Für acht Euro in die City

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Seit voriger Woche werden Autofahrer, die ins Londoner Stadtzentrum wollen, registriert und zur Kassa gebeten. Bilanz eines im Vorfeld umstrittenen Projektes.

Wer mit dem Auto ins Zentrum von London fahren will, muss seit Anfang voriger Woche in der Zeit von sieben bis 18 Uhr 30 Maut zahlen - und zwar gar nicht so wenig, nämlich acht Euro pro Tag. Verständlich, dass eine solche Maßnahme umstritten war. Der Londoner Bürgermeister Ken Livingston hatte sie bei den letzten Londoner Wahlen forciert und seine politische Zukunft an ihren Erfolg geknüpft. Wie sieht nun die Bilanz nach einer Woche aus?

In den ersten Tagen kam es im Zentrum Londons - die Mautzone ist 20 Quadratkilometer groß - zu einem Rückgang des Verkehrs um 25 Prozent. Seine Durchschnittsgeschwindigkeit verdoppelte sich auf 30 Stundenkilometer. Und BBC meldete, die Londoner machten eigenartige, neue Erfahrungen: Sie hörten zum ersten Mal seit Jahren wieder Vogelgezwitscher.

Diese Erfolgsmeldungen sind jedoch zu relativieren, denn die Einführung der Maut fiel mit dem Beginn der Semesterferien zusammen. Und da verringert sich der Verkehr üblicheweise ohnedies. So bleibt also durch die Mauteinführung eine realistische Reduktion von zehn bis 15 Prozent, was auch erwartet worden war.

Wie funktioniert nun das System? Etwa 700 Kameras überwachen die Mautzone. Sie registrieren Kennzeichen, Autofarbe, Marke, Zeit und Ort und geben die Daten an eine Computerzentrale weiter. Diese überprüft, ob die Maut für das Fahrzeug schon bezahlt worden ist. Bis 22 Uhr desselben Tages kann diese Zahlung erfolgen: per Post, SMS, Telefon, Internet, via Automaten. Ist sie erfolgt, wird die Information gelöscht.

Verläuft die Überprüfung negativ, wird eine Geldstrafe von 120 Euro verhängt. Sie erhöht sich auf 190 Euro, wenn die Forderung nicht innerhalb von vier Wochen beglichen wird. Bis zum vergangenen Freitag wurden 15.183 Strafen verhängt.

Zufriedenheit In London

Ausgeblieben ist die im Voraus befürchtete Verkehrsverlagerung in die mautfreien Zeiten vor sieben und nach 18 Uhr 30. Ebensowenig kam es zu einer Stauverlagerung in jene Stadtteile, die an das Zentrum angrenzen. Londons U-Bahn und die 300 zusätzlich in Dienst gestellten Autobusse reichten bei weitem, um das größere Passagieraufkommen der öffentlichen Verkehrsmitteln - man hatte mit 20.000 Personen gerechnet - aufzunehmen.

Zufriedenheit also bei Ken Livingstone. Im Falle seiner Wiederwahl wolle er die Mautzone ausweiten. Einverstanden ist auch eine Mehrheit der Londoner: Laut einer BBC-Umfrage sind 63 Prozent zufrieden mit dem Ergebnis.

Was die Maut-Einnahmen betrifft, so sind sie zweckgebunden. Sie sollen dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs in der Hauptstadt zugeführt werden. Man schätzt, dass etwa 180 bis 200 Millionen Euro pro Jahr zusammenkommen werden. Damit können die 150 Millionen Euro, die das Projekt bisher gekostet hat, schon im ersten Jahr hereingespielt werden.

Das Experiment, das derzeit in London stattfindet, ist keineswegs eine Premiere. Weltweit gibt es Vorbilder für die Einführung einer City-Maut, etwa in Norwegen, Italien, den USA oder Singapur. In Italien sind die historischen Innenstädte von Bologna und Rom überhaupt für den Autoverkehr gesperrt. Wer tagsüber dort hineinwill, muss zahlen. Eine Fahrerlaubnis für die römische Innenstadt kostet 360 Euro im Jahr. Durch diese Maßnahme blieben dem Zentrum Roms rund 40.000 Autos erspart.

Schon seit 1975 wird in Singapur eine Maut eingehoben und seit 1998 eine elektronische Straßenbenützungsgebühr, die automatisch von einer aufladbaren Geldkarte beim Durchfahren eines elektronischen Tors abgebucht wird. Je nach Tageszeit, Fahrzeug und Strecke zahlt man zwischen 0,26 und 1,60 Euro. Diese Regelung hat das Verkehrsaufkommen während der bemauteten Zeiten beinahe um ein Viertel verringert. Eine bemerkenswerte Folge der Maßnahme: Die Zahl der Passagiere pro Fahrzeug nahm zu.

Auf die Erhöhung Anzahl der beförderten Personen pro Fahrzeug zielte auch die im kalifornischen San Diego eingeführt Regelung: Dort kommt eine Bemautung namens "Hot Lanes" zum Zug. Abgängig von der Tageszeit geben Verkehrszeichen am Beginn der Mautstrecke bekannt, wieviel die Benützung einer eigens freigehaltenen Spur jeweils kostet. Abgerechnet wird der Betrag über eine an der Windschutzscheibe angebrachte elektronische Plakette. Fahrzeuge mit zwei oder mehr Insaßen zahlen nichts. Kostenlos ist auch die Benützung der normalen Spur.

Im norwegischen Trondheim soll ein 1991 eingerichtetes Maut-System den Verkehr im alten Stadtkern während der Geschäftszeiten und im morgendlichen Stoßverkehr verringern. Auch da zahlen die Autofahrer elektronisch an einer von zwölf Gebührenstellen zwischen 0,68 und 1,72 Euro. Seit der Einführung der Abgabe nahm der Straßenverkehr im Zentrum um etwa zehn Prozent ab.

Viele Städte beobachten nun das Londoner Experiment mit großem Interesse. Denn Probleme mit dem steigenden Verkehr sind weit verbreitet: Lärm, Abgase, Staus auf überlasteten Straßen. Ins Gewicht fallen insbesondere die Staukosten. Eine BMW-Studie schätzt, dass Staus die deutsche Wirtschaft rund 100 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) rechnet mit etwa 6,5 Milliarden hier zu Lande und mit jährlichen Stehzeiten von 240 Stunden pro Person in Wien. Daher werde eine City-Maut in absehbarer Zeit auch für die Bundeshauptstadt aktuell, so der VCÖ. Die Verkehrsentwicklung in der Stadt spreche dafür: um 51.000 mehr Fahrzeuge (+54 Prozent) auf der Süd-Ost-Tangente bei der Praterbrücke, um 21.000 (+29 Prozent) auf der Nordbrücke. Die Ostöffnung der EU werde die Situation weiter verschärfen, so das Argument.

Daher der Vorschlag, ein System elektronischer Abbuchung von Gebühren beim Passieren der Stadtgrenzen und bestimmter Sektoren einzuführen. Besonders wichtig sei eine solche Maßnahme für die morgendlichen Verkehrsspitzen auf der Süd-Ost-Tangente.

Wien braucht keine Maut

Keinerlei Bedarf nach Einführung einer Maut sehen hingegen ÖAMTC und ARBÖ: Die Situation in Wien sei nicht mit jener in London zu vergleichen. In Österreichs Bundeshauptstadt habe sich die Parkraumbewirtschaftung innerhalb des Gürtels voll bewährt. Sie erfülle damit im Grunde genommen eine ähnliche Funktion wie die Londoner Maut - nur besser und das schon seit Jahren. Außerdem seien die öffentlichen Verkehrsmittel der Bundeshauptstadt im internationalen Vergleich sehr attraktiv. Mit Ausnahme der vorweihnachtlichen Zeit gäbe es daher im Stadtzentrum keine wirklichen Stauprobleme und daran werde sich auch in absehbarer Zeit auch kaum etwas ändern.

Ob Parkraumbewirtschaftung oder Maut, eines ist sicher: Das knappe Gut Straße in den städtischen Ballungsräumen wird weiter verteuert werden müssen, weil die Errichtung neuer Straßen immer teurer wird. Diesem Umstand trägt auch das EU-Weißbuch Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung (1998) Rechnung, wenn es die Mitgliedsstaaten auffordert, "Regelungen für Straßenbenutzungsgebühren in Ballungsräumen zu erarbeiten, die den externen Kosten (einschließlich Überlastung) des innerstädtischen Verkehrs Rechnung tragen."

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