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Gibt es zu viele Bauern?

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Das Wirtschaftswachstum betrug von 1950 bis 1956 jährlich drei bis vier Prozent und soll bis zum Jahre 1970 50 Prozent mehr im Vergleich zu 1950 betragen. Dabei erhöhte sich die Produktivität der Landwirtschaft von 1950 bis 1960 auf 181 Prozent des Ausgangsjahres, die der übrigen Sektoren der Wirtschaft jedoch nur auf 150 Prozent. Wird das Wirtschaftswachstum der anderen Sektoren mit 100 bezeichnet, so betrug das der Landwirtschaft — in konstanten Preisen gemessen — 121, in jeweiligen Preisen gemessen jedoch nur 102; das heißt, die Landwirtschaft erzeugte zwar mehr und produktiver, erhielt aber dafür weniger.

Diese Disparität wird von Jahr zu Jahr größer. Die Landwirtschaft muß — der Weisheit letzter Schluß

— daher durch Strukturänderung — weniger Menschen erzeugen auf größerer Fläche — ihr Einkommen steigern. Die dabei freiwerdenden Arbeitskräfte finden — und es wird dort sehr selbstverständlich auf sie gewartet — in den expandierenden Wirtschaftszweigen Verwendung.

Der Weg ist vorgezeichnet: Auflassung der zu kleinen Höfe; Finanzierung ihrer Übernahme; Schaffung regional passender Arbeitsplätze; Berufsumschulung; Herausnahme der zu alten Jahrgänge. Nicht zur Debatte stehen anscheinend jedoch die Fragen, a) ob die Wirtschaft so weiterwachsen wird wie in den letzten 15 Jahren; b) ob der Konsum, der sogenannte Lebensstandard weiter ins Ungemessene gesteigert werden kann; c) nicht besprochen ist die Frage, wie weit die Betriebsaufstok-kung in der Landwirtschaft eigentlich gehen soll. Endet sie beim Großbetrieb, bei der Großfarm, bei der Kolchose (auf den Namen kommt es nun schon gar nicht mehr an)? Wenn nur noch wenige Großfarmen oder Kolchosen und im übrigen Städte das Land sich teilen: werden sie dann auch je Hektar und je Hektar nachhaltig — nicht nur heute, sondern auch in kommenden Jahren — genügend gesunde Nahrung erzeugen?

Schwindende Höfe

2,8 Prozent Arbeitskräfte müssen in Österreich aus der Landwirtschaft jährlich abwandern, soll der jetzige

— unbefriedigende — Zustand der Disparität nicht noch verschlechtert werden. 3,5 Prozent sind in den letzten Jahren jährlich abgewandert und 6,7 Prozent, also etwa doppelt soviel müßten es von i960 bis 1970 sein, soll die Disparität auf die Hälfte vermindert werden. Es sind meist nicht die Betriebsleiter, die abwandern; denn die Zahl der Betriebe ging in Österreich von 1951 bis 1960 nur um sieben Prozent zurück, während die landwirtschaftliche Erwerbsbevölkerung — etwa entsprechend dem vorhin Angeführten — um 30 Prozent abgenommen hat.

Allzu viele zu kleine Betriebe müssen bei uns „schinden“; aber auch arbeitsmäßig familiengerechte, zeitgemäß eigen — oder im Verband mechanisierte Höfe müssen — um einigermaßen auf ihre Rechnung zu kommen und ihre Rechnungen begleichen zu können, um die 83 Prozent Nahrungsdecke zu erzeugen, um das Land als Landschaft zu erhalten — nachhaltig höchste Quali-

tätserträge ebenfalls „erschinden“. Und trotzdem müssen es — siehe oben — jährlich um mindestens 6,7 Prozent Arbeitskräfte noch weniger sein, soll die Disparität auf die Hälfte reduziert werden. Da die Höfe schon jetzt weitgehend Familien-, Vater-Mutter-Sohn-Höfe sind, bedeutet das in Zukunft demgemäß auch Verschwinden von Höfen; sind es jetzt noch 15 Prozent, die in der Landwirtschaft arbeiten, so werden es dem Europamaß entsprechend — nur fünf Prozent sein dürfen, somit also werden noch zwei Drittel der Höfe liquidiert werden.

Und die Folgen

Wir erzeugen nur 83 Prozent unserer Nahrung, wobei die zur Erzeugung dieser 83 Prozent nötigen hohen Produktionsmittelimporte, insbesondere Futtermittel, beachtet werden müssen; und wir erzeugen diese 83 Prozent nur, weil ein sehr intelligenter, sehr tüchtiger bäuerlicher Landwirt und insbesondere eine sehr wissende, sehr entschlossene, überlegene, junge Bauerngeneration nachhaltig Qualitätshöchsterträge erwirtschaftet. Österreich ist Erholungs- und Reiseland. Es ist das aber nur, weil eine bäuerliche Landwirtschaft seit Jahrhunderten, ohne daß sie dessen im besonderen bewußt war oder daß es ihr anerkannt oder gar gedankt wurde, durch ein „bäuerliches“ Wirtschaften Land gestaltete.

Ein eigenes Kapitel in diesem Zusammenhang ist das Schicksal der Bergbauern. Es ist auch hier keine Frage: wer bleiben will, möge es. Nicht auf jeden aber, der verbleiben will, werden die zur Erhaltung der Wirtschaftskraft und der landschaftspflegerischen Aufgaben der Bergbauern nötigen Sicherungen zugeschnitten sein können und nicht sein dürfen. Was im Flachland für die Erhaltung eines Hofes das Maß gibt, haben wir zuvor angedeutet. Es sind weitestgehend wirtschaftlich zu rechtfertigende Gründe. Auch der Bergbauer kann wirtschaftlich einen Großteil seiner Existenz rechtfertigen.

Wem nur ökonomische Gesichtspunkte gelten, der wird mit diesem Zustand vollkommen zufrieden sein, insbesondere, wenn seine eigene Rechnung aufgeht, die es ihm nötig macht, daß sein eigener, billig erzeugter Weizen an den Mann gebracht, seine Industrie mit billigen Arbeitskräften versorgt wird. Wer aber nicht Objekt sein, sondern selbst leben und gestalten will; wer nicht nur Konsument und industrieeile Reservearmee sein will, der wird — wie seinerzeit der Arbeiter auf Grund seiner Leistung Existenz-ansprüche stellte und damit den Lauf der Geschichte in seine Richtung zwang — der wird als bäuerlicher Landwirt verlangen, daß seiner Erzeugungsleistung und seiner Leistung als Gestalter und Erhalter der Landschaft Gerechtigkeit zuteil wird.

Er wird sich nicht sagen lassen, es gebe zu viele Landwirte. Gewiß, sehr viele nicht zeitgemäße Landwirtschaft — die zu kleine, die zu entlegene, die geistig nicht aufgeschlossene — wird aufgeben müssen. Die

andere aber wird man in der Rangordnung der Werte zu verankern haben. Wenn Nahrung der Reise nach Mallorca vorgeht, dann wird auch der moderne bäuerliche Landwirt leben können. Er wird sich nicht sagen lassen, es gebe „zuviel Nahrung“, wenn 17 Prozent zu wenig erzeugt werden; nicht verwehren lassen, daß er exportiere, wenn ohnedies nur jedes dreißigste Rind und jeder zwanzigste Liter Milch ins Ausland wandern, wohl aber zwei Fünftel des Stickstoffes; nicht vorwerfen lassen die verbilligt exportierte Butter, wenn auch andere, etwa Stickstoff und Traktoren, mit Exportprämien hinauswandern oder Industrien durch die Antidumping-liste erreichen, daß Konkurrenz aus dem Ausland nicht eingeführt wird.

Er wird sich nicht soweit einschüchtern lassen, daß er, weil nur mehr 14 Prozent der Bevölkerung, sich nicht durchsetzen kann; denn die Ärzte oder die Friseure mit vielleicht 0,2 Prozent melden Ansprüche mit Erfolg an und machen selbstverständlich Gebrauch von der Preisdynamik. Steigende Produktions- oder Lebenshaltungskosten berechtigen alle anderen zur Anmeldung dynamischer Preise. Nur der bäuerliche Landwirt erzeugt Jahre hindurch zu gleichen Preisen.

Kein Kollektivvertrag

Der bäuerliche Landwirt wird sich überhaupt umsehen müssen, wem die anderen ihre Erfolge verdanken; insbesondere etwa der Arbeiter; noch vor wenigen Jahrzehnten war er der Prolet und das Stiefkind der Gesellschaft. Wer wußte damals, wie kostbar der Arbeiter in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts werden, wie sehr sich vor allem auf ihm der Wohlstand nach dem zweiten Weltkrieg aufbauen würde. Die Arbeiter ließen sich seinerzeit nicht verjagen; sie haben sich das „Gesundschrumpfen“ nicht einreden lassen, haben sich nicht sagen lassen: „Verschwinde“. Sie haben vor allem einmal die Idee ihrer Arbeit, ihrer Unersetzlichkeit gedacht („Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“); haben sich organisiert, sind — ob diese oder jene, Viktor Adler wie Leopold Kunschak — auf getrennten Wegen zum gleichen Ziel marschiert. Am Ende stand der Kollektivvertrag: garantierte Arbeit, garantierter Lohn, garantierte Arbeits- und Freizeit, garantierte soziale Sicherungen und zuletzt Lohn- und Rentendynamik.

Beim bäuerlichen Landwirt aber heißt es, zwei von dreien müssen verschwinden, „auswandern“, damit die Verbleibenden auf vergrößerter Arbeitsgrundlage (Fläche) — eine Zeitlang — wieder Anschluß an den Standard der anderen finden.

Der Kollektivvertrag des bäuerlichen Landwirtes ist das Landwirtschaftgesetz; jener Teil, der sich mit der Preisdynamik befaßt, bedarf aber noch des Ausbaues, soll das Wort wahr sein, daß der bäuerliche Familienbetrieb Leitbild und nicht Liquidierungsmasse, Reservearmee der Industrie ist; Bauer, Boden, Landschaft, einmal liquidiert (bedarf es der Beispiele in Vergangenheit und Gegenwart?) können nicht mehr restauriert werden.

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