Für Sozialismus mit menschlichem Gesicht

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Das heutige Russland blickt immer noch mit einer Mischung aus Ärger, Hass und Verachtung auf die Männer, die der Gesellschaft in den achtziger und neunziger Jahren große gesellschaftliche Reformen versprachen. Die riesigen Kundgebungen für Michail Gorbatschows neue Politik, die das Straßenbild Moskaus Ende der 80-Jahre prägten, scheinen heute in Vergessenheit geraten zu sein. Seine Schlagworte Glasnost und Perestroika, die in alle Weltsprachen eingegangen sind, werden nur noch von wenigen Historikern erwähnt.

Bis heute streiten russische Intellektuelle über Gorbatschows Rolle in der jüngsten Geschichte. War er ein großer Reformer, der das bestehende System verändern wollte, oder eher ein Parteifunktionär, der alte bürokratische Strukturen der KPdSU wieder beleben wollte? Konsequent in seinen Ansichten war Gorbatschow nie. Immer wieder kam es in seiner Politik zu Schritten, die einander widersprachen oder sogar entgegengesetzt waren: Es war derselbe Gorbatschow, der Andrej Sacharow aus der Verbannung holte und der die "Blutnacht" in Vilnius am 13. Jänner 1991 zu verantworten hat; der den Chefredakteur des liberalen Blattes Moscow News öffentlich für einen Nachruf für den im Pariser Exil verstorbenen Schriftsteller Viktor Nekrassow rügte und der die Kühnheit hatte, das geheime Zusatzprotokoll zum Molotow-Ribbentrop-Pakt zu veröffentlichen.

Einige Experten behaupten, Gorbatschow sei schon früher zum Sozialdemokraten geworden. Andere halten dies aber für kaum realistisch. Gorbatschow wollte eher einen "Sozialismus mit menschlichem Gesicht" nach dem Vorbild von Alexander Dubcek aufbauen, scheiterte jedoch daran, dass sich dies in den realen Verhältnissen der totalitären Sowjetunion als utopisch erwies. Am letzten Freitag beging der Witwer und Pensionist, der sich heute mit Wanderungen bis zu 25 Kilometern fit hält, seinen 70. Geburtstag.

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