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„Fünf jahresplan in vier Jahren“

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Eines der interessantesten Kapitel der sowjetischen Planwirtschaft ist die .Finanzierung des Wiederaufbaus, wie sie aus der laufenden Fünfjahresplanung und aus den Budgets seit 1946 sichtbar wurde. Auch die Sowjetunion kämpft — wie alle anderen Staaten — in diesen,Nach kriegsjahren um das Gleichgewicht ihres Staatshaushalts und ist namentlich .seit der vor nunmehr einem Jahr durchgeführten Währungsreform bestrebt, die Inanspruchnahme der Notenpresse zu vermeiden; die derzeitige Kaufkraft des Rubels soll nicht Sinken. Bei der Erstellung des Fünfjahresplans nahm man eine Zweiteilung.der industriellen Unternehmungen vor;- - der einen Gruppe gehören die sogenannten „Dotationsbetriebe" an, Unternehmen, die aus in- oder außerbetrieblichen Gründen staatlicher Subventionierung bedürfen„ wogegen die arideren Industrien planmäßig mip ausgeglichener Gewinn-Verlust-Rechnung oder mit einem Überschuß abschneiden sollen. Jeder Betrieb erhält jeweils zu Jahresbeginn zugleich mit dem Produktionsplan seinen Finanzplan zugestellt; in diesem setzt der Staat fest, zu wieviel Prozent das Kostenniveau unter oder Ü b e r dem Preisniveau (aus dem sich die Höhe der Einnahmen ergibt) liegen soll. Ist das Kostenniveau höher als das Preisniveau, so wird der voraussichtliche Verlust durch Beistellung einer Subvention von vornherein gedeckt — liegen dagegen die voraussichtlichen Einnahmen über den voraussichtlichen Ausgaben, so ist die Ablieferung der Differenz, des Gewinns, an den Staat vorgeschrieben. Natürlich spielen bei dieser .Etatrechnung auch Abschreibungen, die Bildung von Kapitalreserven usw. eine Rolle.

Das wesentliche Moment des Betriebsfinanzplans ist das, daß es nicht ein Rahmenvorschlag ist, der nach allen Seiten hin Veränderungen erfahren dürfte; vielmehr verbietet der Staat kategorisch jede Gewinnverminderung, beziehungsweise Verlusterhöhung gegenüber dem Plan. Eine Verschiebung der Bilanz gegenüber dem Plan nach der negativen Seite hin könnte den statischen Gesamthaushaltsplan störeri und wird daher als Vergehen gegen die . „Finanzdisziplin“ gerichtlich verfolgt. Der vom Plan vorgeschriebene Arbeitserfolg ist also als Minimum aufzufassen.

Die Hauptaufgabe der sowjetischen Propaganda besteht nun darin, die Betriebe zur Überschreitung der Minimalgrenze anzutreiben; täglich sind die ersten zwei oder drei Seiten der russischen Tageszeitungen mit Berichten darüber angefüllt, zu wieviel Prozent einzelne Betriebe das Plansoll (100 Prozent) überschritten haben, sowie mit grundsätzlichen Erörterungen über die Wege zur Leistungssteigerung. Die finanzielle Bedeutung der Leistungssteigerung ird von der Propaganda in letzter Zeit besonders stark, betont, sie kommt vor allem in der : Parole „Senkung des. Selbstkostenpreises“ zum Ausdruck. Unter „Selbst kostenpreis“ hat man das im Plan festgelegte Kostenniveau zu verstehen. Gelingt es, dieses zu senken, so entstehen Gewinne, die in der Planung nicht vorgesehen sind; auch in den Dotationsbetrieben entstehen solche Gewinne, da das voraussichtliche Defizit ja von vornherein durch staatliche Subventionierung gedeckt ist.

Was geschieht nun mit den außerplanmäßigen Gewinnen, die gewöhnlich als „Fonds des Direktors“ bezeichnet sind? Ein kleiner Prozentsatz wird zur Prämiierung der Arbeiter und Techniker verwendet, denen die Leistungssteigerung zu Verdanken ist, der Großteil der Gelder aber dient zum Ankauf festverzinslicher S t a at s- papiere. Der Staat, dessen Aufbau- und Wiederaufbaupläne im laufenden Fünfjahresplan zirka 250 Milliarden Rubel mehr kosten, als die planmäßigen Gewinne der Staatsbetriebe einbringen werden, sieht in den Geldern, die ihm aus den außcrplan- lichen Fonds zerfließen, eine Möglichkeit, das Defizit zu decken. Mit Hilfe der Schuld verschreibungen zieht er die Gewinne besonders rentabel arbeitender Unternehmungen an sich und stattet damit unter anderen die „Dotationsbetriebe“ aus.

Diese Art der Finanzierung des Wirtschaftsaufbaues macht es begreiflich, daß die ganze Sorge des Staates darauf gerichtet ist, daß sich die Rentabilität der Betriebe über dęts Plansoll erhebt, daß dadurch die Selbstkostenpreise gesenkt werden und sich bei gleichbleibenden Verkaufspreisen die Gewinnspanne über das vorgeschriebene Maß hinaus erhöht. Von hier fällt ein neues Licht auf die gewaltige Propaganda, die zur Zeit in der Sowjetunion betrieben wird, um die Durchführung des Fünf jahresplans in vier Jahren zu bewerkstelligen; eine solche Beschleunigung des Produktionsprogramms würde da Kostenniveau derart senken (allein durch die Einsparung von einem Jahr Arbeitslöhnen), daß die planmäßige Dotationen ohne den Neudruck von Geld bestritten werden könnten.

„Darum ist es nötig“, so schreibt Ee Zeitschrift „Bolschewik“, „noch sparsamer als bisher jede Kopeke auszugeben, noch strenger die Notwendigkeit dieser oder jener Auslage zu beurteilen, noch hartnäckiger für die Rationalisierung der Produktion und für den technischen Fortschritt zu kämpfen." Man erfährt, daß die außerplanmäßigen Einsparungen den Betrag von nicht weniger ls 160 Milliarden Rubel einbringen müssen, was durch die „Mobilisierung aller Produktionsreserven“ erreicht werden soll: durch richtige Aufbereitung der Rohstoffe, durch richtige Aufbewahrung, richtiges Sortiment und richtigen Gebrauch der Rohstoffe und Halbfabrikate, wodurch die „Materialausgaben“ gesenkt werden können, und andererseits durch Erhöhung der Produktivität der menschlichen Arbeit, das heißt durch verstärkte Technisierung und rationelle Organisation, wodurch der zweite Ausgabenfaktor, also der Lohnaufwand, verringert werden soll.

Die Einsparungssumme von 160 Milliarden ist gigantisch, und man fragt sich, ob hier nicht allzu großer Optimismus herrscht. Aber man muß diese Zahl mit denselben Augen betrachten, wie eine vor Jahresfrist von den Sowjets veröffentlichte Statistik, die das Anwachsen der russischen Industrieproduktion seit 1913 im Vergleich mit den Produktionsindexen der USA, Englands und Frankreichs zeigte; wenn die USA-Pro- duktion 1938 nur 60 Prozent über der des Jahres 1913 lag, die der Sowjetunion aber 800 Prozent über dem Index von 1913, so spricht das lediglich davon, wie gering die Industrialisierung des zaristischen Rußlands im Vergleich mit den Westmächten vor Beginn des ersten Weltkrieges war. Ebenso: wenn es möglich ist, in fünf Jahren den Selbstkostenpreis der Produktion in den Staatsbetrieben um 160 Milliarden Rubel zu senken, dann zeugt dies von der geringen Produktivität der derzeitigen Erzeugung. Diese Annahme bestätigen übrigens viele der üblichen Leistungsberichte in der Sowjetpresse; die ungewöhnlich hohen Prozentzahlen, mit denen die Erfolge umschrieben sind, könnten in an sich bereits rationell arbeitenden Betrieben in diesem Ausmaß schlagartig niemals erreicht werden. Oder wenn eine Straßenbaumaschinenfabrik gegenüber ihrem Schwesterwerk eine bestimmt Art von Geräten um den vierfachen Selbstkostenpreis produziert, dann spricht dies weniger von der Genialität der Ingenieure und Arbeiter in dem einen als von der offenbar haarsträubenden mangelhaften Organisation in dem anderen Betrieb. Der Aufwand, der in Rußland zur Produktivitätserhöhung nötig ist, ist also ungleich geringer als der in den technisch besser durchorganisierten, von Qualitätsarbeitern betriebenen Produktionsstätten des Westens.

Nicht zuletzt freilich mögen gewisse rigorose Methoden dazu beitragen, nicht nur die Statik des Planes vor mangelhafter Erfül lung zu sichern, sondern sogar eine „freiwillige" Sonderleistung in Höhe von 160 Milliarden Rubel zu realisieren. Der Großteil der Delikte, mit denen sich die sogenannten „Volksgerichte“ bei den Gebietsund Rayonsverwaltungen zu befassen haben, kann mit den Begriffen „Störung des Arbeitsplans" und „Störung der Finanzdisziplin" umschrieben werden. Wenn ein Rüstungswerk in Magnitogorsk eine Million Rubel Strafe zu zahlen hatte, für nicht rechtzeitige Bezahlung von Rechnungen, wenn ein anderes Unternehmen zu 100.000 Rubel Sühne verurteilt wurde, weil die Waggons länger, als planmäßig vorgesehen, an den Verladerampen standen — dann sind das Eingriffe in die Finanzgebarung des Betriebes, die wahrscheinlich das letzte Gefolgschaftsmitglied wie eine harte Buße treffen; denn die Strafe muß ja irgendwie im Ausgabenetat „untergebracht“ werden. Der iCeneralstaatsanwalt der Sowjetunion forderte kürzlich die Staatsanwälte bei den Volksgerichten auf, ihr besonderes Augenmerk auf die Finanzgebarung der Betriebe, insbesondere auf alle außerplanmäßigen „Nachträge“ in den Rechnungsabschlüssen, zu richten. Arbeiter und Betriebsführer, die qualitätsmäßig schlechte Arbeit leisten, werden vor Gericht gestellt und „Haft in Korrektionsarbeitslagern auf lange Fristen“ ist allen jenen angedroht, die sich in irgendeiner Weise am staatlichen oder gesellschaftlichen Eigentum vergreifen, selbst wenn (wie ausdrücklich gesagt wird!) keine eigennützigen Motive vorliegen, sondern Gutmütigkeit, Mitleid oder Großzügigkeit den Betriebsführer zu einem außerplanlichen Griff in die Kasse veranlassen.

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