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Größtes Vertrauen in Österreicher

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Keine Fleißaufgabe für Europa ist Österreichs Aufgabe, das Budget zu sanieren. Franz Fischler über Brüssels Einschätzung unserer Regierungskrise.

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Keine Fleißaufgabe für Europa ist Österreichs Aufgabe, das Budget zu sanieren. Franz Fischler über Brüssels Einschätzung unserer Regierungskrise.

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DIEFurche: Wie wird die Budget- und Regierungskrise in Österreich in Brüssel bewertet?

Franz Fischler: Bei uns ist es so, daß einmal klar ist, daß es Begierungskrisen und Neuwahlen bei 15 Mitgliedern immer wieder gibt. Das führt zu keiner Weltuntergangsstimmung, wie jetzt manchmal in Österreich der Eindruck ist. Auf der anderen Seite macht man sich natürlich Sorgen bei so einer Krise, weil wir ja allergrößtes Interesse daran haben - auch im Sinne der Weiterentwicklung Europas -, daß in den Mitgliedsstaaten die Dinge vorangehen und vor allem die großen Ziele erreicht werden, die diese sich selbst gesetzt haben.

DIEFURCHE: Es geht natürlich darum, daß Osterreich bei der Wirtschaftsund Währungsunion mitmachen kann. Ist Brüssel jetzt skeptisch? FISCHLER: In Brüssel geht jeder davon aus, daß Österreich dabei sein wird. Umso größer wäre die Enttäuschung, wenn wir in Österreich das selber gewissermaßen verwirken würden, dadurch, daß man die Bedingungen, die notwendig sind, nicht rechtzeitig schafft. Ich glaube aber auch, daß es im Interesse eines jeden Bürgers von Österreich gelegen sein muß, daß unsere Staatsfinanzen in Ordnung kommen. Das ist ja nicht nur eine Fleißaufgabe für Europa, sondern eine Sache, wo es um die Zukunft der Arbeitsplätze, um den harten Schilling, um unsere Kreditwürdigkeit geht.

DIEFURCHE: War das notwendig, was jetzt in Osterreich passierte? FRANZ FlSCHLER: Das kann und will ich nicht beurteilen. Es kommt bei zwei Partnern immer darauf an, ob beide können. Wenn jemand glaubt, in Neuwahlen gehen zu können und eine strukturelle Reform des Budgets nicht mehr anzugehen, dann täuscht er sich. Das müssen machen, wer immer in Österreich regiert. Das zweite ist die Frage, die sich viele auch stellen, wieso es nicht möglich ist, das durch eine breite Zusammenarbeit auf politischer Ebene zu lösen. Was hat dann diese große Koalition für einen Sinn, wenn das nicht funktioniert? Man sollte nicht immer daran ablesen, daß die ÖVP oder wer sonst immer dem Jörg Haider eine Bühne bauen will. Ich bin der Meinung, das ist eine getrennt zu sehende Frage und eine Verantwortung, die ÖVP und SPÖ trifft. Wenn sie jetzt wie Hähne aufeinander los- und sich in Schuld-, Zuweisungen ergehen, dann wird logischerweise Haider der lachende Dritte sein. Wenn man ernsthaft, wie ich es immer wieder in den Zeitungen lese, verhindern will, daß es eine Dritte Republik in Österreich gibt, dann muß man sich in dem Punkt einig sein. Dann kann man ja auch eine Wahlauseinandersetzung mit dem Ziel führen, daß es um den richtigen wirtschaftspolitischen Weg Österreichs in die Zukunft geht.

DIEFURCHE: Gibt es da wirklich einen . Richtungsstreit zwischen - oberflächlich gesprochen ~ sozialem und wirtschaftlichem Denken?

FlSCHLER: Ich glaube, daß wirtschaftliches Denken ohne soziales Denken nicht auskommt. In Wirklichkeit brauchen wir beides. Das Problem der Budgetbewältigung ist, daß man sich anschauen muß, bei welchen Ausgabenpositionen quasi ein Motor eingebaut ist, der dazu führt, daß diese jedes Jahr enorm wachsen. Was wir brauchen, ist nicht ein Zurückschrauben. Das entscheidende Problem ist, daß man diese Wachstumsmotoren, die teilweise eingebaut sind, zum Stoppen bringt. Das verstehe ich unter einer strukturellen Budgetreform. Es geht daher nicht darum, den Eindruck zu erwecken, daß wir vor lauter Sparen in Zukunft am Bettelstab daherkommen, es geht darum zu erkennen, wo man sich eine Zunahme gewisser Dinge in Zukunft nicht mehr leisten kann.

DIEFURCHE: Das sind die Pensionen? FlSCHLER: Es geht nicht so sehr um die Pensionen, ich gönne jedem Pensionisten seine Pension. Man muß sich aber von der Illusion befreien, daß es keine Folgen hat, daß wir zur Zeit die jüngsten Pensionisten in ganz Europa haben. Wenn einer wirklich betroffen und arbeitsunfähig ist, soll er in Pension gehen können und auch eine ordentliche Pension kriegen, das ist überhaupt keine Frage. Aber es kann nicht sinnhaft sein zuzuschauen, wie Leute mit 55 ohne Grund in Pension gehen und 14 Tage danach bei einer anderen Firma wieder zu abeiten anfangen und neben der Pension ein zweites Einkommen haben. Das können wir uns nicht mehr leisten.

DIEFURCHE: Es geht hier um eine gewisse Treffsicherheit FlSCHLER: Genau das!

DIEFURCHE: Aber das ist offenbar nicht klar transportiert worden FlSCHLER: Diese Kritik teile ich mit Ihnen. Da haben Sie völlig recht.

DIEFURCHE: Andererseits ist es Praxis, daß Arbeitnehmer in Frühpension geschickt werden beziehungsweise ab 50 keinen Arbeitsplatz mehr finden. Gerade der OAAB hat diesbezüglich Aktionen gestartet Gilt das jetzt nicht mehr?

FlSCHLER: Es ist sehr gefährlich, wenn man Konsequenzen daraus in der Weise zieht, daß man eine staatliche Garantie für jene abgibt, die mit 50 oder später aus dem Arbeitsprozeß aussteigen, daß also der Staat die Verantwortung dafür übernimmt. Das ist ja eine Einladung an die Wirtschaft, Leute herausfallen zu lassen. Das ist eine Medaille mit zwei Seiten. Über die sozialen negativen Folgen, die durch eine solche Entwicklung entstehen können und wie man sie in den Griff bekommt, muß man sich sehr genau unterhalten.

DIEFURCHE: Neuwahlen schaffen Platz für gefährliche Dritte. ImFrühjahr haben Sie in einem FURCHE-Gespräch davor gewarnt, daß Haider in der Regierung Österreichs Reputation sehr schaden könnte (FURCHE 16/1995). Fl SCHUIR: Das ist richtig und dazu stehe ich auch. Aber auch diese Frage richtet sich an beide Koalitionspartner. Wenn ich die Gefahr sehe und auf der anderen Seite die Notwendigkeit einer strukturellen Budgetsanierung, dann kann ich nicht gleichzeitig sagen, aber Bewegung habe ich keine. Ich kann nicht dort sitzen und warten, was passiert. Man muß von beiden Seiten Bewegung zeigen. Ich bin auch nur Zeitungsleser - und was ich da mitbekommen habe ist, daß von Seiten der SPÖ eigentlich wenig Bewegung war. Da habe ich nicht den Eindruck, daß es um Budgetsanierung ging, sondern daß man nur mehr schaut, wo das empfindlichste Hühnerauge beim anderen ist und da draufspringt, wenn man sich nur die neuen Vorschläge anschaut, die für die Landwirtschaft präsentiert wurden. Ich hatte den Eindruck, daß keiner mehr weiterverhandeln wollte, aber gleichzeitig niemand an dieser Tatsache schuld sein will.

DIEFURCHE: Ist es nicht schlimm, daß man Neuwahlen ausschreibt, gleichzeitig aber weiß, daß man nachher doch wieder zusammenarbeiten muß. Was bezwecken solche Wahlen? FlSCHLER: Das frage ich mich tatsächlich. Das muß man auch beide Seiten fragen. Man sollte nicht einseitig Schuldzuweisungen machen. Das ist wie bei einer Ehe. Es ist sehr, sehr selten, daß einer allein die Schuld hat, wenn man auseinandergeht.

DIEFURCHE: Glauben Sie, daß Wolfgang Schüssel gestärkt aus den Neuwahlen hervorgehen kann? FlSCHLER: Ich kann das nur gefühlsmäßig beantworten. Es wird darauf ankommen, ob sich die Bürger eine Schlammschlacht, einen Schuldzu-weisungswahlkampf aufoktroyieren lassen. In der Bevölkerung wächst immer stärker die Überzeugung, daß wir stabile Verhältnisse in Österreich brauchen, wir uns nicht auf Dritte Bepublik und ähnliche Experimente einlassen können. Mein größtes Vertrauen zur Zeit gilt eigentlich der Bevölkerung. Die Leute sind viel vernünftiger als die, die dafür Verantwortung tragen.

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