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Fortschritt vertagt!

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Im schönsten modernen Theater Südamerikas, dem „San Martin“ in Buenos Aires, tagten die Wirtschafts- oder Planungsminister — in Panama gleichzeitig Regierungsdelegierte der 20 amerikanischen Staaten. Die erste Konferenz sollte in der Halbzeit Kennedys 10-Jahres- Planung aus Punta del Este, die „Allianz für den Fortschritt“, prüfen und beleben, die andere die Reform der Charta der OAS (der „Organisation amerikanischer Staaten") vorbereiten. Beide Konferenzen scheiterten an einer Konstellation, die zum ersten Male am Sternenhimmel der panamerikanischen Zusammenarbeit auftauchte.

Die Gegensätze zwischen den amerikanischen Ländern sind so zahlreich und so stark, daß Spannungen zu panamerikanischen Konferenzen gehören. Bisher manövrierten aber

Hilf dir selbst!

Aus lateinamerikanischer Sicht bleibt der Kontinent rückständig, weil die USA immer weniger kaufen und ihre Industriepreise steigen, während die lateinamerikanischen Rohstoffpreise fallen und die Wirtschaftshilfe aus USA nach den Interessen der nordamerikanischen Produzenten ausgerichtet wird. Die Südamerikaner wollen „Präferenzen“ erhalten, das heißt die Aufhebung der Zölle und sonstigen Restriktionen der nordamerikanischen Importe; sie möchten den USA gegenüber in eine ähnliche Lage kommen, wie die „assoziierten“ afrikanischen Länder zur EWG. Daher verlangen sie weiter, daß gewisse Mindestpreise durch Fonds oder Subsidien garantiert werden, und weigern sich, 90 Prozent der nordamerikanischen Wirtschaftshilfe in Produkten des Geberstaates anzulegen. Die Vereinigten Staaten wollen weder durch neue Klauseln in der Charta der „OAS“ noch durch Beschlüsse zu der „Allianz über den Fortschritt" konkrete juristische Ver-

die USA so, daß jeweils die Mehrheit der Länder auf ihrer Seite stand. Zum ersten Male In der panamerikanischen Geschichte hat sich Washington isoliert, während alle mittel- und südamerikanischen Staaten einig sind. Nun darf man diese Entwicklung gewiß nicht dramatisieren. Man kann sie etwa nicht mit der Zersetzung der NATO und der Bedrohung der EWG durch de Gaulle vergleichen, weil die militärische und wirtschaftliche Integration des amerikanischen Kontinents in einem relativ frühen Vorstadium stockt. Die Entwicklung hat weltpolitische Bedeutung; sie stellt die nordamerikanische Hegemonie auf dem Kontinent in Frage und rückt die Bildung eines südamerikanischen Blocks, als wirtschaftlichen und politischen Gegenspieler der USA, in den Bereich der Möglichkeiten.

pflichtungen zur Hilfe für Lateinamerika übernehmen, wobei sie vor allem auf das Defizit ihrer Zahlungsbilanz und die Ausgaben für den Krieg in Vietnam hinweisen.

Südamerikas „verräumte“ Dollars

Aus nordamerikanischer Sicht sollen sich die lateinamerikanischen Staaten erst einmal selbst helfen. Nun hat die „Allianz für den Fortschritt" weder zu einer Allianz noch zu dem Fortschritt geführt. Sie hat aber auch den Lateinamerikanern klar gemacht, daß ohne die in der Planung vorgeschriebene Änderung ihres Steuerwesens, ihrer Staatsverwaltung und vor allem ihrer Agrarprodukte das ohnedies kärgliche Lebenshaltungsniveau der Masse durch die Bevölkerungsexplosion alarmierend absinken muß. Aber zwischen dieser fast zum Gemeinplatz gewordenen Erkenntnis und der Durchführung der Reformen liegt eine Welt. Der peruanische Vizepräsident Dr. Seoane hat auf der Konferenz in Buenos Aires als größ-

tes Hindernis für die Durchführung der „Allianz" die „Herrschaft der großen Wirtschaftsinteressen“ genannt, weil es auf dem Gebiet der Ökonomie keine „Demokratie" gebe. Nun hat nach dem Gutachten, das der Konferenz vorlag, die Erhebung der Steuern in zahlreichen Ländern Fortschritte gemacht, aber auch in Unternehmerkreisen wird zugegeben, daß sie vor allem den Mittelstand betreffen, soweit er Arbeitnehmer ist. In diesem Zusammenhang wird in den USA immer wieder darauf hingewiesen, daß die Lateinamerikaner ihren Kapitalbedarf aus eigenen Mitteln decken könnten, wenn sie die (10 bis 20 Milliarden Dollar) von nordamerikanischen und Schweizer Banken — die Konten ihrer „Kapitalflucht“ — repatriierten.

Alle Lateinamerikaner sind auch theoretisch darüber einig, daß ihre Staatsverwaltung versagt, well sie zum größten Teil aus „Parteibuchbeamten" besteht, die als „Fallschirmabspringer durch die empfehlende Visitenkarte eines Politikers ohne Vor- oder Ausbildung zu ihren Stellungen gelangt sind. Aber die Kandidaten kaufen sich weiter auf Staatskosten die Stimmen ihrer Wähler, indem sie ihnen Stellungen versprechen und besorgen. Es fehlt eine Kraft, die diese Situation ändern will oder kann. Der chilenische Präsident Dr. Frei, Reformer Nr. 1 des Kontinents, will es, aber es wäre ein Wunder, wenn er es könnte.

Die wichtigste Strukturänderung, über deren Notwendigkeit auch kaum Zweifel bestehen, betrifft das Feudalsystem in den Agrarzonen." „Die wichtigste Strukturänderung, kaum Zweifel bestehen, betrifft das Feudalsystem in den Agrarzonen. „Die Agrarreform im Sinne der „Allianz" hat in Lateinamerika noch kaum begonnen “, sagte Dr. Seone. „Die Ziele der Charta von Punta del Este sind weiter so fern wie 1961 , die Agrarproduktion sinkt“ — sagte der Repräsentant der FAO, Dr. Hermann Santa Cruz, in Buenos Aires.

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