"Grausames Spiel auf Zeit"

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Seit sieben Jahren ist eine Oberösterreicherin nach einem Unfall invalid. Seit sieben Jahren kämpft sie mit zwei Versicherungen um die Auszahlung der Versicherungssumme.

Doppelt hält besser", sagt das Sprichwort. Das dachte sich auch die frühere Gastronomin Inge Leonhartsberger aus Oberösterreich und schloss Unfallversicherungen bei zwei verschiedenen Versicherungsgesellschaften (Nordstern, heutige Axa-Versicherung und Anker) ab. Auch für den Fall der Invalidität hatte sich die alleinerziehende Mutter mit einer Versicherungssumme von zusammen mehr als zwei Millionen Schilling versichern lassen. Mittlerweile ist die Invalidität eingetreten. Doch die Versicherungen wollen nicht zahlen, zumindest nicht die vereinbarte Versicherungssumme.

Bei einem Spaziergang im Dezember 1997 stürzte die damals 48-Jährige. Die Folge: ein Oberschenkelhalsbruch. Die operative Behandlung im AKH Linz verlief nicht optimal, das rechte Bein ist lahm geblieben. Aber nicht nur ihr Bein ist in weiten Bereichen taub, in der Hüfte und im Kreuz hat sie oft unerträgliche Schmerzen. Beim Gehen weiß sie nie, ob das Bein nicht plötzlich nachgibt. Deshalb kann sie sich nur mehr mit Krücken fortbewegen. Dazu kommen Hörschwierigkeiten und andauernde Kopfschmerzen. Frau Leonhartsberger bezeichnet sich selbst als "berufsunfähigen Krüppel" und sagt: "Es ist entsetzlich was mit einem gemacht wird, wenn man behindert ist."

Wieviel Prozent Invalidität?

Den Unfall hat sie sofort gemeldet, doch Geld hat sie bis heute praktisch keines gesehen. Warum das? Der erste Vertrag sieht eine Leistung erst bei einem Invaliditätsgrad von 50 oder mehr Prozent vor, dann aber die volle Summe von einer Million Schilling. Im zweiten Vertrag sind Leistungen zwar in jedem Schadensfall vorgesehen, eine größere Summe aber erst ab einer Behinderung von über 40 Prozent.

"Die Schädigungen am Gehör und die unfallchirurgischen Schäden sind zwar unstrittig, aber die neurologischen Schäden werden nicht anerkannt", sagt Leonhartsberger. "Es wird behauptet, dass dies alle möglichen Ursachen haben könne. Es wurde mir gesagt, es könnte ja auch von einem Gehirntumor her stammen", klagt sie über "Demütigungen seitens der Axa-Versicherung".

Es liegt im wirtschaftlichen Interesse beider Versicherungen, den Invaliditätsgrad der Versicherten möglichst niedrig zu halten. "Genau das scheint die Vorgehensweise zu sein. Beide Versicherungen gingen, jedenfalls bis zum März 2001, von deutlich unter 40 Prozent Behinderung aus. Mehrere Gutachter wurden bestellt, aber kein Gutachten fand bis jetzt die Anerkennung aller Betroffenen", sagt Peter Römer von charta 97, einem Verein zur Wahrung der Menschenrechte.

Für Römer ist es ein "grausames Spiel", das Frau Leonhartsberger erdulden muss und kein Einzelfall. "Was ihr passiert, kann grundsätzlich jeden Versicherungsnehmer treffen. Der Gesetzgeber wäre gefordert, per Gesetz die Position der Versicherten zu stärken und gerechter zu gestalten", sagt Römer. Die derzeitige Situation bewirke ein "schwer erträgliches" Ungleichgewicht: Zahlt eine Versicherung nicht, muss der Versicherungsnehmer klagen. Beweislast und Prozessrisiko treffen damit ihn.

Die Kosten eines Anwalts sind im Falle der Mittellosigkeit nicht aufbringbar. Ebenso müssen Sachverständige hinzugezogen und Gutachten erstellt werden. Diese Gutachten entscheiden letztendlich die Prozesse. Versicherungen gelten als "potente Auftraggeber" für Gutachter, sie haben naturgemäß ständig und viele Aufträge an Gutachter zu vergeben. Ein Unfallopfer braucht in seinem Leben meistens nur einmal einen solchen Sachverständigen. "Dass jeder Gutachter immer diese wirtschaftliche Gegebenheit völlig außer Acht lässt, entspricht nicht der praktischen Lebensführung", sagt Römer. Also heißt es: "Wes Brot ich ess', dess' Lied ich sing"?

Verzögerungstaktik?

Die wirtschaftlichen Interessen einer Versicherung lassen nicht nur eine Ablehnung, sondern manchmal eine Verzögerung zweckmäßig erscheinen. Nicht wenige Fälle enden mit dem Tod des Klägers. Der Fall von Ingo Rezman, der in den 70er-Jahren von einem Salzburger Arzt mit einem Hepatitis C-Virus infiziert wurde, ist bekannt. Der Mann musste seinen Beruf aufgeben und eine Lebertransplantation über sich ergehen lassen. Der Arzt wurde rechtskräftig verurteilt, Vergleichsgespräche sollten die Höhe des Schadenersatzes festlegen. Doch der Arzt versucht mit einer Gegenklage die Auszahlung hinauszuzögern. Sie hat keine große Chance auf Erfolg, ist aber für das Opfer eine zusätzliche Belastung. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich von Monat zu Monat.

Inge Leonhartsberger stöhnt unter der von ihr vermuteten Verzögerungstaktik. "Eine Ärztekommission sollte sich mit meinem Fall befassen und endgültig den Grad meiner Behinderung festlegen. Doch die Kommission kommt und kommt nicht zustande, weil die Versicherung den von mir vorgeschlagenen Arzt nicht akzeptiert". Bereits zwei angesehene Ärzte seien abgelehnt worden. "Solange die Ärztekommission nicht getagt hat, ist eine Klage aussichtslos", sagt Leonhartsberger.

Die Frühpensionistin erhält die Mindestrente und kommt nur mit der Ausgleichszulage auf das Existenzminimum. Dass sie zu hundert Prozent berufsunfähig ist, wurde ihr nach eingehender Prüfung bestätigt. Deshalb bekam sie mit 48 Jahren ihre Berufsunfähigkeitspension. Damit lässt sich schwer ein Anwalt finanzieren. Die Anker-Versicherung hat ihr außergerichtlich 180.000 Schilling angeboten. Diesem Angebot liegt die "Schätzung" zu Grunde, dass die Versicherte zu 30 Prozent invalid sei.

"Die momentane Rechtslage reicht nicht aus, um eine Chancengleichheit von Versicherern und Versicherten zu gewährleisten. Dabei bewegen sich Versicherungen nicht nur voll auf dem Boden des Gesetzes, vielmehr sind sie es auch ihren Eigentümern schuldig, nur zu zahlen wenn es zwingend notwendig ist. Die Versicherungsmanager werden an ihrem wirtschaftlichen Erfolg gemessen und sind den Eigentümern, also den Aktionären, verpflichtet.

Menschlichkeit ist aber kein Grundprinzip wirtschaftlichen Handelns", sagt Römer.

Die Zukunftsaussichten für Leonhartsberger sind düster. Sie muss mit einer Verschlechterung ihrer Beschwerden rechnen. das besagt die für sie ungünstige medizinische Prognose. Sie sieht sich auch sonst als Gefangene in einem Teufelskreis: "Ich habe mich gegen Mittellosigkeit versichert, die durch meinen Unfall auch eingetreten ist. Aber die Versicherung zahlt nicht. Und mittellos den Rechtsweg zu bestreiten dauert lange und ist wenig aussichtsreich", klagt sie.

Von Seiten der Anker-Versicherung wird auf die von der Ärztekammer eingesetzte Schiedskommission verwiesen. Jeweils ein Gutachten von Anker und von Frau Leonhartsberger und ein drittes, von einem unabhängigen Arzt, sollen der Kommission vorgelegt werden. Aber das könnte noch dauern, solange der Gutachter der invaliden Frau nicht anerkannt wird. "Der Termin für die Ärztekommission steht noch nicht fest", sagt Birgit Huber von Anker auf Anfrage der furche. Und bei der Axa-Versicherung gibt es überhaupt keine Auskunft zum Fall der Frau Inge Leonhartsberger aus Oberösterreich.

Der Autor ist freier Publizist.

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