Geschichte des Flugverkehrs: Auf Expansionskurs über den Wolken
Die Geschichte des Flugverkehrs in den neunziger Jahren liest sich wie eine Erfolgsstory: Wachstum, wohin man schaut - und zwar weltweit: mehr Passagiere, mehr Fracht, mehr Flugzeuge, mehr Linien, größere Flughäfen ... Immer deutlicher treten aber auch die Schattenseiten dieser Erfolgsstory hervor - insbesondere im Umweltbereich.
Die Geschichte des Flugverkehrs in den neunziger Jahren liest sich wie eine Erfolgsstory: Wachstum, wohin man schaut - und zwar weltweit: mehr Passagiere, mehr Fracht, mehr Flugzeuge, mehr Linien, größere Flughäfen ... Immer deutlicher treten aber auch die Schattenseiten dieser Erfolgsstory hervor - insbesondere im Umweltbereich.
Die Geschichte unseres Jahrhunderts ist auch die Geschichte des Flugverkehrs. Als Charles Lindbergh mit seinem Flugzeug 1927 erstmals den Atlantik überquerte, gab es noch keine Zivilluftfahrt. Ihr Beginn ist in den dreißiger Jahren anzusetzen, ihre eigentliche Dynamik aber gewann sie nach dem Zweiten Weltkrieg, der ja zu großen Fortschritten in der Flugzeugtechnik geführt hatte.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verlief diese Entwicklung dann geradezu rasant: Wurden 1970 weltweit erst 382 Millionen Flugpassagiere befördert, so lag diese Zahl 1998 bei rund zwei Milliarden, 1,46 Milliarden davon im Linienflug. Fünf Prozent Zuwachs pro Jahr allein in den neunziger Jahren. Steigend auch das Frachtaufkommen: von rund 60 Millionen Tonnenkilometern (Zahl der Kilometer mal Zahl der beförderten Tonnen) 1971 auf 349 Millionen im Jahr 1998.
Man muß sich vorstellen: Jeder dritte Erdenbewohner besteigt also im Durchschnitt einmal pro Jahr ein Flugzeug! Nun muß man diese Zahlen zweifellos relativieren. Denn wie das Autofahren ist auch das Fliegen das Privileg einer exklusiven Minderheit - und diese ist überwiegend in den Industrieländern beheimatet: Zwei Drittel des Flugverkehrs entfallen nämlich auf Nordamerika und Europa. Aber auch in diesen Ländern benützt nur eine Minorität das Flugzeug: In Deutschland dürften es etwa 20 Prozent der Bevölkerung sein.
Wie sehr der Luftverkehr auf die USA konzentriert ist, erkennt man an der Tatsache, daß von den 25 meistfrequentierten Flughäfen der Welt allein 17 in den USA liegen. Auch bei der Reihung der Fluglinien nach der Zahl der beförderten Passagiere liegen drei US-Unternehmen an der Spitze: United Airlines führt die Liste mit 200 Billionen (!) Passagierkilometern an. Als erste nicht amerikanische Fluggesellschaft folgt British Airways auf Platz vier mit 111 Billionen.
Welcher Betrieb sich auf den oben erwähnten 25 größten Flughäfen abspielt, läßt sich am besten daran ablesen, daß allein sie im Jahr 1998 elf Millionen Flugbewegungen zu verzeichnen hatten. Das ergibt für jeden dieser Airports einen Start oder eine Landung alle 71 Sekunden rund um die Uhr und täglich 110.000 durchgeschleuste Passagiere.
Kein Wunder, daß auf dem Flughafensektor weltweit auf Expansion gesetzt wird: Allein 1998 wurden drei Airports (in Hongkong, Malaysia und Norwegen) und 1999 zwei (beide in China) neu eröffnet. Es gibt aber kaum ein Land, in dem nicht ähnliche Projekte laufen oder zumindest die bestehenden Flughäfen ausgebaut oder erweitert werden. Das gilt auch für Österreich (siehe Seite 14).
Wie rasant der Flugverkehr gerade in der letzten Dekade zugenommen hat, wird auch aus folgenden Zahlen deutlich: 1989 waren weltweit 11.353 Flugzeuge im Einsatz, 1998 waren es bereits 18.139: Ein Plus von 60 Prozent. Und mit weiterer Steigerung wird offenbar gerechnet, denn 1998 wurden 1.463 Flugzeuge bestellt, mehr als 1997.
Was die Luftlinien anbelangt, so zeichnet sich derzeit ein Trend zur Privatisierung ab, nachdem die Fluggesellschaften lange Jahre hindurch überwiegend im staatlichen Eigentum waren. Weiters gibt es eine starke Tendenz zur internationalen Kooperation. Es entstehen globale Allianzen von Airlines. Als erste solche Gruppe entstand 1997 die "Star Alliance" durch eine Zusammengehen von Air Canada, United Airlines, Lufthansa, SAS und Thai Airways. Zu dieser Gruppe werden auch die österreichischen Fluglinien ab Sommer 2000 stoßen. Insgesamt konkurrieren derzeit fünf solche Allianzen auf dem Weltflugmarkt.
Von ihm wird im Rahmen der Globalisierung der Wirtschaft eine weitere Expansion erwartet. "Wir, die wir im Luftfrachtgeschäft tätig sind, dürfen uns mit Fug und Recht als Makler dieser Entwicklung (der Globalisierung) bezeichnen, stellte Jürgen Weber, Vorstandsvorsitzender der Lufthansa AG, kürzlich fest. Denn "Globalität und Mobilität sind ein Zwillingspaar."
Und so überzieht ein stets dichter werdendes Netz von Flugverbindungen den Globus. 185 Staaten sind mittlerweile Mitglied der ICAO, der Internationalen Zivilluftfahrtgesellschaft, deren Daten regelmäßig Aufschluß über die Entwicklung des Flugverkehrs geben. Dabei zeigt sich, daß dessen Expansion regional unterschiedlich verläuft: Überdurchschnittliche Zuwächse hatten in den neunziger Jahren Lateinamerika und Südostasien aufzuweisen, Afrika unterdurchschnittliche.
Wie aufstrebend Südostasien im internationalen Flugverkehr ist, wird deutlich, wenn man die Liste der meistfrequentierten internationalen Linien betrachtet: Spitzenreiter ist die Strecke Hongkong-Taipeh (3,8 Millionen Passagiere) gefolgt von London-New York (3,3 Millionen). Und zu den wichtigste Drehsscheiben im internationalen Flugverkehr zählen neben London vor allem Tokio und Hongkong.
Ein Auslöser für die Expansion des Flugverkehrs sind dessen stark fallende Preise, die auch das Urlaubsverhalten der Bevölkerung in Europa verändert haben (Seite 14). Daß trotz dieser Preissenkungen heute schwarze Zahlen in der Branche geschrieben werden, darf nicht übersehen lassen, daß die Luftlinien in der ersten Hälfte der neunziger Jahre beachtliche Verluste eingeflogen haben, die zum Teil durch massive Stützungen ausgeglichen werden mußten.
Und damit ist ein zentraler Vorwurf an die Branche angeschnitten: Sie wird massiv und in in vielfältiger Form subventioniert. Das beginnt mit der Steuerbefreiung des Flugtreibstoffes (eine im Verkehrswesen einmalige Begünstigung, siehe Seite 15) und setzt sich bei den oben erwähnten Stützungen fort, die in den neunziger Jahren allein in Europa rund 100 Milliarden Schilling betragen haben dürften (nicht mitgerechnet sind die 44 Milliarden an Regierungszuschüssen, die 1994 von der EU-Kommission für die Air France bewilligt wurden).
Eine weitere indirekte Förderung stellen die staatliche Unterstützung der Luftfahrtforschung und die Zuschüsse dar, die im allgemeinen für Flughafenerweiterungen und -umbauten gewährt werden. Nicht unberücksichtigt bleiben dürfen schließlich die beachtlichen Mittel, die in die meist sehr aufwendige Verkehrsinfrastruktur fließen, welche die Flughäfen an die Destinationsorte anbindet (Autobahnen und Eisenbahnlinien).
So eindrucksvoll also einerseits die Leistungen des Flugverkehrs sind, so fragwürdig sind sie andererseits, sowohl aus ökologischen Gründen (Seite 15) wie aus ökonomischen Gründen. Denn diese massive Subventionierung begünstigt eine Expansion, die künstlich gestützte internationale Verflechtung erzeugt - insbesonders im Bereich des Fremdenverkehrs.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!