Flugzeug - © Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Goldesel im Steuerdschungel

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Mit Hilfe von US-Investoren könnte das Budgetloch der Kommunen gestopft werden. Doch die Vertragskonstruktionen sind umstritten.<br /> &nbsp;

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Mit Hilfe von US-Investoren könnte das Budgetloch der Kommunen gestopft werden. Doch die Vertragskonstruktionen sind umstritten.<br /> &nbsp;

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Was bei einigen großen Unternehmen längst zur Aufbesserung der Finanzen eingesetzt wird, wollen nun auch heimische Kommunen für sich nutzen. Daher hat jetzt der Wiener Gemeinderat nach hitzigen Debatten einem brisanten Deal zugestimmt: Alle Kanal- und Abwasser-Entsorgungsanlagen im 21. und 22. Bezirk werden an eine Tochter der US-Versicherung Hancock verleast und von dieser anschließend gemietet. Die Stadt bekommt dafür 30 Millionen Euro. FPÖ und Grüne sprechen von einem "juristischen Lotteriespiel", die SPÖ dagegen freut sich angesichts der Budgetnöte über den Geldsegen durch dieses "Cross Border Leasing". Dabei bedient man sich eines Sonderparagrafen im US-Steuerrecht, der es amerikanischen Firmen ermöglicht, Auslandsinvestitionen steuerlich abzusetzen (siehe Kasten).

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Auch die Stadt Salzburg ist auf den Geschmack gekommen und wollte das städtische Kanalnetz an US-Investoren abtreten. Kritiker aus den Reihen der Grünen hatten jedoch von Anfang an wegen der Werterhaltungsklausel vor dem Vertrag gewarnt: Die Stadt Salzburg hätte den Wert des Kanalnetzes während der gesamten Vertragsdauer erhalten müssen, unabhängig davon, ob in den kommenden Jahrzehnten das Kanalnetz in seiner derzeitigen Größe noch gebraucht wird. Auch die Freiheitlichen und eine Bürgerliste liefen dagegen Sturm, zuletzt zog auch noch die ÖVP ihre Zustimmung zurück. Bürgermeister Hans Schaden (SPÖ) stoppte am Montag mangels Mehrheit im Gemeinderat das Verfahren. Eine "seltsame Koalition aus Kommunisten und der Landes-ÖVP" habe das Projekt, das der Stadt Salzburg zehn Millionen Euro gebracht hätte, zu Fall gebracht, beklagt Schaden.

"Komplett verleast"

In anderen Ländern gehören solch exotisch anmutende LeasingGeschäfte zum Alltag. "Die Niederlande sind fast komplett verleast. Fast jeder Damm gehört dort einem Investor", behauptet Reinhard Platzer, Chef der auf Gemeindefinanzierungen spezialisierten Kommunalkredit. Auch in Deutschland wurden bereits 200 Aufträge abgewickelt. Österreich befindet sich mit bis zu zehn Neuverträgen pro Jahr erst am Anfang. Bislang machten vor allem Industriekonzerne wie ÖBB, Verbund, alle großen Energieversorger, Austrian Airlines, Telekom Austria und die Post davon Gebrauch. Die Tiroler Tiwag hat im Vorjahr das Kraftwerk Sellrain-Silz verpachtet. Die Austrian Airlines verleasen ihre Flugzeuge gleich nach dem Kauf. Die ÖBB setzt zur Aufbesserung ihrer Bilanz schon seit den neunziger Jahren auf solche Geschäfte. Schätzungsweise wurden in Österreich bislang 30 bis 40 Deals mit einem Gesamtvolumen von 15 Milliarden Euro abgeschlossen. Mit Ausnahme der Stadt Wien hielt sich der öffentliche Sektor bei der Ausnutzung der Steuerprivilegien zurück. Vielen Kommunen sitzt noch der vor drei Jahren geplatzte "Landhaus-Deal" im Nacken: Damals wollte das Land Niederösterreich sein neu errichtetes Landhaus-Viertel an US-Investoren abtreten. Man war sich fast handelseins, als die Freiheitlichen davon Wind bekamen und eine Kampagne gegen den "Ausverkauf der Heimat" anzettelten.

Fakt

Cross-Border-leasing

Güter und Objekte, die eine lange Bestandsdauer haben und mindestens 150 Millionen Euro wert sind, werden im Rahmen eines "lease and lease back" - zu deutsch verleihen und zurückleihen - von einem österreichischen Träger an eine Bank oder Versicherung in den USA geleast. Danach vermietet die amerikanische Gesellschaft dasselbe Wirtschaftsgut an den österreichischen Vertragspartner zurück. Der amerikanische Investor kommt auf Grund des amerikanischen Steuerrechts in den Genuss von Steuervorteilen. Einen Teil davon gibt er an den österreichischen Träger weiter. Auch wenn es paradox klingt: Der Leasing-Gegenstand hat zwei alleinige Eigentümer. Der österreichische Vertragspartner bleibt als Besitzer des betreffenden Objekts im österreichischen Grundbuch eingetragen. Laut amerikanischem Steuerrecht ist jedoch der US-Investor Eigentümer.

Trotzdem ist das Thema für die meisten Kommunen angesichts der leeren Haushaltskassen nicht endgültig vom Tisch. Immer mehr wollen das städtische Inventar zu Geld machen. Heizwerke, Müllverbrennungsanlagen, Kläranlagen, Messehallen, Schienennetze, Straßenbahnwagen, Fußballstadien, Flughäfen sowie ganze Trinkwasser- und Kanalsysteme bieten sich zur Verwertung an. In Berlin wird sogar geprüft, ob die Staatsoper "Unter den Linden" verwertbar ist. Für Helmut Mödlhammer, Präsident des österreichischen Gemeindebundes, zeichnet sich bei den Kommunen "ein klarer Trend zum Cross-Border-Leasing ab".

Doch der Widerstand gegen solche Finanzkonstruktionen wächst. In der Steiermark verfasste die Arbeiterkammer "aus Gründen der internationalen Solidarität mit den Steuerzahlern in den USA" eine Protestresolution. Für Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber kommen solche Finanzierungsformen in seinem Bundesland "weder im Kommunal- noch im Energiebereich" in Frage. In Bayern überlegt die Regierung sogar, ihren Städten und Gemeinden Cross-Border-Leasing per Dekret zu untersagen.

Die Gegner setzen ihre Kritik vor allem an der langen Vertragsdauer an. Um die Steuervorteile in den USA zu lukrieren, muss der Vertrag 100 Jahre gültig sein - mit einer Kündigungsmöglichkeit nach frühestens 25 Jahren. Während dieser Zeit sind die Gemeinden verpflichtet, den Wert der übertragenen Einrichtungen konstant zu halten und regelmäßig Erhaltungsinvestitionen zu leisten. Erweist sich eine Messehalle im Jahr 2015 als überdimensioniert, kann sie nicht einfach verkleinert oder abgerissen werden. "Alle Änderungen, die in den nächsten Jahren durchgeführt werden, müssen im Leasingvertrag schriftlich festgehalten werden. Doch niemand kann heute sagen, wie die Situation in 20 Jahren aussehen wird", unken Kritiker. Führen die Kommunen vertraglich nicht vereinbarte Korrekturen durch, drohen ihnen Schadenersatzforderungen aus den USA. Zudem muss der amerikanische Investor die geleasten Objekte laut Anordnung der Steuerbehörde laufend überprüfen.

Komplizierte Verträge

Allerdings räumen selbst Kritiker ein, dass es bislang noch zu keinen größeren Konflikten gekommen ist. Probleme gab es nur in den Niederlanden, weil Kläranlagen nach Überschwemmungen nicht in ihrer früheren Größe errichtet wurden. Manche Städte in Deutschland, wie etwa Aachen, mussten schon hohe Bußgelder zahlen, weil sie kurz vor der Vertragsunterzeichnung die Verhandlungen mit den US-Investoren abgebrochen haben.

Die hoch komplizierten, im Business-English verfassten Leasingverträge sind bis zu 2.000 Seiten lang. "Kein Gemeinderat liest sich die Abmachung im Originalwortlaut durch, sondern alle vertrauen auf die Banken und Rechtsanwälte, die den Deal aushandeln", warnen Kritiker.

Fraglich ist außerdem, wie lange diese US-Steuerschlupflöcher noch gültig sind. Denn solche Leasing-Deals sind erst seit den frühen neunziger Jahren möglich und sollten ursprünglich die Auslandsinvestitionen ankurbeln. Doch die oberste Steuerbehörde in Washington hat schon im Jahr 1999 derartige Transaktionen als "Scheingeschäfte" tituliert, da sie nur aus zirkulären Geldflüssen bestehen würden. Die Regierung von US-Präsident George W. Bush will aber von einem Verbot nichts wissen, um den Finanzplatz USA nicht zu schwächen. Fraglich ist allerdings, was in der Nach-Bush-Ära geschieht. Zwar beharren die US-Banken darauf, dass keine Regierung rückwirkend Verträge auflösen kann. Manche Anwälte meinen aber, dass unter Umständen die Steuervorteile zurückgezahlt werden müssen. Ein langer Rechtsstreit wäre die Folge.

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