Flexibel mit sozialem Netz

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Arbeits-und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein lud zu einer Enquête über mehr Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt. Die Forderungen der Wirtschaft: längere Arbeitszeiten, weniger Kündigungsschutz.

Flexicurity solle ein Schwerpunkt der österreichischen eu-Ratspräsidentschaft sein, stellten Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (övp) zu Beginn derselben klar. Sinn der nicht mehr ganz neuen Wortschöpfung: die Verbindung von Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und sozialer Sicherheit. Bei einer Enquête zum Thema, zu der Wirtschaftsminister Martin Bartenstein vergangene Woche Vertreter der Wirtschaft geladen hatte, stellt er klar: "Die Menschen können nur dann flexibel sein, wenn sie im Gegenzug soziale Sicherheit erhalten." Und zur Debatte um die Kosten für soziale Sicherheit und die damit verbundene Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit meinte er: "Die eu ist nicht trotz, sondern wegen ihrer hohen sozialen Sicherheit wettbewerbsfähig."

Flexibler sein? Ja, gern.

Die Bevölkerung scheint auf den ersten Blick der geforderten Flexibilität auch gar nicht abgeneigt zu sein: Laut einer Umfrage der Karmasin Motivforschung unter 200 Leuten über Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, die bei der Enquête präsentiert wurde, sind 88 Prozent der Befragten der Ansicht, dass künftig mehr Arbeitszeit-Flexibilität nötig sein wird. Und tatsächlich fordern diese Flexibilität auch 89 Prozent der zeitgleich befragten Unternehmen. Auch die Bereitschaft zu Mehrarbeit ist groß: 68 Prozent der Befragten wären bereit, täglich zehn Stunden bei gleichem Lohn zu arbeiten und dafür einen zusätzlichen freien Tag pro Woche oder eine freie Woche pro Monat zu bekommen. Nur 52 Prozent der Unternehmer können sich aber eine solche Regelung auch vorstellen, wie sie von der Industriellenvereinigung (iv) seit langem gefordert wird. Motivforscherin Sophie Karmasin ist allerdings nicht ganz überzeugt, ob die Bereitschaft tatsächlich so weit reicht: Einerseits sei sie wohl eine Reaktion auf den Druck, den die Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt spürten, andererseits "stellen es sich die Leute vermutlich toll vor, selber ihre Arbeitszeiten und freien Tage festzulegen." Dass dabei aber auch der Arbeitgeber ein gewichtiges Wort mitzureden habe, sei vielen bei der Umfrage wohl nicht bewusst gewesen.

iv-Präsident Veit Sorger jedenfalls geht wohl eher nicht davon aus, dass sich die Arbeitnehmer ihre Jobs einteilen sollen, wie es ihnen passt. Er wiederholte auf der Enquête seine Forderung: Zehn Stunden tägliche Normal-und zwölf Stunden tägliche Maximalarbeitszeit bei einer 60-Stunden-Woche, durchgerechnet auf 24 Monate. Schon vor Jahren hätten sich Wirtschaftskammer und Gewerkschaft bereit gezeigt, eine Einigung in diesem Bereich zu versuchen. "Ich habe Verständnis dafür, dass das seine Zeit braucht, aber jetzt wollen wir endlich handfeste Ergebnisse sehen und nicht nur Zusicherungen", stellte Sorger klar. (Dazu der Leitende Sekretär des ÖGB, Richard Leutner, im Interview, auf Seite 5). Allerdings nimmt Sorger auch die Arbeitgeber in die Pflicht. "Sie müssen lernen, den höheren Profit mit den Arbeitnehmern zu teilen." Etwa, indem in Betriebspensionen und Weiterbildungsangebote für die Mitarbeiter investiert werde.

Künftig weniger Gesetze

Der Wirtschaftsminister selbst will in arbeitsrechtliche Regelungen möglichst wenig eingreifen und nannte Dänemark als Vorbild. "Dort gibt es viel weniger gesetzliche, aber noch viel mehr betriebliche Regelungen. Die Sozialpartner auf betrieblicher Ebene wissen eben am besten, was in einem Betrieb nötig und möglich ist." Daher habe er auch nicht vor, in die Arbeitszeitdebatte einzugreifen.

Nicht nur hinsichtlich der betrieblichen Regelung wird Dänemark immer wieder als Vorreiter genannt. Vor allem die einfache Kündbarkeit von Arbeitnehmern und deren hohe soziale Absicherung bei Jobverlust werden gelobt (siehe unten). Aber Bartenstein schränkt ein, man könne das Modell nicht komplett übernehmen, sondern "man muss sich die Rosinen herauspicken". Die Frage ist nur, wer sich diese Rosinen schmecken lassen darf, denn während er die größere Flexibilität wie in Dänemark lobt, hat er nicht vor, die finanzielle Sicherheit Arbeitsloser anzupassen. In Dänemark können diese mit bis zu 90 Prozent ihres letzten Gehaltes rechnen. "Wir werden bei 55 Prozent Nettoersatzrate bleiben", stellte Bartenstein klar. Dazu kommt, dass in Dänemark alle Berufsgruppen in die Arbeitslosenversicherung einbezogen werden können. Hierzulande ist es dagegen um die soziale Absicherung etwa von atypisch Beschäftigten schlecht bestellt: Weder Arbeitslosen-noch Krankengeld steht ihnen im Notfall zur Verfügung, und dabei soll es laut Bartenstein auch künftig bleiben.

Kündigungsschutz ade?

Auch Veit Sorger schwärmt vom dänischen Modell: "Die Dänen kennen keinen Kündigungsschutz. Auch nicht für ältere Arbeitnehmer. Entsprechend leicht ist es für diese Gruppe, schnell einen neuen Job zu finden." Auch hierzulande würden die Arbeitgeber mehr Ältere einstellen, wenn es den speziellen Kündigungsschutz für sie nicht gäbe. Dass der Kündigungsschutz für neu aufgenommene ältere Arbeitnehmer erst nach zwei Jahren greift, scheint der Wirtschaft zu wenig Zugeständnis: Werner Adelberger, Geschäftsführer von BMW Motoren in Steyr, meinte dazu: "Durch den Kündigungsschutz weicht man als Unternehmer natürlich auf Zeitarbeitsverträge aus, weil dann für die Unternehmen kein Kündigungsschutz einzuhalten ist." Die Folge davon: "Wenn nicht mehr genug Arbeit vorhanden ist, müssen nicht die gehen, die unmotiviert oder ungeeignet sind, sondern die Zeitarbeitsverträge haben." Sorger ist auch der Kündigungsschutz für Lehrlinge ein Dorn im Auge: "Einen Lehrling loszuwerden, der nicht den Anforderungen entspricht, der sich nicht weiterentwickelt, ist fast unmöglich." Dennoch stellte Bartenstein klar, dass "eine Diskussion über den Kündigungsschutz, den es ohnehin nur für Ältere, Lehrlinge und Behinderte gibt, keine Priorität" habe. Einig war er sich dagegen mit den Wirtschaftsvertretern, dass flexible Arbeitnehmer flexible Kinderbetreuungsplätze brauchen.

Von einem Flexibilitätsbeispiel aus der Praxis erzählte bmw-Geschäftsführer Werner Adelberger. Das Unternehmen habe in den vergangenen 30 Jahren niemanden betriebsbedingt entlassen. "Aber wir erwarten von unseren Mitarbeitern hohe Flexibilität bei den Arbeitszeiten und Arbeitsorten und die Bereitschaft zu Weiterbildung." So biete das Unternehmen auch keine Arbeitsplatz-, sondern Beschäftigungssicherheit. Auf Jobwechsel innerhalb der Unternehmensgruppe und zwischen den Standorten müssten sich die Mitarbeiter einstellen. Auch Rupert Dollinger berichtete aus der Praxis: "Wir haben die so genannte Vertrauensarbeitszeit eingeführt", erzählt der Personalchef. Arbeitszeiten würden mit dem direkten Vorgesetzten ausgehandelt, "dabei ist auch zum Beispiel eine Vier-Tage-Woche möglich." Entgegen der Karmasin-Studie, die eine hohe Bereitschaft zu geistiger Flexibilität - zu lebenslangem Lernen - ergab, macht Dollinger aber andere Erfahrungen: "Ab einem Alter von 30 Jahren nimmt die Bereitschaft zu Weiterbildung ab, ab 50 plus ist sie ein echtes Problem." Auch die Qualifikation von Jobsuchenden bemängelte er: "Wir hatten Mühe, aus 900 Bewerbern 28 Lehrlinge zu finden. Es fehlt an ganz banalen Dingen, viele wussten nicht, wie viele Nullen eine Million hat."

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