eines verhältnismäßig großen Anbotes an Obst und Gemüse (dessen Anbaumenge noch einigermaßen reguliert werden kann) werden die Bauern von einzelnen Aufkäufern in einer unvorstellbaren Weise übervorteilt. Dem Käufer der Ware werden jedoch auf den Märkten der Letztverbraucher unangemessen hohe Preise gerechnet. Die Skandale geschehen, ohne daß man auf ein wirksames Eingreifen der zuständigen Behörden hoffen kann, die ab und zu Strafen aussprechen, die bereits in den Handelsspannen mitverrechnet sind und daher von den Konsumenten getragen werden müssen.

Der Bauer darf sich nicht alles Heil vom Budget erwarten. Gerade in der Sache der Preise bei Obst und Gemüse bedürfte es eingehender Untersuchungen (durch unparteiische Fachleute) und durchgreifender Maßnahmen, sollen nicht alle Bemühungen, eine Preisparität herzustellen, ebenso illusorisch sein wie der Einsatz von Budgetmitteln, die schließlich auf Umwegen in bauernfremden Fonds landen.

Vorläufig fehlt es aber an ernst zu nehmenden Protesten der Betroffenen. Der Vorenthalt gerechtfertigter Leistungsabgeltung wird, wenn auch nicht stillschweigend, so doch hingenommen. Warum läßt man es sich gefallen — ein Beispiel —, daß ein ausländisches Unternehmen, das mit österreichischen Krediten zum Zweck des Erwerbes von Obst versorgt wurde und diese nur unter der Auflage erhielt, anständige Preise zu zahlen, trotzdem entgegen der Vereinbarung die üblich gewordenen symbolischen Preise bot?

Obst und Gemüse haben heute einen beachtlichen Platz im Haushaltbudget. Die Getreideprodukte spielen freilich immer noch eine beachtliche Rolle und sind d i e lebenswichtigen Lebensmittel. Die Konzentration der Preisgesetzgebung vor allem auf Brot und Milch ist jedoch nicht mehr in Übereinstimmung mit den Verbrauchsgewohnheiten. Jedenfalls haben Obst und Gemüse heute eine gewichtige Position im Budget der Familie, vor allem der Familie, die Kinder zu versorgen hat, eingenommen.

Der Anteil der Ausgabengruppe Obst und Gemüse (zuzüglich Erdäpfel) ist in den letzten Jahren derart gestiegen, daß die weithin passive Haltung der Preisbehörden in der Sache der Preisexzesse nicht immer verständlich ist.

Zwischen 1952 und 1957 verringerte sich bei untersuchten Arbeiterhaushalten in Wien die Ausgaben für Getreideerzeugnisse von 17,97 Prozent auf 15,1 Prozent der Haushaltaus- gaben. Anderseits stiegen gleichzeitig die Ausgaben für Gemüse, Obst und Erdäpfel von 11,8 auf 13,1 Prozent. Im einzelnen stieg der Mehrverbrauch bei Gemüse um 19,54 Prozent und bei Frischobst sowie Südfrüchten sogar um 44,99 Prozent.

Die Folgen der unzureichenden Preispolitik bei Obst und Gemüse zeigen sich in den Zahlen der großen Konsumerhebung des Österreichischen Statistischen Zentralamtes (siehe S. 25 der Erhebung): Der Je-Kopf-Ver- brauch beträgt in den untersuchten Haushalten bei Obst und Gemüse (einschließlich Hülsenfrüchte) im gewogenen Durchschnitt 3,90 beziehungsweise 3,33 kg, bei Familien mit nur zwei Erwachsenen 4,48 beziehungsweise 4,06. Kommt ein Kind unter 14 Jahren hinzu, sinken die entsprechenden Zahlen auf 4,15 und 3,24, bei zwei Kindern auf 3,37 und 2,75, bei drei Kindern sogar auf 2,50 und 1,93. In diesen Zahlen ist die Ausbeutung der Konsumenten indiziert, die mit jener der bäuerlichen Lieferanten „koordiniert“ wird.

Die Fixierung der Forderungen mancher Bauernführer der zweiten Garnitur auf den Regreß auf den Staat kann zu einem neuen Patronanzverhältnis und zu einer indirekten Verstaatlichung des Bauern führen. Dabei wird übersehen — obwohl der Anspruch an das Budget dem Grundsatz nach unbestritten bleiben soll —, daß noch nicht alle Chancen der außerbudgetären wirtschaftlichen Bauernbefreiung genutzt worden sind. Ein Zwischenhandel, der sich dem Bauern gegenüber als „Patrizier“ auf führt und ihn unter Preisdiktat nimmt, kann auch nicht durch fiskalische Maßnahmen ausgeschaltet werden. Wenn ein Händler die Waren nicht auf dem kaufmännisch günstigsten (also billigsten) Weg zum Konsumenten zu verbringen vermag, ist er funktionslos, ist zu disziplinieren und, wenn notwendig, zu liquidieren. Die Bauern müßten ein Interesse nicht nur an einem guten Verkaufspreis, sondern auch an einem angemessenen Letztverbraucherpreis haben, da es nur auf diese Weise gelingen kann, den österreichischen Agrarprodukten auch bei Abbau der Zollgrenzen eine aufnahmewillige Käuferschichte zu erhalten.

Was nützt eine optimale Agrarstruktur und eine kostengünstige Erzeugung, wenn ein großer Teil der gewonnenen Vorteile vom Zwischenhandel absorbiert wird?

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