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Gibt es einen Rentenluxus?

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Die von mir in meinem Artikel in der September-Nummer von „Arbeit und Wirtschaft“ gebrauchte Formulierung von dem „sozialpolitischen Luxus, den wir uns nicht leisten können“, wurde offenbar von manchem Leser für übertrieben angesehen. Dies kommt auch in dem Artikel von Dr. Hans Leitner (Furche Nr. 40 vom 5. Oktober 1963) zum Ausdruck, in dem es nach einer Darstellung der niedrigen Durchschnittspensionen und der unzulänglichen Ausgleichszulagen mit einer deutlichen Spitze gegen mich wörtlich heißt: „Es ist unbegreiflich, wie man im Zusammenhang mit den Leistungen unserer Rentenversicherung überhaupt von einem sozialpolitischen Luxus zu sprechen vermag.“ Nun bezieht sich der Ausdruck „sozialpolitischer Luxus“ natürlich nicht auf diese Leistungen;

das wäre tatsächlich unverständlich. Was ich als einen finanziell untragbaren Luxus in der Sozialversicherung betrachte, habe ich in dem zitierten Artikel dargelegt. Maßgebend für die Beurteilung, ob es einen „sozialpolitischen Luxus“ in dem von mir behaupteten Sinn gibt, sind nicht die Durchschnittsrenten aus Beitragszeiten vergangener Jahrzehnte mit wesentlich kürzeren Versicherungszeiten und daraus resultierenden weitaus niedrigeren Steigerungsbeträgen, aufgebaut auf geringere Arbeitsverdienste und belastet mit einer starken Unterversicherung, sondern ausschließlich die heutigen und für Jahrzehnte hinaus weiter wirkenden Leistungen des ASVG im Vergleich zu den hierfür bezahlten Beiträgen einerseits und dem vorangegangenen Arbeitseinkommen anderseits.

Die verlorene Äquivalenz

Daß wir uns, wenn man die Leistungen unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, tatsächlich in verschiedener Hinsicht einen sozialpolitischen Luxus leisten, dürfte gerade von Fachleuten nicht bestritten werden.

Beginnen wir mit der prozentuellen Höhe der Pensionen. Durch das Stammgesetz des ASVG vom Jahre 1955 war die niedrigste Altersrente mit 40,5 Prozent der Bemessungsgrundlage festgelegt. Im Zuge der diversen Novellen wurde sie mittlerweile auf 50 Prozent erhöht. Nach 35 Versicherungsjahren steigt die Rente auf 64,5 Prozent, nach 40 Versicherungsjahren auf 72 Prozent und schließlich nach 45 Versicherungsjahren auf 79,5 Prozent der Bemessungsgrundlage an. Das ist ein sehr beachtliches Rentenausmaß, wenn man es mit den Verhältnissen in anderen Ländern vergleicht, wo zum Teil die Hälfte des früheren Erwerbseinkommens schon die Höchstleistung — und -nicht- die üü darttelFfc'Öüfch rhb'u'EthfüH?u zunlidH.it 'Eifler 13 und spater''eiher l 'ReriteV'die, jetzt als Pensionen bezeichnet, zusätzlich zu den bestandenen zwölf Rentenzahlungen im Jahr traten, hat sich das Pensionsausmaß im wesentlichen um ein volles Sechstel, gemessen am versicherungspflichtigen Einkommen, erhöht. In

der Bundesrepublik Deutschland beträgt die Altersrente nach 40 Versicherungsjahren 60 Prozent der Beitragsgrundlagen im Durchschnitt des gesamten Versicherungsverlaufs. In Österreich erreicht man nach 40 Versicherungsjahren einen Anspruch auf eine Pension von 84 Prozent des versicherungspflichtigen Einkommens der letzten fünf Jahre.

Das führt dazu, daß diese über das Stammgesetz hinaus erhöhten Leistungen durch die Beiträge noch weniger versicherungsmäßig gedeckt sind als vorher. Die Äquivalenz zwischen Beitrags- und Versicherungsleistung, eine zwingende Voraussetzung für die dauernde Aufrechterhaltung dieser Leistungen, ist damit in der Sozialversicherung völlig verlorengegangen. Es wäre verhängnisvoll, zu glauben, daß man die fehlenden Mittel einfach durch Staatszuschūsse decken könnte, deren Inanspruchnahme für zusätzliche andere Leistungen ohnehin in den nächsten Jahren gewaltig ansteigen wird. Neben dem finanziellen Problem, das durch die Einführung von zwei zusätzlichen Pensionen noch wesentlich verschärft wurde, spielt auch die sozialpolitische Seite der Frage eine Rolle. Die Höchstpensionen, die bisher 79,5 Prozent betragen haben, steigen damit auf 92,75 Prozent des versicherten Einkommens an, und es wirft sich die Frage auf, ob dies wirklich eine zwingende sozialpolitische Notwendigkeit darstellt, mit der man auch einen höheren Beitragssatz und den zusätzlichen Bundesbeitrag rechtfertigen kann. Nach Meinung aller wirklichen Fachleute sind Pensionen in solcher Höhe keine sozialpolitische Notwendigkeit. Sie sind geradezu widersinnig, wenn man Zweck und Sinn der Pensionsversicherung betrachtet; die Pensionen Sollen doch einen möglichst yollwertigen Ersatz für das durch den Eintritt des Versicherungsfalles verlorengegangene Arbeitseinkom-

men darstellen. Ein Ersatz soll aber weder höher sein als das zu ersetzende Einkommen, noch soll er zusätzlich, sondern nur an Stelle dieses Einkommens gebühren. Ich kann mich mit diesen beiden grundsätzlichen Feststellungen begnügen, die jeder Sozialpolitiker unterschreiben muß, um darzulegen, was ich unter „sozialpolitischem Luxus“ verstehe.

Immer neuer Zuwachs

Nun noch einige Ausführungen, um die finanzielle Auswirkung einer derartigen Überforderung zu demonstrieren. Der Jahresbericht 1962 der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten weist aus, daß von den im Jahre 1962 neu zugewachsenen Alterspensionen bereits 35,2 Prozent eine Versicherungsdauer von mehr als 45 Versicherungsjahren aufweisen und damit ein Pensionshöchstausmaß bis zu 92,75 Prozent des versicherten Bruttoarbeitseinkommens erreichen. In der Arbeitervefe besteht, werden dennoch mit 1. Jan ner 1964 bereits die ersten Ver

sicherten mit einer Versicherungszeit von 41 Jahren aufscheinen, was nach den bisherigen Bestimmungen einen Pensionsanspruch von mehr als 85 Prozent des versicherten Jahresverdienstes nach sich ziehen

wind. Die Anzahl der Anspiucu - berechtigten mit derartig hohen Versicherungszeiten selbst werden natürlich in allen Anstalten von Jahr zu Jahr weiter ansteigen.

Die Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues meldet in einem Bericht vom Juli 1962, daß die derzeit höchstmögliche knapp- schaftliche Altersvollpension (ohne Leistungszuschlag für wesentlich bergmännische Tätigkeit) bereits 102 Prozent der Bemessungsgrundlage erreicht und mit dem Leistungszuschlag für 30 Jahre wesentlich bergmännische Tätigkeit auf 112 Prozent ansteigt. Das sind Zahlen, die zu denken geben müssen. Wie wenig in konkreten Fällen die Beitragseinnahmen ausreichen, um die Erhöhung von Leistungen auch nur annähernd zu decken, möge die Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage illustrieren. Bei dieser Erhöhung von 2400 auf 3600 Schilling im Jahre 1956 haben sich die erhöhten Beitragseinnahmen bis zum 31. Dezember 1960 auf insgesamt 8580 Schilling belaufen. Die aus der Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage ab 1. Jänner 1961 gebührende Mehrpension von 1153,50 Schilling monatlich hat diese erhöhten Beitragseinnahmen bereits in 7,4 Monaten zur Gänze konsumiert. Di durchschnittliche Bezugsdauer de Altersrenten in der Pensionsvei Sicherungsanstalt der Angestellte schwankt aber zwischen zehn und elf Jahren. Im Interesse einer möglichst weitgehenden und raschen Anpassung der Pensionen an das vorangegangene Erwerbseinkommen kann das alles zur Not dann noch verantwortet werden, wenn die Pensionen über ein bestimmtes Ausmaß nicht hinausgehen oder gar zum Schluß noch höher werden als das vorangegangene Nettoarbeitseinkommen und wenn solche Pensionen nur an jene Pensionisten bezahlt werden, die sich wirklich

schließlich, von.ihrer Pension leoen .müssen.

i.r ab rraaarj — nsgnmriom Der „Rechtsanspruch“

Dr. Leitner verlangt aber doch ganz ernsthaft, daß derartige Pensionen, die auch bei einem niedrigeren Ausmaß zu einem erheblichen Teil aus allgemeinen Mitteln der Versicherungsgemeinschaft und des

Staates finanziert werden, auch bei Weiterbestehen eines ausreichenden Erwerbseinkommens unverkürzt und zusätzlich zu diesem Einkommen gewährt werden müssen. Er behauptet sogar, daß darauf ein rechtlicher und moralischer Anspruch bestehe. Ich muß ihm hier — wie eh und je — schärfstens widersprechen und kann es — aufrichtig gesagt — einfach nicht verstehen, wie man im Zusammenhang mit dieser Forderung von „Recht“ zu sprechen vermag.

Sozialpolitisch ungerecht

Jedenfalls hat der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit Paragraph 94 schon mit Erkenntnis vom 5. Dezember 1960, G-10 60, wie folgt entschieden: „Der Gesetzgeber bleibt durchaus im Rahmen des Kompetenzbestandes Sozialversicherung, wenn er gewisse Rentenbeträge, auf die ansonsten ein Anspruch besteht, wegen anderweitiger Einkünfte des Versicherten zum Ruhen bringt.“ Und wenn nun der Gesetzgeber — übrigens in sehr großzügiger Weise — beschlossen hat, für das Ruhen höchstens auf den Grundbetrag zu greifen unter der fiktiven Annahme, daß die Steigerungsbeträge durch die seinerzeit bezahlten Beiträge versicherungsmäßig gedeckt sind und dem Betroffenen daher auch bei Weiterbezug eines aktiven Einkommens nicht vorenthalten werden sollen, so ist das ein sehr weitgehendes Entgegenkommen gegenüber diesem Versichertenkreis, das man als solches anerkennen sollte. Und was die Aufhebung der Ruhensbestimmungen bei Zusammentreffen mehrerer Leistungen aus der Sozialversicherung nebeneinander oder solchen mit Pensionen aus einem öfient-

liehen Dienstverhältnis anbelangt, so halte ich sie nach wie vor sozialpolitisch für ungerecht und finanziell für bedenklich. Der Angestelltenversicherungsanstalt kostet diese Aufhebung im Jahr derzeit rund 50 Millionen Schilling, die für andere soziale Zwecke nützlicher hätten verwendet werden können. Das Resultat dieser Aufhebung kann im Einzelfall geradezu aufreizend wirken, wenn man weiß, daß hunderttausende Witwen von einer einzigen und oft sehr unzulänglichen Witwenrente leben müssen. Die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten hat festgestellt, daß die Aufhebung dieser Ruhensbestimmungen im Zusammenhang mit der Umrechnung der Altrenten nach den Bestimmungen der 8. Novelle zum ASVG Erhöhungen zwischen 50 und 198 Prozent gebracht hat.

Bezeichnend ist noch, daß Doktor Leitner die unberechtigte Kumulierung mehrerer Sozialleistungen nebeneinander oder neben einem Arbeitseinkommen, wozu er auch Funktionsgebühren zählt, bei Politikern absolut nicht gutheißt. Bei diesen möchte er sogar von seinem „Rechtsstandpunkt“ abgehen. Das ist doch keine Lösung. Die einzige politisch befriedigende Lösung besteht daher in Wahrheit darin, die an sich berechtigten Ruhensbestimmungen des ASVG für sämtliche aus einer Tätigkeit erfließenden Einkommen und Pensionen, die nebeneinander gebühren, in gleicher Weise zur Anwendung zu bringen. Da kann ich mitgehen, aber keinesfalls bei einer grundsätzlichen Abschaffung der Ruhensbestimmungen.

Die „Frührenten“ steigen

und nocn ein l zles Wort zu der

Vusf ffi'rttftgenvon TJr

lie „Feūhtente“,

et, daß zahl Ijaum iri 'Gu'trichi ällt und die finanzielle Mehr- elastung der Versicherungsträgei jering sein dürfte. Die Wahrhet lieht anders aus. Die Anzahl dei Anwärter auf „Frührenten“ ,isi itändig steigend. Während ihre Ge- amtanzahl bei der Pensionsver-

pr0Z W ,ftesmnUejahL Alt peosion i betrug, 'erreichte' sie in den' ersten neun Monaten dės Jahres 1963 bereits 37,4 Prozent. Das ist bei der Angestelltenversicherung nicht anders. Nach alldem, was man aus den Betrieben hört, wird die Mehrheit der „Frührentner“ aus Menschen bestehen, die aus irgendwelchen, menschlich sogar begreiflichen Gründen einfach nicht mehr arbeiten wollen, wenn sich ihnen die Möglichkeit bietet, schon fünf Jahre früher als normal in den Ruhestand treten zu können, mit einer Pension, die nach den derzeitigen Bestimmungen mindestens 75,25 Prozent des versicherten Einkommens ausmacht, die aber durch Firmenzuschüsse vielfach auf hundert und mehr Prozent aufgestockt oder durch „Pfusch“ ergänzt werden kann.

Während man gegen die Ruhensbestimmungen übertriebene volkswirtschaftliche Bedenken geltendgemacht hat, hat sich bisher noch niemand gefunden, der auf den „volkswirtschaftlichen Widersinn“ der Frührente aufmerksam gemacht hätte: Mangel an qualifizierten Arbeitskräften einerseits, ausreichende Pensionen für gesunde und arbeitsfähige Menschen anderseits; diese dürfen fünf Jahre früher als normal aus dem Wirtschaftsprozeß ausscheiden und müssen im Ruhestand verbleiben, weil sie sonst die Pension zur Gänze einbüßen. Dafür verlieren die Pensionsversicherungsträger für fünf Jahre Beiträge und müssen gleichzeitig fünf Jahre länger sehr erhebliche Pensionen zahlen, zu

denen die Allgemeinheit überdies namhafte Zuschüsse gewähren muß, weil die eigenen Beiträge zur finanziellen Deckung der Leistungen — man möchte schon fast sagen selbstverständlicherweise — auch nicht annähernd ausreichen. Das kann

Blick in die Zukunft

Ich darf wohl annehmen, daß ich den Lesern dieses Artikels — trotz räumlicher Beschränkung — überzeugende Beweise dafür geliefert habe, daß es tatsächlich einen „sozialpolitischen Luxus“ gibt, den wir uns besonders dann nicht leisten können, wenn wir eine finanziell gesicherte Pensionsdynamik in absehbarer Zeit verwirklichen wol-

len. Und das ist dringlicher als alles andere. Ohne sie wird es nie zu einer Befriedigung kommen. Wenn wir dieses Ziel erreichen und unseren Versicherten und Pensionisten überdies für die Zukunft das Gefühl der Sicherheit geben wollen, dann ist dies meiner Überzeugung nach nur möglich, wenn wir jeden überflüssigen Luxus abschaffen, indem wir die von mir kritisierten Leistungen auf ein Maß zurückführen, das finanziell tragbar ist und dennoch berechtigte sozialpolitische Bedürfnisse weitestgehend berücksichtigt. Wenn einzelne meiner Parteifreunde diese meine Vorstellungen tatsächlich als „absurd“ bezeichnet haben sollten, so muß'ich gestehen, daß mir das noch immer lieber ist, als wenn mir eines Tages eine übergroße Mehrheit von Versicherten und Pensionisten den berechtigten Vorwurf machen könnte, ich hätte als Präsident des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, der nach dem Gesetz darüber zu wachen hat, daß „die dauernde Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung ohne Überlastung der Volkswirtschaft“ erhalten bleibt, meine Pflicht gröblichst vernachlässigt und durch mein Schweigen „verantwortungslos“ gehandelt.

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