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Für Forcierung einer Sozialunion

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Der Wiener Historiker Oliver Rathkolb über 40 Jahre europäische Integration, Globalisierung und die zukünftige Rolle Österreichs in der Union.

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Der Wiener Historiker Oliver Rathkolb über 40 Jahre europäische Integration, Globalisierung und die zukünftige Rolle Österreichs in der Union.

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dieFurche: 40 Jahre Integration in Europa - und keinem ist zum Feiern zumute: Ist die KU ein Opfer ihrer Erfolgsgeschichte geworden?

Oliver Rathkolb: Ich glaube nicht. Die EU ist eben die Summe aller möglichen westeuropäischen Kompromisse und sicher keine Mißerfolgsgeschichte. Man sollte sich allerdings von überzogenen Idealvorstellungen lösen und zu einer realpolitischen Interessenanalyse kommen, die neben den europäischen Partnern auch die außereuropäischen Entwicklungen berücksichtigt. Als die Amerikaner beispielsweise in den achtziger Jahren begonnen haben, sich verstärkt im pazifischen und asiatischen Raum zu engagieren, lief das Maastricht-Projekt in Europa an. Man könnte den Einigungsprozeß also als eine Antwort auf den schleichenden Rückzug der USA aus Europa interpretieren.

dieFurche: Die Autoren des Bestsellers „Die Globalisierungfalle" seilen einen direkten 7Msammenhang zwischen fortschreitender wirtschaftlicher Deregulierung - etwa durch die Schaffung des Binnenmarktes - und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Verkraftet die EU die Globalisierung?

Rathkolb: Ich glaube, man ist sich sehr wohl der negativen Entwicklungen der Globalisierung bewußt. Auf der anderen Seite ist die Globalisierung ein zu monokausales Element, um damit alle Probleme der Union erklären zu können. Heute wird etwa ein bestimmter Bereich der Bationa-lisierung aus Europa hinausverlagert, weil wir nicht in der Lage sind, auf diese Entwicklung die richtigen Antworten zu finden. Ich glaube, daß der Nord-Süd-Konflikt weiterhin eine zentrale Rolle in unseren Überlegungen spielen sollte. Mit einer flexibleren Zoll- und Wirtschaftspolitik gegenüber dem Süden könnte man wahrscheinlich zumindest einen Teil dieser Auslagerungen wieder auffangen.

dieFurche: Was kann Brüssel also tun?

Rathkolb: Ich glaube, daß einfach aufgrund der Zwänge — wie der rasant steigenden Arbeitslosenzahlen und der Sockelarbeitslosigkeit - der ehemalige Automatismus „Wirtschaftswachstum bringt neue Jobs" nicht mehr stimmt. Hier wird man neue Wege gehen müssen, und das kann auf keinen Fall eine weitere Deregulierung bedeuten. Ich denke hier vielmehr an die Ursprünge der europäischen Integration. In den Römischen Verträgen wird unter anderem die Schaffung eines Sozialfonds gefordert. Die Idee der EU als Sozialunion, das heißt die Schaffung gemeinsamer, nicht wettbewerbsverzerrender Rahmenbedingungen für Arbeits- und Lohnverhältnisse, ist sicherlich etwas, was die EU in den nächsten Jahren in Angriff nehmen muß.

Eine zentrale Rolle wird der weitere Kurs Großbritanniens spielen. Ich hoffe sehr, daß Labour bei einem Wahlsieg endlich die Sozialcharta akzeptieren wird und nicht versucht, ein Spiel außerhalb der EU zu spielen.

dieFurche: Stichwort Großbritannien: Viele fordern heute wieder verstärkt ein „Europa der Vaterländer" statt einen „BundesstaatEuropa" ...

Rathkolb: Ich glaube, daß wir mit den im 19. Jahrhundert entwickelten klassischen Denkmustern von Nationalstaaten in Zukunft nicht mehr das Auslangen finden werden. Tatsache ist aber, daß es in Europa starke Strömungen für eine Abschottung als Nationalstaat im Verband der EU gibt. Diese Überlegungen sind meiner Meinung nach falsch: Es ist illusorisch zu glauben, daß wir eine isolierte nationale Volkswirtschaft entwickeln können. Das ist nicht nur politisch gefährlich, sondern auch wirtschaftlich absurd.

dieFurche: In diesem Zusammenhang steht ja gerade die Einfuhrung des Euros im Zentrum der Kritik. Würde das Scheitern des Währungsprojektes die gesamte Integration gefährden?

Rathkolb: Ich würde das nicht so drastisch sehen. Kurzfristig betrachtet, würde das Scheitern des Währungsprojektes etwa durch entsprechende Gegenspekulationen auf den internationalen Devisenmärkten - und wir wissen, daß diese die Wirtschaftspolitik wesentlich beeinflussen können -eine Katastrophe bedeuten. Dafür hat man sich schon viel zu stark in diese Richtung engagiert.

Langfristig glaube ich, daß es nach so einem „big Crash" zu einem verstärkten Zusammengehen der europäischen Partner kommen würde. Grundsätzlich gab es in unserer jüngeren Geschichte öfters Währungsdebatten. Klassisches Beispiel ist die österreichische Währungsreform nach 1945. Kurzfristig gesehen, hat diese Reform auch massive negative Auswirkungen auf gewisse Wirtschaftsbereiche gehabt. Langfristig war es die einzige Möglichkeit, das Nach-Kriegs-Desaster in den Griff zu bekommen.

dieFurche: Zurück zu den Römischen

Verträgen. Welche Chancen auf Integration hatte Österreich 1957?

Rathkolb: Ex post gesehen ist es ein massiver Unsinn zu glauben, daß der Zwergstaat Österreich an den Grenzen der Fjinflußsphären der beiden Supermächte viele Möglichkeiten zur Integration gehabt hätte. Den beiden Supermächten war vor allem ein wirtschaftlicher Anschluß Österreichs an die BRD, welcher Art auch immer, ein Dorn im Auge. Eines kann man heute trotzdem sagen: Österreich wäre im Kriegsfall sicher auf Seiten der NATO-Truppen gestanden.

dieFurche: Die Geschichte der Römischen Vertrage wurde maßgeblich von den kleinen Mitgliedern der Montanunion beeinflußt. Welche Perspektiven eröffnen sich für Österreich in der Maastricht- Union?

Rathkolb: Es ist für die kleineren Staaten ganz wichtig, eine gemeinsame und untereinander abgesprochene Position zu finden. Gelingt es, diese dann mit einem starken Partner - erfahrungsgemäß entweder die BRD oder Frankreich - zu verbinden, dann können diese Staaten eine ganz zentrale Rolle im Kompromißbereich spielen. Österreich sollte sich mehr bemühen, in diesem Zusammenhang eigene Positionen zu entwickeln. Zur Zeit passiert das genaue Gegenteil: Österreich übernimmt automatisch die Position Deutschlands. Es ist klar, daß unser Land aufgrund seiner im Vergleich marginalen ökonomischen und politischen Größe nur eine Außenseiterrolle in Europa spielt. Trotzdem könnte Österreich - ähnlich der Rolle Belgiens 1957 - eine Katalysatorfunktion übernehmen.

dieFurche: Jetzt sollen die Rechte der kleinen Mitgliedstaaten jedoch stark beschnitten werden ...

Rathkolb: Ich glaube nicht, daß die Regierungskonferenz von Amsterdam über Nacht die vorhandenen Interessenlagen ändern kann. Für mich haben die Kompromißpolitik und die Einstimmigkeit der Entscheidungen noch lange nicht ausgedient. Die Lösung der anstehenden Probleme kann nicht in der Straffung des „decision makings" durch Mehrheitsentscheidungen liegen.

Die künftigen Schwierigkeiten der EU werden jedoch nicht alleine in einer Institutionenreform liegen. Man wird sich auch verstärkt um die Osteuropäer kümmern müssen. Es genügt nicht, ihnen nur die NATO-Mitgliedschaft anzubieten, man muß sie auch über die EU voll wirtschaftlich integrieren. Ich vermisse hier eine einheitliche EU-Politik. Auch die Österreicher beziehen hier nicht mehr so stark Position wie noch vor dem Beitritt. Früher hatte man sich als Sprecher der osteuropäischen Nachbarstaaten in der EU deklariert, heute hört man hinter vorgehaltener Hand eigentlich genau das Gegenteil.

Das Gespräch führte

Christian Thonke.

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