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Was passiert, wenn die vermeintliche Lokomotive der neuen Weltwirtschaft nicht funktioniert? Chinas Boom könnte auf Überproduktion beruhen, sagen Experten.

Eine der treffendsten Weisheiten aus dem chinesischen Hausschatz der Ökonomie ist jene: „Dem Sparsamen fällt es leichter, sich ans Verschwenden zu gewöhnen, als dem Verschwender, sich ans Sparen zu gewöhnen.“ Betrachtet man die Weltwirtschaft in diesen Tagen, wird man verblüffende Übereinstimmungen zwischen jahrtausendealter konfuzianischer Einsicht und erlebter Realität feststellen.

China würde demnach die Rolle des Sparsamen geben, der – geht es nach der Einschätzung zahlreicher Experten, von denen noch die Rede sein wird – gerade dabei ist, seine Zukunft durch Überinvestition und Überproduktion aufs Spiel zu setzen. Den USA fiele dagegen die Rolle des Verschwenders zu, der gerade an seinem ungebremsten Konsumwahn zugrundegeht.

In Zahlen ausgedrückt, sprengte China im abgelaufenen Quartal alle Erwartungen bezüglich seines Wirtschaftswachstums mit 10,4 Prozent. Die USA hingegen schafften es trotz Billionenverschuldung nicht, ihr Wachstum über mehr als 2,2 Prozent zu heben.

Globaler Führungsanspruch

Ist China also tatsächlich dabei, die USA als erste Wirtschaftsmacht der Welt zu überholen – und damit auch gleich den US-Hegemonialanspruch zu brechen? Das bevölkerungsreichste Land der Erde (1,3 Milliarden Menschen) scheint tatsächlich wie eine störungsfrei arbeitende, Luxus schaffende, Fabriken und Straßen aus dem Boden stampfende Baustelle. Mit den Olympischen Sommerspielen 2008 und der diesjährigen Weltausstellung in Shanghai werden die Superlative für dieses Image abgeliefert. Dem beeindruckenden Ruf der neuen Lokomotive des Kapitalismus folgend eilen krisengeplagten Politiker aller Industrienationen in Scharen nach Peking, um dort einem demokratiefeindlichen Regime zu huldigen.

Allerdings mischt sich dieser Tage ein Wermutstropfen in die Darstellung vom wachsenden Giganten. Denn das jüngste chinesische Wachstum hängt nicht an einer vor Gesundheit strotzender Wirtschaft, sondern an einem 400-Milliarden-Euro-Hilfspaket, das die Regierung in Peking in Infrastruktur- und Arbeitsbeschaffungsprogramme pumpte. Der britische Economist, gab an, 90 Prozent des derzeitigen Wachstums seien allein auf die staatliche Krisen-Intervention zurückzuführen.

Die Vereinigung Europäischer Handelskammern „Eurochambers“ hat in diesem Zusammenhang eine für die Führung in Peking alarmierende Studie erstellt. Unter dem Titel „Überkapazität in China“ kommen die Autoren der Roland-Berger-Strategy-Consultant-Gruppe zu dem Schluss, Chinas Wirtschaftsboom könnte sich zur nationalen und globalen Bedrohung auswachsen.

Chinas Wachstumsblase

Grund dafür ist unter anderem, dass die öffentlichen Investitionen in Wirtschaftssegmente gepumpt werden, deren Produkte weder in China, noch weltweit ausreichend Absatz finden.

So wurden 2009 in China auf staatliche Initiative hin 220 Millionen Tonnen zu viel an Stahl produziert. Laut der US-Bank Morgan Stanley sind trotz massiver staatlicher Notprogramme nur 67 Prozent der chinesischen Aluminium-Produktion ausgelastet, ähnliche Werte gelten für die Zementindustrie (78 Prozent), die chemische Industrie (80 Prozent) und die Raffinerien (85 Prozent). Anstatt die Produktion entsprechend der Marktlage zu drosseln, entschieden die chinesischen Offiziellen für die Errichtung hunderter neuer Betriebe.

Das ist für die Studienautoren von „Eurochambers“ bedenklich, weil China große Probleme hat, die Überproduktion auf den Weltmärkten abzusetzen. Denn dort regiert längst der Rotstift: Im Bereich Stahl kam es allein im vergangenen Jahr zu einer Bedarfsschrumpfung von 36 Prozent, für 2010 wird ein Minus von 14 Prozent erwartet. Direkte Konsequenz: Die Europäische Kommission warnte vor einer „Überflutung der Absatzmärkte mit Billigprodukten“ aus China. Schon 2009 verhängte Brüssel Anti-Dumping-Zölle auf chinesischen Walzdraht, Schrauben und Aluminiumprodukte, die USA erhoben unter anderem Strafzölle auf Reifen und Stahlrohre.

Auch die ganz im Sinne keynesianischer Politik forcierte Errichtung von Autobahnen, Häfen, Bahnlinien und Flughäfen geht offensichtlich am tatsächlichen Bedarf des Landes vorbei. Chinas Autobahnen verbuchen im Vergleich zu Europa eine Nutzungsdichte von nur zwölf Prozent. Der Frachtumsatz der Häfen brach seit 2008 um 20 Prozent ein, das Passagieraufkommen auf Chinas Flughäfen entspricht nur 50 Prozent des OECD-Niveaus. All das lässt auf mittlere Sicht keine Rentabilität der Milliardenprojekte erwarten.

Deshalb fürchten die Experten von Eurochambers, dass es massive Kreditabschreibungen bei Chinas Banken geben könnte. Auch in der kommunistischen Staatsführung selbst macht sich deshalb schon Sorge breit. Wu Xiaoling, die Vizepräsidenten des Wirtschafts- und Finanzkomitees des nationalen Volkskongresses, sprach von der Gefahr einer „großen finanziellen Verschwendung“, an deren Ende eine Investitionsblase ähnlich der US-amerikanischen Immobilienblase stehen könnte. Zu diesem Bild tragen auch die niedrigen Zinsen bei, die zur Aufnahme der sattsam bekannten „leichten, schnellen“ Kredite führen.

Solche Mahnungen trugen zuletzt dazu bei, 20 Milliarden schon vergebener Investitionsaufträge zurückzuziehen. Den Provinzregierungen erteilte die Regierung eine Rüge, die Investitionen nicht „blind“ zu tätigen und tunlichst die mittel- und langfristigen Folgen zu beachten. Doch das meiste Geld ist bereits vergeben.

Die Deutsche Bank errechnete, dass das 103-Milliarden-Euro-Investment in den Ausbau ohnehin nicht ausgelasteter Bahnstrecken nur sechs Millionen Arbeitsplätze sichere. Ein funktionierendes Arbeitslosengeld für diese Zahl von Beschäftigten würde gerade einmal zehn Milliarden Euro kosten.

Hinkender Konsum

Hinter einem fragwürdigen Investitionsprogramm stehen noch gravierendere grundsätzliche Probleme der chinesischen Volkswirtschaft. Während das Nationalprodukt in den vergangenen Jahren um durchschnittlich zwölf Prozent wuchs, blieb das durchschnittliche Haushaltseinkommen mit neun Prozent deutlich zurück. Der Effekt: Während die Investitionen um 20 Prozent pro Jahr wuchsen, hinkte der Konsum mit Wachstumsraten um etwa zehn Prozent hinterher. Ähnlich ungleichgewichtig ist die hochgelobte chinesische Sparquote von 53 Prozent des BIP. Nur 15 Prozent entfallen auf die für den Konsum verantwortlichen Privathaushalte.

Fazit der Experten: In China steht ein künstliches Wachstum sinkenden Exporten und ein drastischer Produktionsanstieg einer sinkenden Nachfrage gegenüber. Wie lange das gutgeht? Auch hier wissen chinesische Weise Rat, wie man ihn aus Glückskeksen kennt: „Auch der schönste Traum endet mit dem Erwachen.“

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