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„Föderalisierung ist Modernisierung ”

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Der scheidende Landeshauptmann über den verspäteten EU-Beitritt, die Bundesstaatsreform und das Dilemma der Bundes-ÖVP.

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Der scheidende Landeshauptmann über den verspäteten EU-Beitritt, die Bundesstaatsreform und das Dilemma der Bundes-ÖVP.

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DIEFuRCHK Herr Landeshauptmann, Sie ziehen sich in wenigen Wochen aus der Politik zurück. Wenn Sie zurückblicken: Was betrachen Sie als Ihre größten Erfolge, wo gab es Enttäuschungen?

MARTIN PURTSCHKR: Eines der Motive, warum ich meinen schönen und süßen Beruf (Purtscher war zuvor als Topmanager im Lebensmittelkonzern Jacobs-Suchard tätig gewesen, Anm.) aufgab und in die Politik ging, war, für das Land Vorarlberg mitzuwirken, daß Osterreich in die Europäische Union kommt. Ich konnte dann auch mitwirken bei den Bei-trittsverhandlungen. Ich wurde als Ländervertreter nominiert und hatte das Glück dabeizusein, vor allem bei den Finalverhandlungen, und auch bei der Eröffnung der Verhandlungen, das sind bleibende Erlebnisse. Wenn Vorarlberg auch mit einer gleichen Mehrheit, nämlich zwei Drittel, am 12. Juni 1994 pro EU gestimmt hat, so habe ich, glaube ich, einen Anteil daran.

Das zweite Erfolgserlebnis war sicher die Vorbereitung der Bundesstaatsreform gemeinsam mit Stix (burgenländischer Landeshauptmann, Anm.), die das Paktum von Perchtoldsdorf umsetzen sollte. Ich sehe jetzt mit dem Abschluß des Konsultationsmechanismus einen ganz wesentlichen Schritt für die Bundes-staatsreform realisiert. Denn problematisch war ja immer die mangelnde Absicherung der Länder hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen auf ihr Budget bei Übertragung von Aufgaben. Ich sehe in einer besseren Föderalisierung Österreichs auch einen wesentlichen Schritt zur Modernisierung und Rationalisierung des Landes. Das ist eine Fehlmeinung, die da meint, wir könnten uns neun Landtage und Landesregierungen nicht leisten: die Schweiz hat das nicht nur neunfach bei fünf Millionen Einwohnern, sondern 26mal. Dabei sind in der Schweiz elf Prozent in der öffent-

lichen Verwaltung tätig, in Deutschland 16, bei uns 21 Prozent. Man könnte also durchaus berechtigt sagen, je „echter” ein Bundesstaat ist, je stärker das Subsidiaritätsprinzip verankert ist, umso geringer sind die Verwaltungsaufwendungen eines Bundesstaates.

In diesem Bereich sehe ich aber auch gleichzeitig die größte Niederlage, eben weil die Bundesstaatsreform doch nicht als Gesamtpaket umgesetzt werden konnte.

DIEFURCllE: Und wie sieht es landespolitisch aus?

PURTSCHKR: Da ist vor allem die Bildungsoffensive zu nennen, die ich zu einem beträchtlichen Teil aus einer Teilprivatisierung der Vorarlberger Kraftwerke (VKW) finanziert habe. Wir haben keine eigene Universität, die nächstgelegene österreichische Universität ist' 200 Kilometer entfernt. Wir haben deshalb auf die Fachhochschule gesetzt, mußten aber, weil es noch kein Gesetz gab - wir haben jahrelang darum gekämpft - als Vorläufer ein Technikum gründen. Dieses ist dann übergeleitet worden in die erste Fachhochschule Österreichs, wo wir mittlerweile drei Studienrich-

tungen haben. Der zweite Teil der Bildungsoffensive ist eine Forcierung der Universitätslehrgänge in unserem Bildungshaus Schloßhofen, und das Dritte ist das Bemühen, unsere Berufsschulen, die wirklich sehr modern sind, immer auf dem neuesten Stand zu halten.

Im sozialen Bereich darf das Länd-le sich rühmen, Vorreiter gewesen zu sein bei der Einführung der Familienbeihilfe durch Länder, ebenso beim Pflegegeld. Und es kam in der Folge auch zu Nachahmungen in den anderen Ländern und schließlich auch zum Bundespflegegeldgesetz.

In der Wirtschaft lag es mir vor allem daran, daß wir von den früher auch bei uns üblichen Unterstützungen von sanierungsbedürfti-gen Betrieben

völlig abgekommen sind. Wir haben aber sehr viel Forschungsförderung gege-ben, weil wir wissen, daß innovative Betriebe auch wieder Arbeitsplätze schaffen.

Für mich enttäuschend war natürlich die ungeheuer kritische Entwicklung am Arbeitsmarkt. Wir hatten bis hoch in die 70er Jahre Vollbeschäftigung. Plötzlich ist bei uns der frühere Hauptsektor der Industrie, die Textilindustrie, total zusammengebrochen. Traditionsreiche 150 oder 200 Jahre bestehende Firmen sind untergegangen. Für die Textilindustrie kam der EU-Beitritt um drei Jahre zu spät. Die sind durch Diskriminierungen in solche Schwierigkeiten gekommen, daß die meisten es nicht überlebt haben. Die, die es überlebt haben, wie Getzner, oder Huber, sind heute wieder stärker denn je. Oder denken Sie an den großen Aufschwung von Wolford (siehe Seite 16, Anm.) in allen Bereichen, allerdings nur durch sehr starke Forcierung von Qualitätsprodukten.

Inzwischen aber, darüber bin ich froh, mehrt sich die Zahl der Anmeldungen von Betriebsgründungen mit ausländischer Kapitalmehrheit.

DlEFllRCHE: In Wien hat man den Eindruck Vorarlberg ist ein bißchen anders, mehr in Richtung Westen orientiert, in Richtung Schweiz Es gibt das Gerücht, daß man in Vorarlberg noch immer 30 Prozent mehr verdient als anderswo in Osterreich ... PURTSCHKR: Vorarlberg verdient nicht um 30 Prozent mehr als der Osten, im Gegenteil, wir liegen im Schnitt Österreichs, wir haben vielleicht aufgrund unserer geopoliti-schen Orientierung nach Westen auch eine andere Denkweise. Wir

sind ebenso schnell in Paris wie in Wien; wir vergleichen auch - das ist vielleicht auch der Grund der starken Kritik gegenüber allem, was zentrali-stisch ist: weil wir von föderalistischen Ländern umgeben sind. Wir sehen, wie es in der Schweiz gehandhabt wird, zum Beispiel diese Pickerlmisere (Autobahnvignette, Anm.): bei uns sagt jeder im Land, man hat zwar das Pickerl der Schweizer nachgeahmt. Es hat aber keiner die Schweizer gefragt, wie sie das gemacht haben. Die Zöllner dürfen das Pickerl nicht verkaufen, die Personalvertretung der Zöllner hat gewünscht, daß sie es verkaufen dürfen, aber nein, das Finanzministerium hat das abgelehnt. Stattdessen wird dafür ein eigenes Büro

eingerichtet, das

ist ja grotesk. Ks ist bei uns darauf angelegt, möglichst viel Bürokratie zu schaffen, das ist das, was uns ■ manchmal nervt. Wir müssen dezentralisieren, wir müssen rationalisieren.

WkFurche: Nach CA-Verkauf und Regierungsbildung steht die ÖVP zur Zeit nicht sehr rosig da Wie will man aus dem Tief wieder herausfinden PüRTSCllKR: Wir haben es als Juniorpartner verdammt schwer, das ist keine Frage, und es stellt sich zweifellos für die ÖVP früher oder später das Dilemma, wollen wir als ewig Zweiter nun zwar mitregieren, aber nie die erste Bolle spielen, oder will man nicht andere Lösungen suchen. Im Moment sehe ich keine Alternative, denn die Alternative ist höchstens ein Zusammengehen mit der FPÖ.

UlEFllRCHEi In Vorarlberg funktioniert das.

PURTSCHKR: Auf Bundesebene würde ich es derzeit nicht empfehlen, meines Krachtens passierte der größte strategische Fehler, den ich aber nicht Mock anlasten will, nach der Wahl 1986. Die ÖVP war damals knapp schwächer als die SPÖ, und es wäre die Chance einer Zusammenarbeit mit Haider gegeben gewesen, der noch ein unbeschriebenes Blatt war. In der Zwischenzeit sind die Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf der Bundesebene immer kleiner geworden. Was nicht heißt, daß das für immer gelten kann. Aber im jetzigen Zeitpunkt erachte ich auch die SPÖ-ÖVP-Koalition für besser, halte es allerdings bei einer Fortsetzung der bisherigen reformarmen Koalition für die letzte Konsequenz, daß man auseinandergeht beim nächsten Mal.

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