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Gibt es eine Dollarkrise?

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„Der allmächtige Dollar, jener Gegenstand allgemeiner Vereitrung rund Anbetung.

Washington Irving

Vor rund elf Jahren untersuchte eine amerikanische Kommission in Europa die Möglichkeiten für eine Steigerung der Verkäufe europäischer Erzeugnisse in den Ländern der westlichen Hemisphäre, vor allem aber in den USA. Es ging um die Frage, was man tun könnte, die europäische „Dollarlücke" zu schließen, um Europa Gelegenheit zu geben, mehr Dollar zu verdienen. In dem Bericht der Kommission wurde darauf hingewiesen, daß die Dollarlücke ein grundlegendes internationales Wirtschaftsproblem sei. Und heute, ein Jahrzehnt später? Amerikanische Minister reisen in europäische Staaten und ersuchen, einen Teil der Stationierungskosten für die in diesen Ländern stationierten US- Truppen zu bezahlen, die europäischen Länder werden gedrängt, endlich den USA einen größeren Teil der Lasten der Entwicklungshilfe für den afroasiatischen Raum abzunehmen. Die Gerüchte über eine mögliche Dollarabwertung verstummen allen Dementis zum Trotz nicht, die Spekulation gegen den Dollar — sie kommt zum Teil aus den USA selbst — flammt immer wieder auf.

Das „Dollarproblem“ wird nicht immer im richtigen Licht gesehen und erfährt daher Interpretationen, die nichts weniger als zutreffend sind. Zunächst: Wenn von einer „Dollarkrise“ gesprochen wird, handelt es sich um eine Vertrauenskrise, die vor allem psychologisch motiviert ist. Aber in der Wirtschaft spielt eben das Verhalten der Menschen, auch wenn es noch so irrational ist, eine bedeutende Rolle. Den europäischen Staaten ist es einigermaßen gelungen, die „Dollarlücke“ zu schließen und ihren Anteil an den internationalen Währungsreserven zu vergrößern. Europa hat damit ein Ziel erreicht, das in der amerikanischen Europapolitik in den Aufbaujahren nach dem Krieg als vordringlich angesehen wurde.

Vorläufig keine Gefahr

Aber ist die amerikanische Situation deshalb so beängstigend geworden, daß eine Gefahr für den Dollar besteht, seine Position als westliche Leitwäh-

ter rung zu verlieren? Wenn man von ig Tatsachen ausgeht, kaum. Im dritten Quartal des laufenden Jahres hstjięK • der Fehlbetrag der amerikarfiscnen Zahlungsbilanz auf 4,3 Milliarden Dollar erhöht, das heißt, aus den USA ist Gold abgeflossen, die Dollarguthaben dritter Länder haben sich erhöht. Die amerikanischen Goldreserven betragen zur Zeit etwa 18 Milliarden Dollar, die kurzfristigen Verpflichtungen der USA — internationale Währungssituationen ausgenommen — haben etwa die gleiche Höhe erreicht. Dazu kommt allerdings, daß ein beträchtlicher Teil dieser Goldreserven durch die gesetzliche Verpflichtung, die Dollarnoten zu ,25 Prozent mit Gold zu decken, gebunden ist. Es erheben sich, dies sei nur am Rande vermerkt, in den USA immer mehr Stimmen, die eine Abschaffung dieser Golddeckungsbestimmung verlangen.

Die amerikanische Handelsbilanz wird heuer wahrscheinlich einen Ausfuhrüberschuß von etwa vier Milliarden Dollar, die amerikanische Dienstleistungsbilanz einen Überschuß von etwa zwei Millionen Dollar bringen. Die Auslandshilfe und die Kosten der amerikanischen Truppen im Ausland sind dadurch etwa gedeckt. Das „Defizit“ der US-Zahlungsbilanz hat andere Gründe: nämlich den Abfluß kurzfristiger Mittel und die immer stärker zunehmenden amerikanischen privaten Auslandsinvestitionen, die zudem noch steuerlich begünstigt sind. Der Abfluß kurzfristigen spekulativen Geldes beruht einerseits auf der Hoffnung, einen Abwertungsgewinn im Falle einer Dollarabwertung zu erzielen, anderseits auf dem unterschiedlichen Zinsniveau zwischen den USA und Europa. Obwohl Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland den Diskontsatz gesenkt haben, beträgt der Zinsunterschied noch immer eineinhalb bis zwei Prozent. Die deutsche Bundesrepublik hat zwar durch ein Verzinsungsverbot für Auslandseinlagen den Zufluß etwas eingedämmt, Großbritannien hingegen hat keine Veranlassung gesehen, das ebenfalls zu tun. Die Unterschiede im Zinsniveau zwischen den USA und Europa können aber relativ rasch verschwinden. wenn, um ein Beispiel zu nennen. Europa unter dem Einfluß einer Konjunkturabschwächung wie-

der zu einer Politik billigeren Geldes zurückkehrt. Jedenfalls ist der Abfluß spekulativer Gelder aus den USA keinesfalls strukturell begründet und die Situation kann sich rasch ändern.

Etwas anders liegen die Dinge bei den ständig wachsenden amerikanischen Auslandsinvestitionen. Vor allem in Europa wird viel investiert, weil offenbar die amerikanischen Investoren die Wachstumschancen der europäischen Volkswirtschaften besser beurteilen als die ihrer eigenen Wirtschaft. Überdies sind in Europa die Produktionskosten niedriger. Aber Auslandsinvestitionen sind ja, ökonomisch gesehen, kein Nachteil für eine Volkswirtschaft, im Gegenteil. Außerdem hat man sich doch jahrelang bemüht, die Freizügigkeit des Kapitals wieder herzustellen. Die Gläubigerposition der USA wird durch die Auslandsinvestitionen ebenfalls stärker. Aus all diesen Gründen scheint die amerikanische Nervosität recht unverständlich. Gefährlich hingegen ist es, daß in den Vereinigten Staaten wieder Vorschläge auftauchen, die an schlechte Vorbilder aus der Zwischenkriegszeit gemahnen. So spricht man davon, daß unter allen Umständen die Ausfuhr gefördert werden müßte, im Gefolge dieser Meinung kann man dann hören, daß auch etwas gegen die Einfuhr unternommen

werden müsse. Weiter wird diskutiert, ob mit der Auslandshilfe nicht wieder die „Buy-American“-KIausel verbunden werden sollte, das heißt, die unterstützten Länder müßten die geschenkten oder kreditierten Dollar wieder in den Vereinigten Staaten ausgeben. Abgesehen davon, daß eine derartige Politik die bisher erreichte Multilateralität des Zahlungs- und Handelsverkehrs wieder stark beeinträchtigen. würde, könnte .man sich vorstellen, daß sie auf ähnliche Gegenmaßnahmen der betroffenen Länder stößt. Dann wäre, man wieder dort, wo vor mehr als zehn Jahren begonnen wurde. Am wenigstens kann dies aber im Interesse der Vereinigten Staaten liegen.

Wandlungen

Es wird abzuwarten sein, ob die Regierung Kennedy den derzeit eher zum Protektionismus neigenden Kurs fortsetzt. Sollten die gleichen Persönlichkeiten, die Kennedy während des Wahlkampfes in wirtschaftlichen Dingen beraten haben, vor allem, der bekannte Nationalökonom John K. Galbraith, starken Einfluß auf die amerikanische Wirtschaftspolitik gewinnen, ist eher damit zu rechnen, daß diese Politik geändert wird. Vielleicht wird dann sogar die Konstruktion des westlichen Währungs-

systems einigen Korrekturen unterzogen.

Von einem Punkt freilich werden die USA wahrscheinlich auch in Zukunft nicht abgehen. Sie werden die europäischen Staaten weiter auffordern, sich stärker an der Entwicklungshilfe zu beteiligen, in Anbetracht der Wichtigkeit dieser Frage für den Westen ist hier eher mit einer verstärkten US-Aktivität zu rechnen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß von einer Krise des Dollars wohl keine Rede sein kann, wenn auch die amerikanische Öffentlichkeit sich einer Situation gegenübersieht, auf die sie nicht vorbereitet ist und an die sie vor einigen Jahren noch nicht im entferntesten gedacht hat. Diese Situation scheint uns eher das Gegenteil von ungesund zu sein. Sie beweist, daß es den europäischen Industriestaaten gelungen ist, die Krücken wegzuwerfen und auf eigenen Füßen zu stehen. Die USA haben es in Europa nicht mehr mit Konjunkturnehmern, mit Unterstützungsbedürftigen zu tun, sondern mit starken Volkswirtschaften, die auch in der Lage sind, den Vereinigten Staaten Konkurrenz zu machen. Es gibt zwar keine Donarkrise, wohl aber hat sich die wirtschaftliche Situation geändert — und damit auch die Stellung Vereinigten Staaten.

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