Gentechnik ante portas

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Mehrere Zukunftsszenarien für die Landwirtschaft entwerfen die Autoren des folgenden Beitrags in ihrem Artikel zu einem Sammelband. Im folgenden das Szenario, das vom Siegeszug der Gentechnik ausgeht.

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Mehrere Zukunftsszenarien für die Landwirtschaft entwerfen die Autoren des folgenden Beitrags in ihrem Artikel zu einem Sammelband. Im folgenden das Szenario, das vom Siegeszug der Gentechnik ausgeht.

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Die Gentechnik in der Pflanzenzucht und in manchen agronomischen Spezialproduktionszweigen wird sich mit Hilfe der liberalen Weltmärkte bei Agrarprodukten als effiziente Agrartechnologie weltweit durchsetzen. Dies führt zu einer weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft beziehungsweise zu einer weiteren Einbindung dieser in das Industriesystem. Die Chemie- und Nahrungsmittelindustrien werden eine zunehmend zentrale Rolle einnehmen, indem sie Input und Output koordinieren und dadurch die Landwirtschaft in ein globales Agrobusiness transformieren.

Motor dieser Entwicklung ist das Konkurrenz-, Macht- und Wachstumsstreben der großen multinationalen Konzerne, die den Weltsaatgutmarkt als Zukunftsbranche entdeckt haben und das damit verbundene Macht- und Kontrollbedürfnis der Industrieländer des Nordens über die Welternährung. Auch die großen nationalen Agrarindustrien sehen sich diesbezüglich unter Zugzwang, um ihre angestammten Märkte zu erhalten.(...)

Die wachsende Weltbevölkerung und die damit wachsende Nahrungsmittelknappheit (sprich Hunger der Menschen) sowie der Wunsch nach industrietauglichen, nachwachsenden Rohstoffen verspricht ein sehr großes, wenn nicht das größte, zukünftige Geschäft für die Industrieländer zu werden, sofern es gelingt, das Patentsystem auf "biotechnologische Erfindungen" weltweit durchzusetzen.

Die Nahrungsmittelerzeugung und die Ernährung des Menschen wird als große, gewinnträchtige Herausforderung für die Industrie gesehen, wobei für eine traditionelle bäuerliche Landwirtschaft und ihr Erfahrungswissen immer weniger Platz bleibt. Das ökologische und soziale Desaster in Bezug auf die (Welt-)Landwirtschaft wird sich verschärfen.

Daß sich Österreich als eines der führenden Industrieländer so lange dem "politischen" Imperativ der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in die Umwelt entzogen hat, beziehungsweise an der Gesamtproblematik möglichst wenig "anstreifen" mochte (das Wort "widersetzt hat" wäre übertrieben), ist eine "industriepolitische" Provokation. Es wäre in diesem Zusammenhang ein schlechtes Beispiel für Europa und die Welt, wenn ein bedeutendes Industrieland beweisen würde, daß es fähig ist, eine ertragsichere, zudem relativ ökologische und auf kleinbäuerlichen Strukturen basierende Landwirtschaft zu betreiben und wenn es gleichzeitig gelingen würde, noch führend auf dem Sektor der nachwachsenden Rohstoffe zu sein, ohne sich auf die Risiken der Gentechnologie einzulassen.

Die Konflikte zwischen industriellen Gewinninteressen und der Umweltschutzbewegung sind programmiert, da sich das Risiko der Gentechnologie vor allem bei der absichtlichen Freisetzung in die Umwelt nicht eingrenzen läßt. Die Verbreitung der neuen Genkonstrukte und der damit verbundenen synthetisch modifizierten Eiweißstoffe kann nicht kontrolliert werden, sodaß eine "Genverschmutzung" unvermeidlich ist.

Dies könnte längerfristig zu einer Störung des ökologischen Gleichgewichts mit erheblichen Schadenswirkungen führen. Zudem sind neue Proteine in Nahrungsmitteln immer auch potentiell allergieerregend. (...)

Diese primären Kritikargumente, wie sie von der Umweltschutzbewegung ins Treffen geführt werden, lassen sich zwar schwerlich prospektiv beweisen, sondern nur hypothetisch herleiten, können aber von der betreibenden Spezialwissenschaft auch nicht widerlegt werden. Und dies ist genau jener konfliktträchtige Argumentationsnotstand der befürwortenden Wissenschaft und Technologiebetreiber, wie er sich in der Atomtechnologiedebatte ergibt. (...) Die agrarische Anwendung der Gentechnik wird zur "heißen Kartoffel" der zukünftigen österreichischen Agrar- und Umweltpolitik.

In Zukunft ist zu erwarten, daß der internationale Druck auf Österreich und der Druck von partiellen Industrieinteressen enorm zunehmen wird, um die Kennzeichnungsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel und Produkte nicht zur Wirkung kommen zu lassen und die Freisetzungen und die Inverkehrsbringung von GVO liberal zu handhaben.

Auszug aus "Die Zukunft der österreichischen Landwirtschaft", Beitrag in "Landwirtschaft und Agrarpolitik in den 90er Jahren", Forschung Pro Media, 256 Seiten.

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