Feilschen um den freien Handel

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Die Welthandelsorganisation feiert Geburtstag: Zehn Jahre und ein bisschen leise - oder kein bisschen weise?

Genau zehn Jahre ist es nun her, dass die Welthandelsorganisation ihre Arbeit aufgenommen und sich der Liberalisierung des globalen Handels verschrieben hat. Seither wird viel gestritten. Zum Beispiel darüber, ob die eu es Unternehmen aus den usa verbieten kann, amerikanischen Parmaschinken und us-Budweiser in Europa einzuführen. (Was zählt mehr, geschützte Herkunftsbezeichnungen oder das Diskriminierungsverbot der wto? Eine Entscheidung erfolgt im März.) Oder darüber, ob die wto durch die Forcierung des weltweiten Handels Wohlstand für alle bringt oder dadurch vielleicht doch eher den Armen schadet.

Besser spät als gar nicht?

Auch das zehnte Jubiläum der wto wird also von Disputen gestört. Ursprünglich war allerdings gar nicht der 1. Jänner 1995 als Gründungstag einer weltweiten Handelsorganisation geplant. Denn schon ab 1948 hätte die International Trade Organisation, kurz ito, als dritte im Bunde mit Weltbank und Währungsfonds für die Stabilisierung der Weltwirtschaft und der Friedensordnung sorgen sollen. Sie hätte jedoch - im Gegensatz zur späteren wto - auch Ziele wie soziale Sicherheit verfolgen, Rohstoffpreise festlegen und transnationales Kapital regulieren sollen. Den usa waren das zu viele Eingriffe in ihre Souveränität. Sie zogen sich aus dem Abkommen zurück, aus dem Gründungsstatut wurde stattdessen ein Absatz herausgelöst und zu einem internationalen Abkommen ausgebaut: das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen gatt (General Agreement on Tariffs and Trade), das 1947 mit 23 Unterzeichnerstaaten in Kraft trat.

In acht Verhandlungsrunden wurden in den darauf folgenden Jahrzehnten weltweit Zölle abgebaut und zahlreiche neue Vertragspartner gefunden. Allerdings gab es keinen institutionellen Rahmen. Den bekam der Welthandel erst in der letzten Verhandlungsrunde, der Uruguay-Runde, in der die wto gegründet wurde. Sie steht seither auf drei Säulen: dem gatt, aus dem sie hervorgegangen ist; dem Dienstleistungsabkommen gats (siehe Kasten unten) und dem Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte trips (Agreement on Trade Related Intellectual Property Rights).

Laut Eigenbeschreibung verfolgt die wto das Ziel, "den Wohlstand der Völker in den Mitgliedsländern zu vermehren". Allerdings sind drei Viertel dieser derzeit 148 Mitgliedsstaaten Entwicklungsländer, viele davon gehören zu den weltweit am wenigsten entwickelten Regionen. Und dass für die davon am schlimmsten betroffenen Teile der Bevölkerung die Armut abgenommen habe, bestreiten die Kritiker der Organisation. Zwar besteht im wto-System das Prinzip der Einstimmigkeit. Aber Entwicklungsländer könnten dem enormen Druck der Geberländer nicht standhalten und würden auch für sie negativen Beschlüssen zustimmen, so die Erklärung. Daher jubelten zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, als im September 2003 im mexikanischen Cancún eine Ministerkonferenz am Widerstand von 21 Schwellen- und Entwicklungsländern scheiterte, die erstmals ihr neues Selbstbewusstsein demonstrierten.

Egotripp der Reichen?

Ein Selbstbewusstsein, das laut wto-Kritikern bitter nötig ist. Denn zahlreiche Probleme hätten die Entwicklungsländer der Organisation zu verdanken: So würden beispielsweise wegen des Agrarabkommens die Märkte des Südens mit Importen überflutet, gegen die lokale Kleinbauern nicht ankämen. Zehntausende von ihnen verlören dadurch ihre Lebensgrundlage. Im Bereich der Industriegüter wird vor allem von den usa und der eu ein Abbau von Zollschranken gefordert. Alexandra Strickner von Attac Österreich sieht in dieser Forderung jedoch das genaue Gegenteil der eigenen Taktik vergangener Jahre: "Die reichen Industriestaaten, die ihre Industrie nur mit Hilfe von Schutzzöllen aufbauen konnten, versagen dieses Recht nun anderen Ländern", beklagt Strickner. Auch der mit 1. Jänner dieses Jahres weltweite freie Textilhandel komme nur wenigen großen Produzenten vor allem in China und Indien zugute, schade aber lokalen Betrieben etwa in Bangladesch und Zentralamerika.

Strickners Resümee über zehn Jahre wto daher: "Sie nützt ausschließlich den großen Konzernen." Den Grund allen Übels ortet Strickner in der Tatsache, dass die Organisation nur ihre eigenen Regeln kennt. Sie ist daher weder an Sozial- und Umweltstandards noch an die sozialen Ziele der Vereinten Nationen gebunden.

Kein sozialer Auftrag

"Das kann sie auch gar nicht sein", verteidigt Hanns Pichler, emeritierter Professor an der Abteilung für Politische Ökonomie, Internationale Wirtschaft und Entwicklung der Wirtschaftsuniversität Wien die Organisation. "Sie hat keine sozialen Ziele, darum müssen sich schon die einzelnen Länder selbst kümmern." Die Welthandelsorganisation sei ausschließlich dem Freihandel verpflichtet. "Dass es in armen Ländern strukturelle Schwierigkeiten gibt, kann die wto nicht zu ihrem Problem machen."

Wenig überraschend ist seine Bilanz über zehn Jahre wto weitaus optimistischer: "Es ist nur positiv, dass der weltweite Handel einen institutionellen Rahmen bekommen hat, in dem nun mit entsprechenden Kontrollen Zölle abgebaut werden." Freier Handel trage zu Wohlstand und Entwicklung bei. Der wto sei es nur nicht gelungen, ihr positives Wirken der Bevölkerung gut genug zu verkaufen. "Das ist ein eindeutiges Versagen der Führung", bedauert der Emeritus, der auf die Argumente von Attac nicht eingehen will. "Terror der fehlenden Alternativen" nennt er diese nur.

Falls das große Problem tatsächlich die schlechte Führung der wto sein sollte, könnte eine Lösung kurz bevorstehen: Die Amtszeit des derzeitigen Generalsekretärs, Supachai Panitchpakdi, endet mit 31. August. Unter den Kandidaten für das Amt ist auch der ehemalige eu-Handelskommissar Pascal Lamy. Ob aber unter einer neuen Führung die seit Cancún mehr als zähe Verhandlungsrunde mit Themen wie gats und dem weiteren Abbau von Zöllen und Subventionen schon 2005 zu einem Abschluss gelangen kann, ist auch für Pichler fraglich.

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