Gabriel Felbermayr - © Foto: APA / Roland Schlager

Gabriel Felbermayr zur Teuerung: Kein Kreuzzug gegen die Gier

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Inflation bekämpft man nicht mit Moralismus, sondern mit den richtigen, wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Ein Gastkommentar zum aktuellen Kampfbegriff der „Gierflation“.

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Inflation bekämpft man nicht mit Moralismus, sondern mit den richtigen, wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Ein Gastkommentar zum aktuellen Kampfbegriff der „Gierflation“.

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Seit Dezember 2020 sind Gebrauchtwagen in Österreich um 38 Prozent teurer geworden. In den Jahren davor gingen die Preise hingegen leicht zurück. Waren vor der Coronakrise die Autoverkäufer, ob Private oder Händler, von dem Wunsch beseelt, ihren Kunden etwas Gutes zu tun? Hat das Coronavirus auch das Gewissen der Menschen krank gemacht und einer neuen Gier Tür und Tor geöffnet?

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Das scheint jedenfalls in manchen Kommentaren der Kern der Analyse zu sein. Inflation als moralisches Problem – und „Gierflation“ der dazu passende Kampfbegriff. Wer gierigen Unternehmern die Schuld an der Inflation in die Schuhe schiebt, macht es sich aber analytisch zu einfach und vergiftet zugleich den Diskurs. Gerade weil die Inflation so hartnäckig hoch ist – besonders in Österreich –, sollte man die gesinnungsethischen Schlagstöcke stehen lassen und, ganz wie der große Soziologe Max Weber vor rund hundert Jahren in ähnlicher makroökonomischer Lage empfohlen hat, verantwortungsethisch argumentieren.

Nach eigenem Vorteil trachten

In diesem Zusammenhang scheint es geboten, sich an Adam Smith zu erinnern, den schottischen Moralphilosophen, der die moderne Ökonomik begründet hat. Kaum einer wird so gerne missverstanden. Sein Verdienst ist nicht die Heiligsprechung des Marktes, sondern die Erkenntnis, dass – wenn die Umstände passen – Wohlstand entstehen kann (nicht muss), auch wenn das individuelle Handeln von Egoismus getrieben ist. 1776 schreibt er in „Wealth of Nations“: „Es ist nicht die Wohltätigkeit des Metzgers, des Brauers oder des Bäckers, die uns unser Abendessen erwarten lässt, sondern dass sie nach ihrem eigenen Vorteil trachten.“

Gabriel Felbermayr - © Foto: APA / Roland Schlager

Gabriel Felbermayr

war Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und folgte im Oktober 2022 Christoph Badelt als WIFO-Chef nach.

Das heißt natürlich nicht, dass Gier moralisch plötzlich „gut“ sei, aber sie muss einem funktionierenden Wirtschaftssystem nicht entgegenstehen. Damit das klappt, darf es keine Monopole geben, keine asymmetrische Information, keine externen Effekte. Um das sicherzustellen, muss der Staat eingreifen. Statt den Unternehmen Gier zu unterstellen und für sich selbst dieses tiefe Motiv mit aller Verve zurückzuweisen, sollte die Energie in die Analyse des Marktgeschehens gelenkt werden – mit dem Ziel, die richtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu treffen.

Klar ist: Auf dem Markt für Gebrauchtwagen ist es das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, das zu steigenden Preisen geführt hat. Wegen Lieferengpässen waren Neuwagen schlecht verfügbar, viele Käufer brauchten trotzdem einen neuen Wagen – und das Resultat waren hohe Preise. Wäre es besser gewesen, wenn die Besitzer alter Autos diese zum Vor-Coronapreis verkauft hätten? Das hätte jene glücklich gemacht, die ein solches Schnäppchen erwischen konnten – aber jene unglücklich gemacht, die trotz dringenden Bedarfs kein Auto finden, weil der niedrige Preis das Angebot zu klein und die Nachfrage zu groß gehalten hat.

Die eigentlichen Treiber

Natürlich gibt es Märkte, die deutlich komplexer sind als jener für Gebrauchtautos. Märkte, die schon aktuell massiv reguliert sind, wie der Wohnungsmarkt etwa. Oder solche, wo die Vorstellung vom perfekten Wettbewerb daneben geht, wie beim Lebensmitteleinzelhandel. Oder Rohstoffmärkte, jener für Gas eingeschlossen, wo eine geringe Anzahl mächtiger Trader auf den Weltbörsen spekulative Übertreibungen herbeiführen, die für Millionen Haushalte zu massiven Preissteigerungen führen. Aber es ist nie die Gier selbst, sondern es sind falsche Rahmenbedingungen, die für übertriebene Preissteigerungen ursächlich sind. Die Rede von der „Gierflation“ vernebelt den Blick auf die eigentlichen Treiber.

Gerade weil die Inflation so hartnäckig hoch ist, sollte man die gesinnungsethischen Schlagstöcke stehen lassen.

Wenn Autos plötzlich knapp sind, dann machen jene, die welche zum Verkaufen haben, höhere Gewinne. Ungerechtfertigte, könnte man sagen, denn es haben sich die Kosten des Verkäufers ja nicht erhöht. Aber wenn der Preis nicht stiege, würde der Verkäufer das alte Auto wohl in der Garage belassen. Erst die Aussicht auf einen höheren Preis führt dazu, dass er seinen Zweitwagen auf Onlinemarktplätzen wie willhaben.at anbietet. Soll der Preis sinken, dann muss mehr Angebot auf den Markt – oder die Nachfrage muss zurückgehen. In vielen anderen Branchen ist das nicht anders.

Die Verknappung einzelner Güter oder überraschend hohe Nachfrage nach anderen muss aber nicht zu einem Anstieg des allgemeinen Preisniveaus führen. Das geschieht nur, wenn dafür überhaupt ausreichend Liquidität da ist. Darum ist ein Inflationstreiber, der immer noch viel zu wenig Beachtung findet, die jahrelang ultralaxe Geldpolitik des Eurosystems und anderer Zentralbanken. Sie haben durch extrem niedrige Zinsen und das rigorose Aufkaufen von Staatsanleihen das Schuldenmachen billig gemacht. Das hat zu einem Anstieg der Nachfrage geführt, dummerweise während gleichzeitig die Coronakrise ihren Höhepunkt bereits hinter sich hatte. Nun steigen die Zinsen, was Kredite verteuert und im Immobilienbereich bereits spürbar zu einer Entschleunigung führt. Wenn endlich auch die Guthabenzinsen wieder höher sind, wird mehr gespart, und das bremst dann die Konsumnachfrage. Das dauert, wird aber am Ende die Wirkung nicht verfehlen.

Nachfrage auf Pump eindämmen

Um die Inflation auf Dauer in den Griff zu bekommen, braucht es also keinen Kreuzzug gegen die Gier. Es braucht eine Wirtschaftspolitik, die mehr Angebot möglich macht – und die Nachfrage auf Pump eindämmt. Kurzfristig muss aber trotzdem ein Paradigmenwechsel her: weg von der Abmilderung der Auswirkungen der Inflation hin zu einer Bekämpfung der Teuerung selbst. Der jüngst von der Regierung verabschiedete Fünfpunkteplan geht in die richtige Richtung. Er muss nun aber auch in der Realität liefern: das Einfrieren der Gebühren könnte einen spürbaren Effekt haben, muss aber auch tatsächlich kommen. Dafür braucht es Verhandlungen mit den Gemeinden. Druck auf Einzelhandel und Stromversorger mit Preistransparenz ist gut, aber es muss glaubwürdige Konsequenzen geben, wenn die Preise nicht zurückgehen. Und die schon erfolgreich begonnene Indizierung der Sozialleistungen muss zu Ende gebracht werden, indem die Einkommensgrenzen, ab denen Ansprüche entstehen, angepasst und unterjährige Inflationsausgleiche ermöglicht werden.

Das wäre übrigens ein sinnvoller Anwendungsbereich für die Gesinnungsethik.

Der Autor ist Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO).

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