Werbung
Werbung
Werbung

Das 15. Philosophicum Lech begab sich auf "Die Jagd nach dem Glück“. In Vorträgen und Diskussionen wurden am Arlberg "Perspektiven und Grenzen guten Lebens“ ausgelotet.

Das Glück boomt, heißt es. Zum Glück! Wenn sonst nichts boomt, dann boomt (wenigstens) das Glück - genauer: die Suche oder Sehnsucht nach Glück. Ob aber die Wutbürger glücklich sind? Vielleicht müssen wir sie uns (und sie sich selbst) einfach als glückliche Menschen vorstellen, wie Camus das für seinen Sisyphos postulierte.

Dass dieser glücklich gewesen sei, wollte übrigens Beate Rössler nicht gelten lassen. Die Ethik-Professorin von der Universität Amsterdam hält Autonomie für eine Bedingung des Glücklich-Seins, autonom aber sei Sisyphus in seinem Stein-Rollen gewiss nicht gewesen. Auch wenn man den tragischen Helden neurologisch manipuliert hätte, sodass er den Stein freudig und aus innerem Antrieb den Hang hinaufrollte, dürften wir ihn uns gerade nicht glücklich vorstellen. Freilich weiß Rössler, dass Autonomie nur "eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für das Glück und den Sinn unseres Lebens“ sein kann. Hier taucht nun ein Begriff auf, der in der Diskussion ums Glück wiederholt ins Spiel kam: Sinn. Nicht nur Wilhelm Schmid (siehe Seite 23) hält Sinn für wichtiger als Glück. Auch für Rössler ist der Sinn dem Glück vorgeordnet: "Glück und Sinn gehören zusammen: Ich kann nicht wirklich plausibel behaupten, ein glückliches aber gänzlich sinnloses Leben zu führen. Schon deshalb nicht, weil meistens genau die Dinge, die mein Leben glücklich machen, es auch als sinnvoll erscheinen lassen.“ Gleichwohl gibt es, anders als das der auf Hochglanz polierte Zeitgeist suggeriert, kein Recht auf Glück. Was es gibt, ist "ein Recht auf Autonomie und darauf, unser eigenes Glück und unseren eigenen Sinn auf unsere eigene Weise zu suchen“.

Die Jagd nach dem falschen Glück

Ohnedies ist das Glück eine ambivalente Sache - und der Symposiumstitel "Die Jagd nach dem Glück“ unterstrich das noch. Konrad Paul Liessmann, wissenschaftlicher Leiter des Philosophicums, explizierte das anhand eines kaum bekannten spätromantischen Gemäldes, das ebendiesen Titel trägt: "Die Jagd nach dem Glück“. Auf einer gefährlich schmalen Brücke hoch über dem Abgrund sprengt ein Reiter der verführerisch-flüchtigen Glücksgöttin Fortuna nach, dabei seine eigene Frau zu Tode trampelnd, während ihm der Knochenmann schon ihm Nacken sitzt. "Die Jagd nach dem Glück, nach Reichtum, Erfolg, Sexualität“ sei "immer schon die Jagd nach dem falschen Glück, nach dem Schein, dem Trug, der Illusion“, interpretierte Liessmann. Denn: "Fortuna lässt sich nicht erhaschen, und während der rasende Glücksjäger sich nach der Erfüllung verzehrt, hat er das wahre Glück (im Bild: die eigene Frau; Anm.) womöglich schon unter sich zertrampelt.“

Einen gänzlich anderen Blick auf Fortuna bot Peter Sloterdijk, der vom "Glück und Unglück im Zeitalter der permanenten Renaissance“ sprach. Von der Renaissance spannte er einen Bogen zum "zweiten Licht“ der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die ihrerseits erst im "letzten Drittel des 20. Jahrhunderts“ gewissermaßen zu sich gekommen sei. Denn es habe des "dritten Lichts“ einer "Abklärung“ bedurft, "dank welcher wir erkennen, was von ihren (der Aufklärung; Anm.) Plänen in haltbare Zivilisationsprojekte übernommen werden kann und was auch an ihr bloß Träume der Vernunft und ideologische Strohfeuer gewesen sind“. Wider kulturpessimistische Sichtweisen oder Narrative des Niedergangs plädierte Sloterdijk dafür "die Einheit der Neuzeit als den Lernzusammenhang der Globalisierung zu begreifen“: Darin reihe sich "nicht nur Pest an Pest“, "sondern auch Schiffsladung an Schiffsladung, Import an Import, Entdeckung an Entdeckung, Erfindung an Erfindung, Kunstwerk an Kunstwerk, Theorem an Theorem, Impfung an Impfung, Experiment an Experiment, Novelle an Novelle“. Die Neuzeit als "permanente Renaissance“ bringe die Gefahr der Ansteckung mit sich - aber eben nicht nur mit den todbringenden Erregern, den "Pesten“ aller Zeiten; sondern ebenso mit den "guten Erregern“: "den neuen Wissensformen, den Künsten“, den Erregern "des Könnenwollens, der künstlerischen Perfektion und des Strebens nach Erfolg und Eklat“. Das eine sei ohne das andere nicht zu haben, hält Sloterdijk den Antimodernisten aller Zeiten, ideologischer Schattierungen und Couleurs entgegen: "Der Ozean ist das erste Internet, der Schiffsbau ist seine Zeit in Gedanken gefasst.“

"Spielen mit dem, was mit uns spielt“

Ähnlich wie Rössler steht auch bei Sloterdijk das autonome Subjekt im Zentrum seiner Überlegungen. Ihm sei es darum zu tun, "etwas aus dem zu machen, was man mit uns gemacht hat … mit dem zu spielen, was mit uns spielt“. Als exemplarisch gilt Sloterdijk hiebei der florentinische Stadtherr Lorenzo de’ Medici († 1492), genannt "il Magnifico“ ("der Prächtige“). An ihn, den uomo universale in uns, appellierte Sloterdijk gewissermaßen abschließend: Er "wird zum Zeugen für die Möglichkeit von neuen Möglichkeiten. Er lässt uns ahnen, was Vollständigkeit des Lebens bedeutet“, er "setzt sich … für die Einrichtung eines Spielfelds ein, auf dem die Besten mit dem spielen können, was mit ihnen spielt“.

In dieser gewaltigen Architektur mag nicht jeder eine Antwort auf die Frage nach dem je eigenen, persönlichen Glück gefunden haben, nicht jeder wird den Lorenzo il Magnifico in sich schon entdeckt haben. In diesem Sinne bescheidener trug die Berliner Psychologin Sabine Meck an. Stark an Meister Eckhart († 1328) orientiert, sprach sie über "Achtsamkeit und Gelassenheit als Wege zu einem gelungenen Leben und (sic!) Sterben“. So entrückt einem manches an Sprache und Denkweise des mittelalterlichen Mystikers anmuten mag, so modern wirkt er doch auch in seiner Zuwendung zum "Ich“, zur Seele, zum Innersten des Menschen.

Freilich gibt es auch die, oft verzweifelten, Irrwege auf der Suche nach Glück - und weniger romantisch als in dem von Liessmann erwähnten Bild des Glücksritters. Von "Rausch, Sucht und Verbrechen“ wusste Reinhard Haller zu berichten, der nicht nur Gerichtspsychiater sondern auch Leiter des Vorarlberger Behandlungszentrums für Suchtkranke ist. Als Role Model für den Umgang mit Sucht diente ihm Orpheus. Dieser hat dem gefährlichen Gesang der Sirenen nicht wie Odysseus dadurch widerstanden, dass er sich anbinden ließ, sondern indem er "der Schönheit des verderblichen Gesangs etwas noch Schöneres und Mächtigeres“ entgegensetzte - "nämlich seine eigenen Lieder“. Spiel muss indes nicht Sucht bedeuten, kann auch lustvoller Umgang mit Zufall sein: Was der Mathematiker dazu sagen kann, erläuterte Rudolf Taschner spielerisch - um zum Schluss, kokettierend frei nach Wittgenstein, festzustellen, dass er vom Wesentlichen noch gar nicht gesprochen habe …

Subversive Transzendenz

Das Wesentliche könnte ja ganz einfach sein, womöglich so einfach, wie es bei Karlheinz Töchterle bei der Auftaktdiskussion (Impulsforum; siehe Seite 23) klang: Von der Moderatorin Ingrid Thurnher nach einem glücklichen Moment im Laufe des letzten Jahres befragt, nannte der Wissenschaftsminister das Turmblasen (Flügelhorn!) mit seiner Tochter nach der Christmette. Das war nun unerhört - Thurnher verschlug es kurz die Sprache, als hätte sich Töchterle gerade als Verfechter obszöner Praktiken geoutet. Aber vielleicht ist es ja tatsächlich so, wie Rüdiger Safranski in seiner Laudatio auf Norbert Bolz (siehe Seite 22) formulierte: "Transzendenz ist der einzige subversive Begriff“.

16. Philosophicum Lech 2012

Tiere. Der Mensch und seine Natur

19. bis 23. September

www.philosophicum.com

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung