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Fragwürdige Indices

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Unser konsumorientiertes Denken ist vielfach auf eine Ausdehnung des persönlichen Verbrauches gerichtet und an Vorstellungen einer andauernden Genußsteigerung durch neues Einkommen ausgerichtet. Wieweit der Staatsbürger durch Lohn- (Renten-) oder Erlöserhöhungen an Fonds beziehungsweise an ihrer Zuwachsrate teilnehmen kann, ist nun eine Frage der Verteilungspolitik und der Auseinandersetzungen auf den Waren- und Arbeitsmärkrten, von behördlichen Manipulationen abgesehen. Unbestritten ist man jedoch heute bestrebt, das persönliche Realeinkommen, das heißt zumindest den jeweiligen Versorgungsstand der Staatsbürger, als eine vielfältige Größe von Gütern und Preisen, zu erhalten. Das Realeinkommen wird jedoch laufend durch die verminderte Kaufkraft der Geldeinheit bedroht.

Die Kaufkraft ist sowohl eine Summe von Kaufmöglichkeiten, die einem einzelnen Geldeigentümer zur Verfügung stehen, als auch eine volkswirtschaftliche Größe. In diesem Fall werden Kaufverhaitensweisen von Staatsbürgern eines ganzen Landes zu Zahlenaggregaten, zu einem „Warenkorb“, zusammengefaßt. Die Änderung der Preise der Güter des Warenkorbes (= Verbraucherpreise) bilden die Grundlage für den Ausweis von Änderungen der Lebenshaltungskosten und können Anlaß für Anpassungsmaßnah-

men, etwa für Lohnerhöhungen, sein, um den „Warenkorb“, das heißt das Realeinkommen, zu stabilisieren.

Die Frage des Aiussagegewichtes des Index, weniger seiner Zifferngewißheit, wird daher dann gestellt, wenn man bemüht ist, den jeweiligen Lebenshaltungskostenindex zum Anlaß von entscheidenden Preis- oder Einkommensänderungen zu machen. Noch mehr aber wird vor beziehungsweise bei Einführung eines neu durchgerechneten Index — in unserem Land ab I. Jänner 1967 —, dessen neues Bedeutungsgewicht analysiert, etwa die Wahl des Basisjahres (diesmal 1964) oder der Indexformel.

An Problemen des Preisindex

• Jeder Verbraucherindex beruht auf Verbrauchsgewohnheiten, die dann, wenn sie durch Erhebungsbogen in einer bestimmten Anzahl von Haushalten erfaßt und zur Messung der Kaufkraft verwendet werden, schon überholt sind. Der ab 1. Jänner 1967 gültige Verbraucherpreiiisindex ist begründet beispielsweise auf Ermittlungen im Jahr 1964.

• Jeder Verbrauchsindex beruht auf Konsumgewohnheiten von ausgewählten und in ihrem Verhalten als idealtypisch angesehenen Haushaltseiinheiten — in Österreich: 11.000 Familien —, deren Ausgaben in einem Familienbudget, besser in einer nach Güterarten gegliederten Ausgabenrechnung, dargestellt werden. Da die Konsumgewohnheiten in einer Art von Mittelwertrechnung festgestellt werden, liegen die Verbrauchsgewohnheiten der jeweiligen Haushalte über oder unter den Mittelwerten. Die Ausgaben für Ernährung betragen im neuen Index 37 Prozent (bisher 52 Prozent). Die tatsächlichen Ausgaben der Haushalte liegen aber im allgemeinen unter oder über 37 Prozent. Wenn man von Ausgaben für Obst in Höhe von 93 Schilling ausgeht, wird diese Ziffer je nach Lage der einzelnen Haushaltswirtschaft (Stadt, Stadtnahe, Dorf) in der Wirklichkeit des Einzelbaushaltes so gut wie nie erreicht werden, ist aber aus dem Durchschnitt der Ausgaben des verfügbaren Familienbudgets von 1964 herausdestilliert worden. Das für die Statistiker schwer lösbare Problem ist nun, ob sich die realen Haushalte während der Anwendungsdauer eines Index nicht zu sehr vom Mittelwerthaushalt, der doch lediglich eine statistische Hilfsfigur ist, entfernen. Da man üblicherweise fast durchweg auf den offenen Markt angewiesenen städtischen Arbeitnehmerhaushalte als Durchschnitts- ihaushalte verwendet, ist die Masse der ländlichen Haushalte, die vor allem im Bereich der Kosten des Nahrungsmittelkonsumis vom den städtischen Haushalten oft stark abweichen, unzureichend berücksichtigt. Das bedeutet, daß beispielsweise eine starke Änderung der Gemüsepreise, die in der großen Stadst wirksam sind, im dörflichem Arbeitnehmer- oder Selbstversorgerhaushalt erheblich geringere Effekte ausweist. Gleiches gilt für die geradezu kategorialen Unterschiede zwischen den Verbrauchsgewohnheiten in Haushalten von Erwerbstätigen und Rentnern.

• Die für den Index ausgewählten Warenarten müssen für den Durchschnittsverbrauch nach Art und Kaufmenge typisch sein. Ist dies nicht der Fail, weil etwa relativ wenige Warenarten zum Gegenstand der Index- ermittlumg gemacht werden mußten, reflektiert der Index ebenfalls nicht den richtigen Verbrauch. Ein heikles Problem sind überdies die Warengruppen, deren Anbotsmenge beziehungsweise Letztverbraucherpreise von den Witterungeinflüssem abhängig sind.

• Eine problematische Kostengröße stellen gerade in Österreich die Wohnungskosten dar, welche die Besonderheit des Teilmarktes der Wohnungen anzeigen.

Internationale Kaufkraftvergleiche

Aus politischen Motiven werden zuweilen Vergleiche der durchschnittlichen einzel- persönlichen Kaufkraft in den verschiedenen Ländern vorgenommen. So markant die Ausweise über die relative Produktivität und das Je-Kopf-Einkommen in einzelnen Ländern auch sind, so wenig darf man dazu neigen, die gebotenen Ziffern und die entsprechenden Relationen als vollgültig anzunehmen und entsprechende Schlüsse zu ziehen.

Erstens werden die Ziffern, aus denen die einzeipersönliche Kaufkraft in einem Land errechnet wird, vielfach, wenn nicht durchwegs, bürokratisch und politisch administriert und überdies nach unterschiedlichen Techniken ermittelt.

Ferner sind die verwendeten Umrechnungskurse keineswegs immer echt und geben die reale Kaufkraft wieder, sondern sind ebenfalls vielfach administriert, wie der bewußt niedrig gehaltene Kurs des Schillings, der nicht wenige verleitet, falsche Vermutungen über die realen Löhne im Ausland zu hegen.

Welchen Aussagewert hat übrigens ein Kaufkraftvergleich zwischen zwei Ländern, deren Bewohner völlig verschiedene typische Konsumgewohnheiten haben und etwa nicht die gleichen Güterarten oder Gütermengen den Existenzgütem zurecbnen?

Jedenfalls kann man aus der Tatsache, daß das durchschnittliche Volkseinkommen in Österreich im Jahre 1965 lediglich 24.000 Schilling betragen hat (haben soll) und in den USA nach dem offiziellen Umrechnungskurs 74.600 Schilling, nicht den simplen Schluß ziehen, daß die materiellen Lebenschancen des Menschen in den USA die des Österreichers um 200 Prozent übersteigen.

Dagegen hat das Ergebnis eines Vergleiches der Konsumquoten zweier Länder (= Prozentsatz des Sozialprodukts, der für private Zwecke ausgegeben wird) einen etwas größeren Aussagewert. Aus der Tatsache, daß in Österreich die Konsumquote 61,2 Prozent und in der Schweiz 58,5 beträgt, kann man nicht allein auf eine relativ geringe Investitionsneigung in unserem Land schließen, sondern auf ein geringeres Durchschnittseinkommen als in der Schweiz.

Wie groß ist die Zifferngenauigkeit sonstiger Indices?

Der Aussagewert von Produktionsziffern ist oft unzureichend. Wenn zur Behebung der Folgen von Naturkatastrophen große Material- und Arbeitseinsätze erforderlich sind, scheinen die Marktpreise dieser Einsätze als produktiver Einsatz auf und werden dem Bruttonationalprodukt zugerechnet. Ähnlich ist es, wenn die Leistungen aller öffentlichen Angestellten über ihr Einkommen dem Bruttonationalprodukt zugerechnet werden oder wenn die Wirtschaftlichkeit der im Bruttonationalprodukt enthaltenen Investitionen ungeprüft bleibt und, angesichts des vorhandenen Ermittlungsapparates, bleiben muß.

Daher ist die Fruchtbarkeit jedes investierten Aufwandschillings nicht mit Eins a neunehmen.

Der US-Nationalökonom Oskar Morgenstern, der einmal in Wien gelehrt hat, tritt in letzter Zeit für eine Begrenzung der ohnedies nur simulierten Exaktheit von statistischen Globalanlagen ein, mußte doch z. B. die BRD 1965 eine unaufgeklärte Differenz zwischen Devisenbilanz und dem Saldo der laufendem Posten und dejs Kapital Verkehrs in Höhe von zwei Milliarden DM feststellen.

Im Interesse einer stärkeren Glaubwürdigkeit globaler Statistiken im Bereich der Wirtschaft und der sozialen Sphäre sollten Ziffern über Änderungen des Index nicht mit dem Anspruch einer absoluten Gültigkeit publiziert werden.

Außerdem müßten mehr Merkmale als bisher ermittelt werden (was schließlich eine Geldfrage ist). Etwa: mehr Warenpositionen beim Verbraucherpreisindex. Besser wäre es: Angabe von Entwicklungstendenzen mit praktikablen Interpretationen. Erst dann kann die isozialökonomiische Statistik eine operative Bedeutung haben.

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