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Geldsystem in der Krise

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In der Geldwirtschaft herrscht Unordnung. Daß die Kluft zwischen reich und arm größer wird, ist ein deutliches Merkmal. Ein neues Buch zeigt Auswege.

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In der Geldwirtschaft herrscht Unordnung. Daß die Kluft zwischen reich und arm größer wird, ist ein deutliches Merkmal. Ein neues Buch zeigt Auswege.

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Mit dem System unserer (jeldwirtschaft scheint einiges nicht zu stimmen. In manchen Staaten etwa übersteigt der Zinsendienst in seiner Größenordnung bereits den Sozialaufwand. Besonders am Beispiel der Länder der Dritten Welt erleben wir, wie Volkswirtschaften am Zinsmechanismus zu ersticken drohen. Der Sucht, ständig Gelderträge erwirtschaften zu müssen, verdanken wir auch die Vernachlässigung von Umwelterfordernissen und die Verschleuderung von Ressourcen.

Langsam beginnt aber in der Gesellschaft ein neues Problembewußtsein in Hinblick auf die Geldordnung wach zu werden. Großverlage wie Goldmann, renommierte Verlagsstätten wie Campus reagieren bereits mit kritischen Aufarbeitungen und auch der Wirtschaftsverlag Langen-Müller hat kürzlich ein umfangreiches, gut lesbares Werk vorgelegt: „Das' GeldsjTidrom" des Wirtschaftsjournalisten Helmut Creutz. Creutz bewegt sich mit seinen Ansätzen jenseits des Monopols der Hochschullehre; vor nicht allzu langer Zeit wurde er sogar für den alternativen Nobelpreis vorgeschlagen.

Den Kern seines Analyseansatzes veranschaulicht der Autor mit dem Vergleich aus der Welt der Baukunst: Geld, Wirtschaft und Gesellschaft hängen wie bei einem Gebäude so zusammen, daß die Währung im Fundament, die Wirtschaft im Untergeschoß und die Gesellschaft im Übergeschoß als beheimatet anzusehen seien. Geld ist also -entgegen allen Behauptungen der (neo-)klassischen Theorie - das zentrale Medium für Wirtschaft und Gesellschaft.

Allerdings, so Creutz, seien den Geldpolitikern bereits viele Steuerungsmöglichkeiten aus den Händen geglitten. Einen Hinweis dazu liefert die mancherorts dramatische Inflationsentwicklung. Inflation - so eine der Hauptthe-

sen von Creutz - treibt den Zins in die Höhe, und weil das zunehmende Zinsvolumen den wachsenden Schuldenberg von Staat und Wirtschaft (mit-)verursacht, verändern sich Ausgabe- und Investitionsverhalten negativ, so daß die Beschäftigung sinkt. Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit hängen nach Creutz ganz eng mit dem Geld- und Zinswesen zusammen.

Creutz räumt auch auf mit der verbreiteten Vorstellung, nach der in einer Welt vieler kleiner Sparbuchbesitzer fast jeder von dem Zinssystem profitiert. Alle Wirtschaftsteilnehmer zahlen auch Zinsen, nicht nur als Kreditnehmer, auch beim Kauf von Produkten - und nicht wenig, wie der Autor zeigt: Allein im Preis für das Trinkwasser ist ein Anteil von 38 Prozent für Kapitalverzinsung enthalten. Dieser Aspekt ist besonders inakzeptabel, weil damit ein gigantischer Umverteilungsprozeß zugunsten der großen Geldvermögen gegeben ist. Ein wesentliches Merkmal der herrschenden monetären Unordnung ist -wie Creutz beeindruckend nachweist -, daß sich die Kluft zwischen arm und reich beständig vergrößert.

Auch der heute virulente Antagonismus zwischen Geld und Natur wird im Buch von Helmut Creutz thematisiert. Die Zusammenhänge sind klar: Geldkapital will wachsen, es sucht Anlagemöglichkeiten und ruht nicht eher, bis etwa ein bis dahin unberührter Berghang mit einem neuen Hotelklotz versehen ist. Dazu kommt, daß unökologische Bauvorhaben zumeist auch mehr Zinsgewinne versprechen als naturverträgliche, weil Rücksichtslosigkeit - auf rein betrieblicher Ebene - kostenmindernd wirkt. Creutz unterstreicht: „Nicht jedes Wirtschaftssystem bedarf ... eines ständigen Wachstums! Wohl aber eines, das nach den Gesetzmäßigkeiten der Kapitalrendite funktioniert. Das heißt, der Kapitalismus ist wie ein Motor konstruiert, bei dem man ständig mehr Gas geben muß, wenn er weiterlaufen soll. Das heißt aber auch: Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das sich auf Dauer selbst zerstört."

Creutz kritisiert nicht nur, er -weist auch einige unorthodoxe Wege zur Überwindung der geldbezogenen Fehlstrukturen, die primär am Frei-wirtschaftstheoretiker Silvio Gesell orientiert sind: Schöp-

fung eines stabilen Geldes, dessen Umlauftempo so gesteuert wird, daß Nachfrage und Investition ausreichend Beschäftigung generieren, zugleich aber auch eine Neutralisierung der Gelderträge (Zinsen) erfolgt. Creutz: Arbeit hat Vorrang vor dem Kapital.

Trotz der deutlichen Stellungnahmen wird Helmut Creutz gelegentlich vorgeworfen, unzulässige Harmonisie-

rungen bei anderen sozialen oder ökonomischen Widersprüchen herzustellen. Sicher kann man über eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten oder die Sinnhaftigkeit einer Abschaffung der Lohnnebenkosten streiten, Creutz sieht jedoch seine Hauptaufgabe in der Beschreibung des Kapitalismus als „monetäres Syndrom“. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist eindrucksvoll gelungen, und dem Buch ist eine möglichst große Verbreitung zu wünschen.

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