6667580-1960_43_06.jpg
Digital In Arbeit

Grünes Steckenpferd?

Werbung
Werbung
Werbung

Die österreichische Agrarpolitik bemüht sich vorwiegend um die Lösung dreier Probleme, um

• die konsumnahe Produktion eines Großteils der lebenswichtigen Nahrungsmittel und Rohstoffe,

• eine Produktionstechnik, die eine preiswerte und rationelle agrarische Erzeugung ermöglicht,

• die Erhaltung und Festigung des bäuerlichen Berufsstandes und seinen Anschluß an das soziale Niveau der Gesamtgesellschaft.

Das erste Problem ist bereits weitgehend gelöst. Die österreichische Landwirtschaft versorgt sich mit zahlreichen Lebensmitteln zu 100 Prozent aus eigener Scholle und muß darüber hinaus noch exportieren. Einzelne Produkte, insbesondere auf dem Brot- und Futtergetreidesektor, sowie Geflügel und Eier erlauben noch eine beschränkte Produktionsausweitung für den Inlandsabsatz.

Die preiswerte Produktion ist hinsichtlich des Preisniveaus der Lösung näher, als allgemein angenommen wird. Trotz zum Teil weit über dem Weltmarktpreis liegenden Produktionsmittelkosten liegen die Preise zahlreicher Agrarprodukte am Weltmarktpreis oder darunter. Das ist nur durch die niedrigen Arbeitskosten in der österreichischen Landwirtschaft möglich. Das bedeutet mit anderen Worten, daß die in Österreich überwiegende bäuerliche Familienarbeitskraft einen Lohn erhält, der unter dem normalen Niveau, insbesondere dem Niveau wirtschaftlich entwickelter Länder, liegt. Damit macht die österreichische Landwirtschaft dem Konsumenten gegenüber ihre technische Unzulänglichkeit wett. In der Beseitigung der technischen Mängel liegt aber auch eine echte Einkommenschance für den österreichischen Bauern, weniger allerdings die Basis für eine Lebensmittelpreisreduktion, da der Lebensmittelpreis, wie schon erwähnt, an oder unter einem echten Weltmarktpreisniveau liegt. *

Das vor wenigen Wochen beschlossene Landwirtschaftsgesetz hätte die Aufgabe, zwei mit diesem Problem zusammenhängende Fragen zu lösen, einmal die Frage stabiler Agrarpreise (Marktordnungsgesetzbestimmungen) und dann das Problem der technischen Entwicklung („Grüner Plan“). Hand in Hand mit dem technischen will man auch das soziale Problem der Landwirtschaft lösen. Damit kommt man nun allerdings schon weit über den rein agrarischen Bereich hinaus.

Es ist eine bittere Tatsache, daß viele ländliche Gebiete in Österreich nicht allein unter einer agrarischen, sondern einer allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Unterentwicklung leiden. Als Maßstab für diesen Zustand kann man, regional gesehen, den Anteil der landwirtschaftlichen an der Gesamtbevölkerung nehmen. Dabei geht man von der Voraussetzung aus, daß diese Gebiete bereits so dicht besiedelt sind, daß nicht alle zur Verfügung stehenden Kräfte in einer rationellen Agrarproduktion eingesetzt werden können. Sie arbeiten nur in der Landwirtschaft, weil die berufliche Differenzierung wie in entwickelten Gebieten noch nicht erfolgt ist. Wenn diese einmal einsetzt, wird auch hier nur ein Teil der landwirtschaftlichen, der größere Teil der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung zugehörig.

Bis heute hat sich nur die Landwirtschaft um dieses bestimmt aktuelle Problem gekümmert. Das immer wieder von bäuerlichen Vertretern vorgebrachte Anliegen sowie der Hinweis auf die sozialökonomischen Unzulänglichkeiten solcher unterentwickelter ländlicher Gebiete brachte die Bauernschaft in den Verruf des ewig unzufriedenen Berufsstandes. Dabei hätte es der Bauer, nun einmal als Berufsstand im Sinne unserer modernen beruflichen Differenzierung gesehen, gar nicht notwendig, sich für diese Frage mehr zu exponieren, als etwa der Schlosser, der Installateur oder der kaufmännische Angestellte. Denn aus dem derzeitigen Landarbeiterstand unterentwickelter Gebiete gehen ja die zukünftigen Schlosser, Installateure oder kaufmännischen Angestellten hervor. Diese könnten sich also ebensogut wie der moderne Bauer kollegial verpflichtet fühlen.

Solange sich die Landwirtschaft allein ernstlich um die Lösung dieses allgemein verpflichtenden Anliegens bemüht, werden alle damit zusammenhängenden Leistungen seitens der Allgemeinheit dem ohnehin schon reichlich be-ladenen Bauernstand angelastet. Als Kompensation nimmt man ihm Vorteile weg, die jedem anderen Berufsstand ganz selbstverständlich zugestanden werden.

Der österreichische „Grüne Plan“ wird ein Landentwicklungsprogramm in irgendeiner Form beinhalten. Wenn sich dieses lediglich auf die Landwirtschaft bezieht, hat es keine Aussicht, jemals verwirklicht zu werden. Es muß sich mit der gesamten Wirtschaftsstruktur eines Gebietes befassen und geht damit, wie erwähnt, weit über den Rahmen des agrarischen Bereichs hinaus.

Daher sollte die Lösung dieser Frage auch nicht Aufgabe des Landwirtschaftsgesetzes sein. Das wäre nur eine Notlösung. Vielmehr gehört zum Landwirtschaftsgesetz noch ein Landentwicklungsgesetz mit der Aufgabe, die wirtschaftliche Tragfähigkeit eines unterentwickelten Gebietes zu heben, die berufliche Differenzierung zu fördern und damit auch die Voraussetzungen für eine gesunde agrarische Entwicklung zu schaffen.

Erst bei Vorhandensein außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze wird der Arbeitskräfte-Überbesatz der Landwirtschaft abgebaut. Erst mit der tatsächlichen Einsparung von Handarbeitskosten können Maschinen produktiv eingesetzt werden. Kleinbetriebe werden erst zu Nebenerwerbsbetrieben, wenn genügend Arbeitskräfte da sind. Betriebe, die für einen Nebenerwerbs betrieb zu groß, für einen Vollerwerbsbetrieb zu klein sind, können sich durch Aufstockung oder Absteckung zur einen oder anderen tragbaren Betriebskategorie entscheiden, wenn es auch außerhalb der Landwirtschaft Arbeit und Verdienst gibt. Es ist nun auch die Basis für eine Grundzusammenlegung geschaffen, da sich nicht jeder wie bisher geradezu mit Todesangst an jeden Quadratmeter Grund und Boden klammern muß, da er die einzige Existenzbasis darstellte. Neue Industrien bringen neuen Verkehr, bringen eine neue Märktsituation, beleben die Bautätigkeit, das Geschäftsleben, kurz und gut, Handel und Wandel kommen zu neuer Blüte, die Stagnation ist vom Land gewichen, neues Leben beginnt zu pulsieren.

So gesehen ist der „Grüne Plan“ des Landwirtschaftsgesetzes ein ganz bescheidener Ansatzpunkt für die Lösung eines schwerwiegenden nationalen und internationalen Problems. Neben dem Landwirtschaftsgesetz sollte ein Landentwicklungsgesetz geschaffen werden, das eine großzügige Regionalplanung und die wirtschaftliche Entwicklung unerschlossener Gebiete ermöglicht. Die Landentwicklung sollte nicht weiterhin als, gutmütig zu tolerierendes Steckenpferd einiger bäuerlicher Mandatare oder als Kompensationsobjekt politischer Kuhhändel, sondern als Anliegen des Gesamtvolkes betrachtet werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung